Don’t look so pale! The weather’s bright.
They’ve only gone to climb up Beulah Height.«
»Hörst du das Problem?« fragte sie und drückte wieder den Pausenknopf.
»Warum singst du Beulah Height?« wollte er wissen. »Das ist keine genaue Übersetzung. Auf deutsch heißt es ›auf jenen Höh’n‹.«
»Schon gut, reg dich wieder ab. Dann sing ich eben on yonder height, das hat denselben Rhythmus«, meinte sie ungeduldig. »Aber jetzt hör zu, bitte!«
Sie spielte das Lied noch einmal. Dieses Mal konzentrierte Krog sich voll und ganz auf ihre Stimme – so sehr, daß er nicht mitbekam, wie die Tür sich öffnete, bis Elizabeth sagte: »Chloe, was ist los? Was ist passiert?«
Chloe Wulfstan – runder, als sie vor fünfzehn Jahren gewesen war, im Gesicht aber wenig verändert, abgesehen von einigen nicht unattraktiven Krähenfüßen – war ins Zimmer getreten und lehnte leicht schwankend an der Rückenlehne des Sofas. »Ich habe die Lokalnachrichten gehört«, sagte sie. »Es ist schon wieder passiert.«
Krog ging zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. Bei seiner Berührung löste sie sich vom Sofa und lehnte sich ganz an ihn, so daß er sie mit beiden Händen halten mußte. Er sah Elizabeths betont unbeteiligten Blick und zuckte leicht mit den Schultern, wie um zu fragen: Was sollte ich anderes tun?
»Was ist schon wieder passiert?« fragte Elizabeth mit tiefer, ruhiger Stimme. »Was hast du gehört?«
»Ein Kind ist verschwunden«, sagte Chloe. »Ein kleines Mädchen. Hinten im Tal bei Danby.«
Arne sah wieder zu Elizabeth. Diesmal war sein Blick ebenso ausdruckslos wie ihrer.
Die kräftige junge Stimme umhüllte sie mit dem klagenden Vers:
»A head of us they’ve gone out walking
But shan’t be returning all laughing and talking.«
Acht
Ellie Pascoe war bereit für den Ruhm. Seit langem schon übte sie ihre Antworten für die Medienmöwen, die kreischend die Trawler des Talents umkreisen. Für den Literaturkritiker tiefschürfender Glanzblattartikel hatte sie viele wunderbare und weise Betrachtungen über das Leben und die Kunst und den Preis von Fisch und Fleisch vorbereitet, die sich in so elegante Sätze schmiegten, daß eine Verbesserung unmöglich und jegliche Kürzung ein Verbrechen wäre.
Für die Klugscheißer von Funk und Fernsehen hatte sie einen Köcher voll Pfeile aus spitzzüngigen, geistreichen Repliken geschärft, nach deren Abschuß es ihnen leid täte, daß sie je versucht hatten, sich mit Ellie Pascoe anzulegen!
Und für ihre Freunde hatte sie ein Gewand aus ironischer Bescheidenheit gewoben, so daß alle staunen würden, wie eine Frau, die sich als etwas so Besonderes erwiesen hatte, es dennoch schaffte, ganz die alte zu bleiben.
Sie hatte sogar für die Geschichte der englischen Literatur eine Zusammenfassung ihrer schriftstellerischen Karriere entworfen:
Ihr erster Roman, gegen dessen Veröffentlichung sie sich zeitlebens hartnäckig gesträubt hatte, dessen Entdeckung in ihrem Nachlaß jedoch zum literarischen Ereignis des Jahres 2040 … nein, besser: 2060 geriet, ist das typische autobiographische, egozentrische und pikareske Werk, mit dem ein Genie so oft die Bühne der literarischen Welt betritt. Er ist in weiten Teilen sehr offenherzig, wenn auch streckenweise naiv, doch erkennt das aufmerksame Auge bereits hier die Einsicht, Beobachtungsgabe und Eloquenz, die ihr reiferes Werk auszeichnen.
Ihr zweiter Roman, dessen Veröffentlichung sie erst nach wiederholtem Drängen und umfangreicher Überarbeitung auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs erlaubte, erzählt die Geschichte einer jungen Frau mit intellektueller Veranlagung, die einen Soldaten ehelicht und sich in einer für sie völlig fremden Welt voller Action, Autorität und männlicher Arroganz behaupten muß. Autobiographische Elemente sind hier bedachter verarbeitet – die Autorin hat nicht nur ihre Erfahrungen ausgespuckt, sondern sie erst durch den Magen gehen lassen, sie verdaut und dann damit ein wahrhaftiges Stück … Kunst hervorgebracht.
