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Er strebte auf eine ausladende Eiche zu, deren Blätter sanft im Wind sangen und in deren Stammgabelung die Überreste eines Baumhauses zu sehen waren.

Augenblicklich raschelte eine kleine Kreatur im Geäst der Baumkrone und ließ sich unter kaum merklicher Berührung irgendwelcher Zweige die dreißig Fuß hinunter in Wields Arme fallen.

»Morgen, Monte«, sagte der. »Wie geht’s, wie steht’s?«

Monte war ein Affe, genauer gesagt ein Krallenaffe, wie der örtliche Tierarzt ihm mitgeteilt hatte, als Wield eine gründliche Untersuchung des Tierchens hatte vornehmen lassen. Im Hinblick auf seine Herkunft war diese Vorsichtsmaßnahme unumgänglich gewesen; Monte war aus einem pharmazeutischen Versuchslabor geflüchtet und hatte sich in Wields Wagen versteckt. Der Polizist hatte ihn hinausgeschmuggelt und sich eingeredet, daß dies ja noch keine endgültige Entscheidung über seinen Verbleib sei.

Es war die erste Belastungsprobe für seine neue Beziehung gewesen. Edwin Digweed, im Grunde sehr tierlieb, hatte deutlich zu verstehen gegeben, daß er nicht die Absicht hatte, sein Haus mit einem herumturnenden Primaten zu teilen. »Ein Ménage à trois mag ja ganz reizvoll sein«, hatte er gesagt, »eine Ménagerie à trois jedoch nicht im mindesten.«

Als Wields Augen ihn daraufhin prüfend und ohne zu blinzeln aus dem unergründlichen Gesicht anstarrten, erinnerte Digweed sich an eine Anekdote, die man über John Huston erzählte: eine Geliebte hatte ihn aufgefordert, sich zwischen ihr und einem Schoßäffchen mit ausgesprochen schlechten Angewohnheiten zu entscheiden, woraufhin der Filmregisseur nach dreißig Sekunden Bedenkzeit geantwortet hatte: »Der Affe bleibt.«

Digweed hielt also die Luft an und bekam es plötzlich mit der Angst, das neugewonnene Glück könne ihm ebenso wieder zwischen den Fingern zerrinnen.

Doch Wield sagte nur: »Er geht nicht wieder dahin zurück. Er ist geflohen.«

Digweed verbarg seine Erleichterung und entgegnete: »Er … Das Tier … ist ein Affe und nicht der Graf von Monte Christo. Also gut, wir können ihn … es … nicht wieder zurückschicken, aber er … es … gehört in einen Zoo.«

»Monte. So werden wir ihn nennen«, erwiderte Wield. »Und was den Zoo angeht, da weiß ich schon etwas.«

Er hatte Monte mit zu Girlie Guillemard genommen, die von dem Tier ganz angetan gewesen war. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß Monte sogar weniger als sie selbst dazu neigte, ungezogene Kinder zu beißen, zu kratzen oder auf andere Weise anzugreifen, bot sie ihm Zuflucht in ihrem Streichelzoo.

Dort hatte Monte sich überraschend gut eingelebt. Wield besuchte ihn jeden Morgen, wenn es ging, und brachte ihm Erdnüsse oder Früchte mit. Am Anfang hatte es einmal eine kleine Krise gegeben, als seine Arbeit fast eine Woche lang die Morgenbesuche verhinderte. Schließlich hatte Monte eines frühen Morgens in Corpse Cottage nach ihm gesucht, dort aber nur den bis zu diesem Zeitpunkt friedlich schlafenden Edwin angetroffen, den er durch Hochziehen der Augenlider weckte.

»Natürlich dachte ich gleich, jetzt werde ich von einem Affen vergewaltigt«, erzählte der Antiquar. »Also stellte ich mich weiter schlafend und dachte an Afrika.«

Nun aber zog Wield sich seinen tierischen Freund vorsichtig vom Kopf, wo der eifrig nach Läusen suchte, und betrachtete ihn liebevoll. Er hatte Edwin zu erklären versucht, daß er den Affen nicht allein aus sentimentalen Gründen behielt. Tatsächlich erschien ihm keine seiner Entscheidungen als Homosexueller und keiner der Schritte auf dem Weg zu seinem Outing – nicht einmal sein Einverständnis zu Digweeds Vorschlag, zusammenzuziehen – bedeutender als Montes Rettung.

