Pascoe galt als ganz in Ordnung. Kümmerte sich sehr ums Fußvolk. Seinen anfänglichen Nachteil als Studierter hatte er mittlerweile abgesessen. Eigentlich würden die meisten ohne Dalziels gelegentliche Frotzeleien gar nicht weiter darüber nachdenken.
Und Wield war … Wield. Unergründlich wie ein chinesisches Lexikon, aber über alles informiert, was ein guter Polizist wissen mußte. Es gab Gerüchte über sein Privatleben, die einen anderen die Stellung gekostet hätten. Aber an ihm, dem Felsen in der Brandung, zerschellten sie wie Treibgut und verschwanden wieder im Meer.
Der gute Rat war: wenn Dalziel spricht, gehorche; wenn Pascoe spricht, dann höre; und wenn Wield spricht, dann mach dir Notizen.
Doch Novello sah die drei inzwischen ganz anders.
Die Gerüchte über Wield ignorierte sie. Für sie war er so offensichtlich schwul, daß sie diesen Hang zum Flüstern nicht verstehen konnte. Er war ein guter Polizist, und sie konnte viel von ihm lernen. Aber vermutlich war er auch ein Polizist, der sich ganz bewußt dafür entschieden hatte, lieber Sergeant zu bleiben, als die exponierte Position eines höheren Ranges zu riskieren. Obwohl sie das verstehen konnte, hatte sie nicht die Absicht, Wield diesbezüglich zum Vorbild zu nehmen.
Pascoe. Zuerst hatte sie ihn gemocht. Er hatte sie freundlich und hilfsbereit aufgenommen und ihr zur Seite gestanden, als sie dem Dezernat beitrat. Das tat er immer noch. Aber Maggie Burroughs, die ihr beim Wechsel zur Kriminalpolizei sehr geholfen hatte, gab ihr einmal den Rat: »Nimm dich in acht vor den Freundlichen. Manchmal sind das die Schlimmsten.« Und als wenige Minuten nach dem Beginn der Schülerbefragung Pascoe seinen Kopf durch die Tür streckte und um ein paar Worte mit Mrs. Shimmings bat, verriet ihr sein entschuldigendes Lächeln lediglich, daß er seine Arbeit für undenkbar wichtiger hielt als ihre.
Blieb noch Dalziel. Ein Panzer war nur eine Maschine, aber eine Maschine braucht jemanden, der sie in Gang bringt. Einen Mechaniker. Oder einen Gott. Es wurden Witze über die Heilige Dreifaltigkeit gerissen, üblicherweise mit Pascoe als Sohn und Wield als Heiligem Geist. Novello als annähernd gute Katholikin bevorzugte Pascoe als Heiligen Geist. Aber der dicke Andy Dalziel war unbestritten der Allmächtige. Wenn man ihn verärgerte, konnte man nur hoffen, daß einen sein Wutschnauben schnell außer Reichweite blies. Es war ein kleiner Trost zu wissen, daß niemand verschont blieb. Selbst der heilige Peter Pascoe bekam sein Fett weg. Der erste und letzte Satz des kriminalpolizeilichen Glaubensbekenntnisses hieß folglich: Ich glaube an Andy Dalziel. Aber Glaube ohne gute Taten brachten einen nicht in den Himmel, und obwohl der fette Prophet vorausgesagt hatte, daß die Befragung der Kinder reine Zeitverschwendung sei, würde er vermutlich trotzdem irgendein positives Ergebnis erwarten.
Deshalb war sie sehr erleichtert, als sie in der Zentrale nur Wield vorfand. Er brütete über einer dicken Akte. In der Hand hielt er eine Dose Mineralwasser.
Er sagte: »Der Kühlschrank ist gekommen. Bedienen Sie sich.«
Dankbar nahm sie eine Dose Limonade. Sie hätte sie gern unter ihr T-Shirt geschoben und hin und her gerollt, aber sie vermied instinktiv alles, was ihre männlichen Kollegen allzu deutlich auf ihr Geschlecht aufmerksam machte. Selbst bei Wield.
Vielleicht, dachte sie, haben wir vieles gemeinsam.
»Und? Glück gehabt?« fragte er ohne aufzusehen.
»Nicht viel. Anscheinend hat Lorraine ein geheimes Versteck oben am Ligg Beck, aber keiner weiß, wo.«
»Das ist ja wohl klar, wenn es geheim ist«, erwiderte Wield mit kindlicher Logik. Er schloß die Akte. Verkehrtherum las sie DENDALE.
»Nichts vom Suchtrupp bisher, Chef?«
»Nichts.«
»Dann könnte es sein, daß sie längst weg ist.«
»Der Superintendent scheint anzunehmen, daß sie immer noch hier in der Gegend sind.«
Sie bemerkte den Plural. Er merkte, daß sie es bemerkt hatte, korrigierte sich aber nicht.
»Was meinen Sie denn, Chef?« wollte Novello wissen.
