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Pascoe sagte: »Für die endgültige Identifizierung werden wir noch die zahntechnische Untersuchung brauchen, aber mir persönlich reicht die Metallplatte im Schädel eigentlich aus. Das war Lightfoot da unten. Jemand hat ihn angekettet. Hauptkandidat dafür ist Wulfstan. Das würde erklären, warum er in letzter Zeit regelmäßig den Neb raufgeklettert ist, als die Hitze das Dorf wieder zum Vorschein brachte. Das war nicht Nostalgie oder Kummer. Das waren Schuldgefühl und Sorge, daß er nach all der Zeit entlarvt werden könnte.«

»Es würde auch erklären, warum er sich zu der BENNY IST WIEDER DA!-Schmiererei nicht geäußert hat«, meinte Wield. »Er wußte, daß er nicht zurückkommen konnte.«

»Warum hat das Mädchen nix gesagt?« wollte Dalziel wissen.

»Ein verängstigtes Kind, das die Fragen der Polizei so beantwortet, wie sie glaubt, das sie es hören wollen?« mutmaßte Pascoe. »Das passiert. Zumindest früher einmal.«

Dalziel machte ein skeptisches Gesicht, ließ die Erklärung aber durchgehen.

»Und Wulfstan, wenn er es war – was hatte der vorgehabt? Ein Geständnis aus Lightfoot herauspressen?«

»Das wäre eine Möglichkeit, Sir.«

»Eine? Und die andere?«

»Na ja, es könnte auch sein, daß er sichergehen wollte, daß der Hauptverdächtige im Fall der vermißten Kinder ebenfalls verschwindet.«

»Wie? Ach, kommen Sie. Sind Sie jetzt übergeschnappt, oder was? Geben Sie mir einen Hinweis, daß Wulfstan selbst an einem der Fälle beteiligt sein könnte, oder gar an allen dreien.«

»Das kann ich nicht, Sir. Ich war nicht dabei.«

»Dann haben Sie gar nichts.«

»Na ja«, meinte Pascoe. »Ich habe eine Zeugin, die gesehen hat, wie Wulfstan am Sonntag morgen Lorraine Dacre angriff.«

Oho, dachte Novello. Dalziel, ausgerechnet Dalziel, war sprachlos. Und verärgert.

»Jetzt hören Sie mal«, brachte er schließlich hervor. »Ich laß mir ja einiges gefallen, aber wenn das wieder eins Ihrer cleveren Spielchen ist …«

»Kein Spiel, Sir«, entgegnete Pascoe. »Obwohl ich bezweifle, daß es vor Gericht Beweiskraft hätte. Tatsächlich bin ich absolut sicher, daß ich diese Zeugin nicht einmal in die Nähe eines Gerichtssaals lassen würde. Es ist nämlich Rosie.«

Wieder war der Dicke sprachlos. Das zweite Mal in zwanzig Sekunden. Dazu der Wortpatzer von vorhin. Novellos Respekt für Pascoe wuchs beträchtlich.

Und sie selbst fühlte sich durch sein Beispiel zu eigenen Theorien beflügelt.

»Der Ohrring«, sagte sie und wußte sofort, daß sie recht hatte.

Pascoe lächelte sie an und sagte: »Eigentlich war es ein Kruzifix-Ersatz. Sie hat am frühen Sonntag morgen am Aussichtspunkt der Moorstraße gefrühstückt. Dabei hat sie durch Derek Purlingstones Fernglas gesehen. Und beobachtet, wie ihre imaginäre Freundin Nina vom Nix geholt wurde.«

»Vom Nix?« wiederholte Dalziel, der immer noch nicht ganz sicher war, ob Pascoe durch den Schock der letzten Tage nicht ein wenig durcheinander war.

»Genau. Nina ist ein Mädchen mit blonden Zöpfen, so wie hier.« Er ging zu seinem Wagen und holte das Büchlein der Eendale Press hervor.

»Und so sieht der Nix aus. Erinnert der Sie an jemanden?«

Dalziel schüttelte den Kopf. Doch Novello sagte: »Das Foto in der ›Post‹ …«

»Genau. Ich habe Rosie die Seiten gezeigt, und sie deutete geradewegs auf Wulfstan und sagte: ›Da ist der Nix.‹ Ich bin sicher, daß sie ihn gesehen hat, Sir.«

Der Dicke schüttelte wieder den Kopf – weniger aus Ablehnung, als um einen klaren Gedanken zu fassen.