(Nun ja, diese Metapher mußte noch etwas überarbeitet werden.)
In ihrem dritten Roman jedoch, der ihren Namen wie eine Rakete an die Spitze der Bestsellerlisten katapultierte, ist die Stimme der reifen Künstlerin – selbstbewußt, heiter, erheiternd, gefühlvoll, einfühlsam, bezwingend und melismatisch – zum erstenmal in all ihrer Pracht zu hören …
Als Peter an jenem Sonntagmorgen das Haus verlassen hatte, legte sie sich eine Weile in die Sonne und spielte im Geiste das Berühmtsein-Spiel, das jedoch bald seinen Reiz verlor. Falls der Ruhm je eintreffen sollte, würde es vermutlich ganz anders ablaufen. Kritiker, Reporter und Programmdirektoren mochten am großen Bankett der Literatur den Platz der armen Verwandten einnehmen, aber ein Leckerbissen blieb ihnen immer vorbehalten: das Letzte Wort.
Und so landete sie in Gedanken letztendlich doch bei dem Thema, das sie hatte vermeiden wollen: Peter.
Sie wußte, und zwar bereits seit einiger Zeit, daß er sich über etwas Gedanken machte, das er ihr verschwieg. Peter war im Grunde ein mitteilsamer Mensch. Über die meisten Dinge sprachen sie sich aus.
Bislang hatte sie nicht nachgehakt. Aber sie würde es tun. Als seine Frau, seine Geliebte und seine Freundin hatte sie das Recht, es zu wissen. Und wenn nicht als eine dieser drei, dann konnte sie immer noch das unveräußerliche Recht der Großen Schriftstellerin anführen, ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken.
Dieser Gedanke veranlaßte sie, Block und Stift aufzunehmen und ein paar Notizen für ihr nächstes Werk niederzuschreiben. Doch angesichts der Sorgen, die ihr durch den Kopf geisterten, und der Sonne, die auf denselben brannte, kamen ihr die Notizen wie ein Haufen Blödsinn vor.
Unzufrieden stand sie auf und ging ins Haus, um etwas zu suchen, das sie intellektuell fordern würde. Doch alles, was sie fand, war ein Stapel überfälliger Bügelwäsche. Sie stellte das Radio an und machte sich an die Arbeit.
Es war, wie sie feststellte (obwohl sie nicht im Traum daran dachte, es außerhalb der schummrigen Abgeschiedenheit eines Beichtstuhls, die sie als hingebungsvoller Atheist allerdings kaum je erleben würde, irgend jemandem zu verraten), eine nicht unangenehme Art und Weise, ein ganz und gar unintellektuelles Stündchen zu verbringen. Von Zeit zu Zeit huschte sie nach draußen, um sich eine Dosis ultravioletter Strahlung zu verpassen, und schlürfte dann noch einen eisgekühlten Apfelsaft, während der lokale Radiosender angenehm anspruchslos dahinplätscherte. Sie bügelte sogar mit äußerster Sorgfalt ein paar Bettlaken. Normalerweise vertrat sie die Ansicht, daß es vollkommen ausreichte, ihnen aus der Ferne mit dem heißen Bügeleisen zu drohen, da Bettlaken nach der ersten Nacht ohnehin so verknittert aussahen wie W. H. Audens Gesicht. Aber Rosie hatte letzte Nacht vermutlich auf Jill Purlingstones seidenweichen glatten Laken geschlafen, und nachdem die Pascoes schon nicht mit Swimmingpools und Ponys mithalten konnten, sollte ihre Tochter sich zumindest in dieser Hinsicht nicht benachteiligt fühlen.
Das Radio hielt sie über das herrliche Wetter auf dem laufenden sowie die überaus intelligenten Methoden der britischen Bevölkerung, dieses Wetter zu genießen – etwa dadurch, Feuer in Moorlandschaften zu entfachen oder sich in dahinkriechenden Verkehrsschlangen Richtung Küste und zurück aufzuhalten.
Schließlich, nachdem die Wäsche gebügelt und der Apfelsaft von einem großen Gin Tonic abgelöst worden war, setzte sie sich um sechs Uhr ruhig und zufrieden gerade rechtzeitig aufs Sofa, um in den Nachrichten von einem schweren Verkehrsunfall auf der Hauptküstenstraße zu hören.
Für besorgte Zuhörer wurde die Nummer eines Informationsdienstes durchgegeben. Ellie rief dort an, fand die Leitung besetzt, versuchte es bei den Purlingstones, hörte nur den Anrufbeantworter, wählte erneut die Info-Nummer, immer noch besetzt, knallte gereizt den Hörer auf die Gabel, und als Reaktion klingelte das Telefon sie an.