Er sah sie nachdenklich an. Ihr fiel zum erstenmal auf, daß er hübsche Augen hatte, ein mittelmeerblauer Ring um eine dunkelgraue Iris, umgeben von reinstem Weiß, ohne auch nur ein sichtbares rotes Äderchen. Als fände man Juwelen in einer Ruine.
Er sagte: »Ich glaube, Ihnen liegt was auf der Seele, das Sie gern loswerden möchten. Wegen dem blauen Kombi, wie ich vermute.«
Das war Aufforderung genug. Sie ging zur Landkarte an der Wand und erklärte: »Die Straße zum Highcross Moor verläuft viereinhalb Meilen ohne Abzweigungen geradeaus, abgesehen von ein paar Zufahrtsstraßen zu Bauernhöfen, bis sie dann einen Knick nach Osten macht und da auf die Hauptstraße trifft. An der Stelle ist ein Pub, das Highcross Inn. Ich würde gern auf allen Höfen an der Straße nachfragen und auch im Pub, ob sonst noch jemand diesen blauen Kombi gesehen hat.«
Nun, da sie es ausgesprochen hatte, klang ihre Theorie recht dünn. Sie war froh, daß nicht Dalziel vor ihr stand.
Wield meinte: »Unsere Männer sind auf all diesen Höfen gewesen.«
»Ja, aber sie haben Scheunen, Schuppen und Ställe durchsucht. Ich würde spezielle Fragen über ein spezielles Fahrzeug stellen.«
»Sie haben da wohl so eine Ahnung mit diesem Kombi, oder?«
»So ähnlich«, gab sie widerstrebend zu.
»Haben Sie schon mal was im Lotto gewonnen?«
»Zehn Pfund.«
»Das reicht nicht als Pension, wenn Mr. Dalziel Sie dabei erwischt, wie Sie bloßen Ahnungen nachlaufen«, meinte Wield. »Aber da ich im Moment sowieso nichts anderes für Sie habe, schwirren Sie meinetwegen ruhig ab. Lassen Sie aber Ihr Funkgerät an, und wenn Sie gerufen werden, kommen Sie unverzüglich zurück, ohne irgendwelche Ausreden über schlechten Empfang in den Bergen oder ähnliches. Verstanden?«
»Klar, Chef. Danke.«
Und schnell, bevor er es sich anders überlegen konnte, drehte sie sich um und eilte erneut hinaus in die Hitze.
Als sie in den Wagen stieg, sah sie George Headingleys blitzenden Lada auf den Parkplatz fahren. Sie röhrte freundlich winkend in ihrem klapprigen Golf an ihm vorbei. George hatte schon immer als besonnener Mensch gegolten, aber je näher seine Pensionierung rückte, desto obsessiver wurde sein Hang zur Besonnenheit. Privat gab er keinen Penny zuviel aus, und man munkelte, er habe bis auf die Stunde genau den besten Zeitpunkt zum Antritt seines Ruhestands berechnet. Beruflich richtete er sich strikt nach den Vorschriften, und wenn die Vorschriften ihm nicht weiterhalfen, tat er das, was seiner Meinung nach dem Chief Constable und Andy Dalziel am besten gefallen würde – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Wäre Headingley zehn Minuten eher gekommen, hätte sie ihren Ahnungs-Trip vergessen können. »Machen Sie uns doch einen Tee, Shirl«, hätte er gesagt. »Und dann können Sie das Telefon hüten, bis der Superintendent zurückkommt.«
So aber war sie erst einmal frei. Sie fuhr die ansteigende Straße hinauf, kurbelte das Fenster runter und schob ihr T-Shirt hoch, um im Durchzug etwas abzukühlen.
Zunächst fuhr sie zu der Stelle, wo Geoff Draycott den blauen Kombi hatte anhalten sehen. Der Stadtrat hatte offenbar vorausgesehen, daß an dieser Stelle viele Leute wegen des Ausblicks aussteigen würden, und im Zuge der Straßenverbreiterung einen kleinen befestigten Parkplatz inklusive Bank, Tisch und Abfalleimer errichten lassen.
Sind wir denn die einzige Rasse auf der Welt, überlegte Novello, die an einem Ort überwältigender Naturschönheit ohne Abfalleimer ihren Müll einfach auf dem Boden verteilt?
Sie stieg aus und genoß die in jede Himmelsrichtung sehenswerte Aussicht. Sie hatte ein Fernglas dabei und betrachtete damit die friedlichen Häuser von Danby, deren graue und blaue Schieferdächer und rote, gelbe, braune und ockerfarbene Ziegeldächer in der Sonne gebacken wurden. Dann verfolgte sie die gewundene Spur des Ligg Beck den Talhang hinauf. Sie spürte ihre gute Laune schwinden, als sie einen Range Rover der Polizei entdeckte und wieder daran erinnert wurde, warum sie hier war.