Выбрать главу

Sie hob ab und keifte: »Ja?«

»Hi, ich bin’s«, sagte Pascoe. »Hast du von dem Unfall gehört?«

»Ja. O Gott, was ist passiert? Ist es was Ernstes? Wo …«

»Ganz ruhig«, unterbrach Pascoe. »Alles in Ordnung. Ich rufe nur an, um dir zu sagen, daß ich mich gleich mit dem Leiter des Einsatzteams in Verbindung gesetzt habe, als ich davon hörte. Keine Purlingstones dabei, keine Kinder in Rosies Alter. Also kein Grund zur Sorge.«

»Gott sei Dank«, stöhnte Ellie. »Gott sei Dank. Aber es gibt Verletzte …«

»Vier Tote, einige Schwerverletzte. Aber fang bloß nicht an, dich schuldig zu fühlen, weil du erleichtert bist. Laß die Dinge einfach, wie sie sind, nur so kommst du durchs Leben.«

»So wie du, Liebling?« fragte sie. »Wie läuft’s denn? In den Nachrichten wurde nichts Neues gesagt.«

»Das kommt daher, weil es nichts Neues gibt. Wir haben ein paar Teams mit Hunden auf den Berg geschickt und so viele Leute, wie wir bei all den anderen Vorfällen auftreiben konnten. Hast du von den Bränden gehört? Mein Gott, diese Menschen! Ich werde dem Verein zur Einhaltung des Tags des Herrn beitreten und dafür stimmen, daß es eine Sünde ist, sich am Sonntag mehr als eine halbe Meile von seiner Wohnung zu entfernen.«

Trotz des Scherzes konnte sie seine Niedergeschlagenheit spüren.

Sie sagte: »Diese armen Leute. Wie nehmen sie es auf?«

Er hatte Elsie Dacres verquollenes Gesicht vor Augen und Tony Dacre, der schließlich mit vor Trauer, Hunger und Müdigkeit wackligen Beinen vom Berg zurückgekehrt war. Er antwortete: »Als hätte jemand was ausgeknipst. Als wäre die Luft, die sie atmen, voller Säure. Als wären sie tot und suchten nur einen passenden Platz zum Umfallen.«

»Und was passiert als nächstes?«

»Wir suchen noch, bis es dunkel wird. Morgen früh geht’s dann weiter. Und es laufen noch ein paar andere Sachen.«

Nichts, was ihm Hoffnung machte oder über das er reden wollte. Elsie versuchte, sich etwas Aufmunterndes einfallen zu lassen. Sie hatte es gerade aufgegeben, als die Türglocke läutete und die Briefkastenklappe schepperte. Dazu erklang Rosies ungeduldige Stimme: »Mummy! Mummy! Ich bin’s. Wir sind wieder da. Mummy!«

»Peter, Rosie ist zurück«, sagte sie.

»War mir doch so, als hörte ich ihr lieblich Frohlocken …«

»Ich gehe besser, bevor sie die Tür einschlägt.«

»Grüß sie ganz herzlich von mir. Bis später, Liebling.«

Als sie die Tür öffnete, stürmte Rosie aufgeregt plappernd herein. »Mummy, guck mal, ich bin bald so braun wie du. Wir haben fünfmal Eis gegessen und dreimal gepicknickt, und Onkel Dereks Auto bläst richtig kalte Luft, und ich kann schneller rückenschwimmen als Zandra.«

Ellie fing sie auf, drückte sie fest an sich und schwang sie dann in die Luft. Ich weiß noch, als ich so alt war wie sie, dachte sie. So viel zu erzählen, daß Stimmbänder irgendwie nicht ausreichen und man eine Kommunikationsform per Glasfaserleitungen bräuchte, um alle Informationen auf einmal übermitteln zu können.

Derek Purlingstone stand lächelnd auf der Türschwelle. Er war ein großer, nach italienischer Art gutaussehender Mann Mitte dreißig, der jedoch sechs oder sieben Jahre jünger wirkte. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen – sein Vater war Bergmann in Yorkshire gewesen –, trug jedoch die Abzeichen des Wohlstands – das Armani-Hemd, die Gucci-Uhr –, als wären sie ihm in die Wiege gelegt worden.

Sie erwiderte sein Lächeln und sagte: »Dreimal gepicknickt? Das klingt aber ziemlich exzessiv!«

»Nein, wir hatten ein Frühstückspicknick, ein Mittagspicknick und ein Teepicknick, und wir sind durch ein Feuer gefahren …«

»Ein Feuer? Waren Sie in der Nähe dieses Unfalls?« fragte sie besorgt.

»Sie meinen den Auffahrunfall auf der Hauptstraße? Davon hab ich in den Nachrichten gehört. Nein, wir sind durchs Hinterland gefahren – das war zwar länger, aber um einiges schneller. Das Feuer brannte im Highcross Moor, als wir zurückkamen. Viel Rauch, keine Gefahr, obwohl in der Gegend von Danby viel Polizei unterwegs war.«

»Ja. Peter ist auch da. Ein Kind wird vermißt, ein kleines Mädchen.«

Er machte ein betroffenes Gesicht und lächelte dann wieder.

