Ein durchschlagender Erfolg war vorerst also nicht abzusehen, stattdessen gab es Scharmützel mit den Türken, die fast täglich Ausfälle unternahmen und die Versorgungszüge der Kreuzfahrer überfielen. Dennoch war die Erleichterung darüber, die Stadt am Orontes erreicht zu haben und endlich weder Hunger noch Durst leiden zu müssen, im Heer derart groß, dass Guillaume nicht hoffen konnte, Eustace de Privas von der Notwendigkeit seiner Pläne zu überzeugen. Vorerst blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich unterzuordnen und weiter jene geringe Rolle zu spielen, die andere ihm zugedacht hatten. Seine Stunde war noch nicht gekommen – und es verging kein Tag, an dem sein Vater ihn nicht daran erinnerte …
»Hast du gehört, was ich dir gesagt habe?« Renald de Rein stand vor ihm. Die breite Brust des Barons hob und senkte sich in freudiger Erregung, das kupferfarbene Haar klebte schweißnass an seinem bulligen Haupt, sein Kettenhemd war blutbesudelt. »Harenc ist gefallen!«
Guillaume nickte. Harenc war eine Burg der Muselmanen, die sich ein gutes Stück flussaufwärts über dem Orontes erhob. Von dort aus hatten die Seldschuken in den vergangenen Wochen wiederholt Angriffe auf die Kreuzfahrer unternommen, sodass der Fürstenrat beschlossen hatte, dieses Ärgernis auszumerzen. Kein anderer als der italische Normanne Bohemund von Tarent war für diese Aufgabe ausgewählt worden, und Renald und einige andere Ritter hatten sich ihm angeschlossen – offenbar mit Erfolg.
»Es war ein glorreicher Sieg«, schwärmte Renald, dem das Kampfesblut noch in den Adern wallte. Kurzerhand packte er den Weinkrug, der vor Guillaume auf dem Tisch stand, setzte ihn an und schüttete den Inhalt gierig in sich hinein. Der Rebensaft rann an seinen Mundwinkeln herab und troff auf seine Rüstung, wo er sich mit dem Blut erschlagener Feinde vermischte.
»Ich gratuliere Euch, Vater«, sagte Guillaume ohne erkennbare Begeisterung. Er war nicht ins Zelt des Barons gekommen, um sich dessen selbstgefälliges Eigenlob anzuhören, sondern weil er den Rat seiner Mutter hatte suchen wollen. Eleanor de Rein saß ihm gegenüber an der Tafel, wie immer eine Stickarbeit in den Händen, der sie ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen schien – ein Eindruck, der freilich täuschte.
»Dieser Bohemund ist ein wahrer Teufelskerl«, fuhr Renald fort, der Guillaumes spöttischen Unterton entweder nicht gehört hatte oder geflissentlich unbeachtet ließ. »Die meisten Muselmanen hat er noch an Ort und Stelle getötet, den Rest hat er gefangen nehmen und vor dem Tor von St. Georg köpfen lassen. Das wird diese verdammten Türken lehren, was ihnen widerfährt, wenn Antiochias Mauern erst fallen.«
»Wenn sie fallen«, entgegnete Eleanor, ohne von ihrer Handarbeit aufzusehen. »Ist Euch nie der Gedanke gekommen, mein Gemahl, dass derlei Grausamkeiten die Entschlossenheit des Feindes nur noch stärken könnten?«
»Schweigt, Weib, davon versteht Ihr nichts.« Mit blutbesudelter Pranke griff der Baron nach der Hammelkeule auf dem Tisch, die eigentlich für Guillaume bestimmt gewesen war, und schlug einem Raubtier gleich seine Zähne hinein.
»Wollt Ihr Euch nicht zunächst reinigen, mein Gemahl?«, fragte Eleanor säuerlich.
»Wozu?«, schmatzte Renald. Der Alkohol, den er so unbeherrscht in sich hineingeschüttet hatte, zeigte Wirkung. »Verdient ein Krieger, der geradewegs vom Schlachtfeld kommt, nicht eine Stärkung?«
»Gewiss«, sagte sie und warf ihm nun doch einen Seitenblick aus ihren tief liegenden Augen zu. »Aber müsst Ihr unser Zelt unbedingt mit Blut besudeln?«
»Was denn?« Der Baron spuckte den Brocken Fleisch, an dem er gekaut hatte, kurzerhand auf den Boden. »Werdet Ihr nun plötzlich zartfühlend? Ihr wolltet mit den Wölfen heulen, Mylady, also tut es auch! Nehmt Euch ein Beispiel an mir!« Gierig biss er wieder von seiner Keule ab, und der Blick, mit dem sie ihn bedachte, ließ keinen Zweifel daran, dass sie es nur zu gerne gesehen hätte, wenn er daran erstickt wäre.