»Pete«, sagte er freundlich. »Das Mädchen hat Schreckliches durchgemacht. Sie auch. Da kann man ganz schön durcheinanderkommen. Andererseits ist sie die einzige in Ihrer Familie, die ich mit zwei Schweinen zum Markt schikken würde. Es könnte also nicht schaden, der Sache nachzugehen.«

Mit neuem Energieschub marschierte er zum Seeufer, wo die Taucher ihre Ausrüstung zusammenpackten, sprach kurz mit Perriman, hob die Kette auf und zog sie auf dem Weg zum Range Rover hinter sich her.

»Na, dann los«, rief er. »Pete, Sie kommen mit uns. Esther Williams da unten wird Ihren Wagen zurück nach Danby bringen. Ich lasse Sie nicht mehr aus den Augen, sonst weiß der Himmel, was für dannen und wannen Sie noch ausgraben.«

»Wo genau fahren wir denn hin, Sir?« erkundigte sich Pascoe, während er auf den Beifahrersitz kletterte.

»Was glauben Sie wohl? Sie mögen doch Musik, oder? Wir gehn ins Konzert. Und ich denke, wenn wir oft genug Zumutung brüllen, dann singt uns irgendeiner noch ein Lied.«

»Ich glaube, Sie meinen Zugabe, Sir«, meldete Pascoe sich vorsichtig.

»Ich weiß genau, was ich meine«, erwiderte Andy Dalziel.

Achtzehn

Das Eröffnungskonzert des zwanzigsten Mid-Yorkshire Dales Sommer-Musikfestivals begann mit Verspätung.

Das geschah nicht unerwartet. Trotz Plakaten, Zeitungsnotizen und Mundpropaganda hatte nicht jeder von der Änderung des Austragungsortes erfahren, und mehrere Gäste mußten von St. Michaels Hall zur Beulah-Kapelle umdirigiert werden.

Unter den gegebenen Umständen beschwerte sich niemand. Kommerziell gesehen, war es sogar eine gute Sache, dachte Arne Krog, während er eine Gruppe Konzertbesucher beim Betrachten der ausgelegten Kassetten und CDs beobachtete. Auf einem halben Dutzend war er selbst vertreten, wobei er nur auf zweien davon als Solist sang. Seine Plattenkarriere verlief parallel zu seiner Konzertkarriere – ein beständiges Glänzen, das sich wohl kaum mehr zu dem Feuerwerk eines Stars steigern würde.

Elizabeth hatte nur eine einzige CD anzubieten, aber sie war es, die die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog. Krog überraschte das nicht. Die Klugen unter den Musikliebhabern würden ein halbes Dutzend kaufen und sie mit Datum signieren lassen. In fünfzehn Jahren könnten es begehrte Sammlerstücke sein. Seine Stimme hingegen würde nie in Vergessenheit geraten, weil sie auch nie als erinnerungswürdig erachtet worden war. Bei diesem Gedanken lächelte er wehmütig. Zwar hatte er anderen ihren Starrummel immer geneidet, doch betrachtete er die dazu erforderliche stimmliche Begabung als Gottesgeschenk, das einfach nur bewundert werden konnte. Deshalb störte es ihn nicht, daß Elizabeth ein Star werden könnte. Er bedauerte nur, daß ihr Leuchten das Licht anderer dämpfen würde.

Er war sich immer noch nicht sicher, ob es richtig gewesen war, dem Polizisten den Umschlag zu geben. Es war aus einem Impuls heraus geschehen und wäre ihm bei Dalziel wahrscheinlich nicht passiert.

Er ging in den Raum, der die Sakristei wäre, falls die Beulahiten Sakristeien hatten. Elizabeth saß dort und wirkte so ruhig wie ein zugefrorener See. Inger machte die vor jedem ihrer Konzerte üblichen Fingerübungen. Walter starrte auf seine Armbanduhr, als hätte sie einen direkten Befehl verweigert.

»Ich glaube, wir müssen anfangen«, sagte er.

»Gut«, sagte Krog. »Ich bin bereit. Inger?«

»Ja.«

Sie sahen zu Wulfstan. Früher einmal war er als Vorsitzender des Komitees als eine Art Conférencier aufgetreten und hatte die Künstler vorgestellt. Doch war er dabei so steif gewesen, daß sie irgendwann damit aufgehört hatten. »Es ist weniger ein Aufwärmen«, hatte Krog gefunden, »als ein Abkühlen des Publikums.« Nun war es Brauch geworden, daß er ihren Stammgästen den Beginn des Konzerts signalisierte, indem er sich einfach zu Chloe in die erste Reihe setzte.

Heute jedoch sagte er: »Ich bleibe hier bei Elizabeth, damit sie nicht allein ist.«

Die Sängerin sah ihn an und lächelte mit einer Art distanziertem Mitgefühl, wie eine römische Göttin, die von ihrem olympischen Teetisch auf die sterblichen Massen hinabblickt.