»Tja. Schön, Sie zu sehen, Ellie. Und dann noch so viel von Ihnen …«

Er sprach übertrieben anzüglich und ließ seinen Blick in einer Parodie dramatischer Lüsternheit über ihren bikinibedeckten Körper gleiten. Ellie erinnerte sich an einen Satz aus irgendeinem Psychobuch, das sie kürzlich gelesen hatte: »Um das Unverbergbare zu verbergen, tun wir so, als ob wir nur so tun.« Purlingstone war das, was ihre Mutter einen »gefährlichen Charmeur« genannt hätte. Ellie hatte kein Problem damit, überlegte aber, wie nahe sein Gehabe wohl an sexuelle Belästigung grenzte, wenn er mit jüngeren untergebenen Frauen in seiner Firma schäkerte.

Trotz dessen und obwohl er ein hohes Tier in der Privatwirtschaft war, mochte sie diesen Kerl ganz gern, vor allem aber seine Frau Jill, die sich ganz undramatisch bei Marks & Spencer einkleidete und darauf bestanden hatte, daß Zandra auf die Edengrove kam und nicht zu einer dieser, wie sie es nannte, »Schickimickischulen, wo man sich für schulwappenbestickte Schlüpfer dumm und dämlich zahlt«.

»Keine Zeit für einen Drink?« fragte sie nach.

»Tut mir leid, aber ich fahre lieber. Zandra geht es nicht so gut. Wahrscheinlich zuviel Sonne. Sie hat die helle Haut ihrer Mutter, nicht wie wir südländischen Typen, die Olivenöl draufgießen und brutzeln können, hm?«

Wieder dieser feurige Blick, dann schlängelte sich seine Hand vor, und eine Sekunde lang dachte Ellie, er wolle nach ihrer Brust greifen. Doch er wuschelte nur Rosie durch das kurze schwarze Haar und ging dann zu seinem Mercedes-Kombi zurück, dessen Farbe zufällig genau zu seiner Jeans paßte. Zufällig? Der Kerl hat vermutlich zu jedem seiner schicken Outfits einen passend lackierten Wagen, dachte Ellie. Normalerweise war sie nicht der neidische Typ, und sie gönnte es Derek ja auch. Aber bei diesem Wetter wäre es schon recht nett, eine Klimaanlage im Auto zu haben anstelle von Rostloch-Zugluft wie bei ihrem fahrbaren Backofen.

Rosies Stimme unterbrach ihre Gedanken. »Mummy, du hörst ja gar nicht zu!«

»Doch, ich hör dir zu. Na ja, jetzt höre ich dir zu. Komm, setz dich hin und erzähl mir alles. Tut mir leid, daß es Zandra nicht gut geht.«

»Ach, das wird schon wieder«, meinte Rosie schulterzuckend. »Ich will Daddy aber auch alles erzählen.«

»Und er wird auch alles hören wollen«, erwiderte Ellie. »Also wirst du nicht drum herumkommen, es ein zweites Mal zu erzählen, wenn er wieder zu Hause ist.«

Die Aussicht auf einen weiteren gebannten Zuhörer war ganz offensichtlich nicht unangenehm. Die Erlebnisse des Tages sprudelten in einem Wortschwall aus ihr hervor, und ihre persönlichen Empfindungen und Stimmungen ließen alle räumlichen und zeitlichen Details in den Hintergrund treten. Unerfreulich war nur, daß Zandra auf dem Heimweg angefangen hatte zu kränkeln und daß Rosie ihr »Kreuz« verloren hatte. Die Purlingstones waren katholisch, und Zandra trug ein winziges Kruzifix an einem Silberkettchen um den Hals. Rosie hatte folglich verlauten lassen, ihr Lebensglück sei ohne so ein Kreuz nicht vollkommen, und Ellie hatte es ihr aus mehr Beweggründen, als sie aufzählen wollte, verboten. Doch als ihre Tochter sich mit beachtlichem Einfallsreichtum einen dolchförmigen Ohrring aus Ellies Schmuckschatulle borgte, ein blaues Bändchen durchzog und ihn als Kreuz um den Hals hängte, war keiner von ihnen imstande gewesen, ihr das Ding wegzunehmen.

Ellie nahm sich im stillen vor, den anderen Ohrring zu verstecken, und hatte dann ein schlechtes Gewissen. Dachte sie so wegen ihrer eingefleischten Opposition gegenüber jeglicher Form von Religionsbezeugung? Oder hatte es etwas damit zu tun, daß sie einerseits glücklich darüber war, daß ihre Tochter anscheinend den schönsten Tag ihres Lebens verbracht hatte, und andererseits eifersüchtig, daß dies trotz ihrer Abwesenheit geschehen konnte?