Guillaume verzog keine Miene. Lieber hätte er sich auf der Stelle in sein Schwert gestürzt, als sich ein Beispiel an dem Mann zu nehmen, der blutbesudelt und mit fetttriefenden Wangen vor ihm stand und dabei grunzte wie ein Schwein. Ihm war klar, dass Renald de Rein es nur darauf anlegte, seine Mutter und ihn zu provozieren. Und da Guillaumes eigene Pläne in diesen Tagen auf der Stelle traten, verfehlten die Worte des Barons ihre Wirkung nicht.
»Mit den Wölfen heulen – das habt Ihr stets trefflich beherrscht, nicht wahr?«, fragte der Jüngere.
De Rein ließ die Keule sinken. »Was?«
»Euer Leben lang habt Ihr nichts anderes getan, als nach der Pfeife der Mächtigen zu tanzen. In England ist es schon so gewesen, und nun tut Ihr es wieder.«
»Und du etwa nicht? Hast du dich etwa nicht zu Flambards Werkzeug machen lassen?«
»Ihr kennt die Gründe für mein Handeln.«
»Ich kenne sie, und sie gefallen mir heute so wenig, wie sie mir damals gefallen haben. Was ich mir verdient habe, damals in Northumbria wie heute auf dem Schlachtfeld, habe ich mir durch meinen Mut und durch die Kraft meiner Arme erstritten – du hingegen hoffst auf die Gunst eines Monarchen und bist bereit, dafür alles zu verraten, sogar dich selbst.«
»Als ob Ihr das nicht wärt!«, empörte sich Eleanor anstelle ihres Sohnes und funkelte ihren Mann zornig an.
»Bei allem, was ich tat, bin ich Gottes und der Menschen Gesetze stets treu geblieben. Als Ausgestoßener begann ich diesen Feldzug, meiner Macht und meiner Besitzungen durch Euer Zutun beraubt. Dennoch ist es mir gelungen, mir unter den Fürsten neues Ansehen zu erwerben – während du nichts anderes tust, als deine Wunden zu lecken und immer neue Intrigen auszuhecken, eine Schlange und ihre elende Brut.«
»Genug!«, zischte Guillaume. »Es steht Euch nicht zu, so über Eure Gemahlin zu sprechen!«
»Nein? Aber es ist die Wahrheit. Eure Macht ist beständig geschwunden, seit wir England verlassen haben – meine hingegen ist wieder gewachsen, und das verletzt euren Stolz.«
»Das ist nicht wahr!«, begehrte Guillaume auf, so laut und leidenschaftlich, dass sich seine Mutter genötigt sah, ihre hagere Rechte auszustrecken, um ihn zu besänftigen. »Mein Einfluss ist größer als der Eure! Ich habe mächtige Freunde und Männer, die mir treu ergeben sind.«
»Ich weiß.« Der Baron nickte. »Damit meinst du wahrscheinlich deine Sektiererfreunde, die mindestens ebenso erbärmlich und feige sind wie du.« Er bemerkte das Zucken in Guillaumes Gesicht und fügte genüsslich hinzu: »Du wunderst dich, dass ich davon weiß? Ich weiß manches, Junge, und das wenigste davon würde dir gefallen.«
»Renald!«, rief Eleanor. »Ich bitte Euch!«
»Keine Sorge«, versicherte Renald mit feistem Grinsen. »Ich werde gehen und euch weiter euren Intrigen überlassen. Weine dich im Schoß deiner stolzen Mutter aus, Junge – ich ziehe es vor, den Sieg mit jenen zu feiern, die Schulter an Schulter mit mir gekämpft haben.«
Er warf die angenagte Keule auf den Teppich, der den Boden des Zeltes bedeckte, und stürmte hinaus. Seine Schritte waren noch nicht ganz verklungen, als Guillaume aufsprang und seinem Zorn Luft machte. »Dieses elende Scheusal. Wie kann er Euch nur so beleidigen? Was bildet er sich nur ein?«
»Beruhige dich, Sohn. Die Worte, die du wählst, sind gefährlich.«
»Und wenn schon, ich fürchte ihn nicht mehr«, behauptete Guillaume, der mit den Tränen zu kämpfen hatte, so sehr fühlte er sich gedemütigt. »Macht es Euch denn gar nichts aus, wie er uns behandelt? Dass er uns fortwährend beleidigt und erniedrigt?«
Eleanor schaute ihn lange an. Leiser Spott sprach aus ihren von Falten zerfurchten Zügen, die mit ihren hervorspringenden Knochen und den eingesunkenen Augen immer mehr von einem Totenschädel hatten. »Ich habe mich daran gewöhnt«, sagte sie.
»Aber ich kann und will mich nicht daran gewöhnen«, zeterte Guillaume und ging wütend im Zelt auf und ab. »Habt Ihr bemerkt, wie er mich angesehen hat? Wie ein lästiges Insekt! Er wird mich niemals anerkennen, ganz gleich, was ich tue!«