Es war Diebstahl gewesen, egal, aus welcher Perspektive man es betrachtete, und er hatte damit seine Karriere aufs Spiel gesetzt. Hätte er das vor seiner Freundschaft mit Edwin getan? Er bezweifelte es. Ihm war, als hätte sich sein Maß an Zufriedenheit so unerwartet gefüllt, daß es ständig überlief und er so den Hilferuf des Affen im letzten November genausowenig hatte ignorieren können, wie sein Pflichtbewußtsein ihm ein Jahr zuvor verboten hätte, ihn zu stehlen.

Edwin, der dieser ungewohnt zögerlichen Selbstanalyse seines Freundes lauschte, während er huevos à la flamenca zubereitete, bemerkte spitz: »Laß mich wissen, wenn du plötzlich ungeborenen Küken gegenüber empfindlich wirst.« Danach wurde Monte allerdings jedesmal, wenn er nach seinem vermißten Herrchen suchte, aufs freundlichste empfangen und mit dem Auto wieder nach Old Hall zurückchauffiert.

Dalziel wußte nichts von Monte – zumindest nicht offiziell. »Belassen Sie es dabei, Wieldy«, hatte Pascoe geraten, als er die ganze Geschichte erfuhr, »sonst benutzt er das Biest eines Tages, um Sie aufzuspüren, wenn Sie sich außer Reichweite wähnen.«

Und so hatte der Dicke sich tags zuvor des Telefons bedienen müssen. Als Wield und Digweed von ihrer Buchkaufreise aus den Borders zurückkehrten, blinkte der Anrufbeantworter. Nach knapper Darstellung der Situation wurde Wield mit ironischer Liebenswürdigkeit eingeladen, sich am nächsten Morgen »zeitig« in der Einsatzzentrale in Danby einzufinden, »sofern Witterung und soziale Verpflichtungen es erlaubten«.

Es war keine besonders verlockende Aussicht. Auch Wield erinnerte sich an Dendale. Wie Dalziel immer sagte: Es sind nicht die Verhafteten, die einem schlaflose Nächte bereiten, sondern die Entwischten; und Dendale stand auf der Liste der schlaflosen Nächte ganz oben. Gut, Danby war anders – aufstrebend, vom Dorf zur Kleinstadt gewachsen, nicht so abgeschieden und keinesfalls dem Untergang geweiht, wie Dendale es gewesen war. Aber es lag nur ein paar Meilen westlich, nur einen Spaziergang über den Leichenpfad entfernt …

»Aber ein Mann muß tun …«, kaute Wield in John-Wayne-Manier, »… muß irgendwas tun. Ärgere nicht zu viele kleine Kinder, mein Freund. Bis dann.«

Er warf den Affen in die unteren Äste der Eiche und stapfte davon.

Eine halbe Stunde später, als er seinen alten Thunderbird im Leerlauf die Auffahrt von Corpse Cottage hinunterrollen ließ, um Edwin nicht aufzuwecken, dachte er, wie schön es doch wäre, einen solchen Morgen im Bett zu verbringen.

Pascoe war ebenfalls früh aufgestanden. Er hatte sich die Dendale-Akte vorgenommen, war dann aber im Sessel eingeschlafen und erst wieder erwacht, als Ellie wie jeden Morgen Rosie zur Schule fertigmachte.

Sein erster verschlafener Gedanke war, unrasiert und ohne Frühstück loszueilen, aber Ellies vernünftiger Rat brachte ihn zur Besinnung, so daß er in Danby anrief und sich vom diensthabenden Polizisten versichern ließ, die dortige Ruhe werde allein von Sergeant Wields herannahendem Motorrad gestört. Danach konnte er sich entspannen mit der Gewißheit, daß die Organisation in den besten Händen lag.

Also hatte er das relativ seltene Vergnügen wahrgenommen, gemeinsam mit seiner Tochter zu frühstücken.

Es schien kein beiderseitiges Vergnügen zu sein. Rosie blinzelte irritiert ins helle Licht der Sonnenstrahlen, die durch das Küchenfenster fielen, und verkündete: »Ich fühl mich nicht gut.«

Ihre Eltern wechselten Blicke. Peter, der einige Wochen zuvor seine Tochter einen Tag lang allein betreut hatte, war beim Frühstück ihren verhaltenen Seufzern und Schluchzern ausgesetzt gewesen, während sie tapfer ihre Frühstücksflocken hinunterwürgte, bis er – immer ein leichtes Opfer von Quengelei – sich erbarmt und gefragt hatte: »Fühlst du dich nicht gut, oder was?«