»Benny ist für Danby das, was Freddy für die Elm Street war«, erwiderte Pascoe. »Eine Legende, die auf einer schrecklichen Wahrheit beruht.«
Er sah, wie sie ein Schmunzeln unterdrückte, und vermutete, daß er wohl eine Spur zu pathetisch geklungen hatte.
»Sorgen Sie nur dafür, daß jeder Quadratzentimeter Boden abgesucht wird«, sagte er abrupt. »Ist Sergeant Clark in der Nähe?«
»Ja. Und gibt acht, daß seine Ortskenntnisse ja niemandem zugute kommen«, entgegnete Burroughs mürrisch.
»Er ist ein guter Mann. Sie wissen, daß er Dorfpolizist in Dendale war, als das vor fünfzehn Jahren passierte?«
»Ich bezweifle, daß es jemanden gibt, der älter als zwei Jahre ist und dem er das noch nicht unter die Nase gerieben hat. Er muß hier irgendwo rumhängen.«
Pascoe lag unwillkürlich ein Ratschlag auf der Zunge. Mach dir Freunde, solange du nicht stark genug für Feinde bist. Aber er behielt ihn für sich. Vielleicht war sie der Andy Dalziel von morgen. Pascoe selbst hielt sich an das Motto: Du mußt die Dummheit der anderen nicht heiter ertragen, doch meist ist es sinnvoll, sie still zu ertragen. Abgesehen davon hielt er Clark nicht für dumm, sondern für einen verläßlichen, unerschütterlichen und altmodischen Polizisten, den Ellbogentypen wie Burroughs als eine Art Dinosaurier betrachteten.
Er fand Clark rauchend im dürftigen Schatten einiger Stechginsterbüsche.
Als er näherkam, ließ der Sergeant den Stummel schuldbewußt zu Boden fallen und zertrat ihn mit dem Absatz.
»Vergewissern Sie sich, daß er wirklich aus ist«, sagte Pascoe. »Mir ist lieber, Sie zerstören Ihre Lungen als den Berg hier. Also, erzählen Sie mir was über Jed Hardcastle.«
»Ach ja. Jed. Sie sollten wissen, daß Jed der jüngste der Hardcastles aus Dendale ist …«
»Ja, ja, und er wohnt auf Stirps End und hat eine Schwester, June, und sie kommen mit ihrem Vater nicht aus, das weiß ich alles«, unterbrach Pascoe ungeduldig. »Was ich von Ihnen wissen wilclass="underline" Warum denken Sie, daß er für das Geschmiere verantwortlich ist?«
Er hatte seine Informationen von Mrs. Shimmings erhalten und ahnte nicht, wie sehr seine Unterbrechung Shirley Novello gestunken hatte.
»Jed Hardcastle?« hatte die Lehrerin gesagt. »Ja, den kenne ich gut. Seine älteste Schwester war eines der verschwundenen Mädchen aus Danby, aber das wissen Sie ja wahrscheinlich.«
»Ja. Erzählen Sie mir von Jed.«
»Tja, er ist das jüngste der drei Kinder und war erst zwei, als sie hierher zogen, also ist er in Dendale zur Schule gekommen.«
»Dann kann der Umzug keine großen Auswirkungen auf ihn gehabt haben«, meinte Pascoe.
»In einer Familie aufzuwachsen, in der ein Kind verlorenging, hat so seine ganz speziellen Auswirkungen, kann ich mir vorstellen«, erwiderte sie ruhig. »Und bei den Hardcastles ganz besonders. Keines der beiden Kinder durfte je vergessen, was mit Jenny passiert war. Cedric gab sich selbst die Schuld, weil er nicht besser auf sie aufgepaßt hatte, und achtete infolgedessen auf June, die jüngere Schwester, als sei sie die künftige Kaiserin von China. Sie durfte nichts ohne strenge Aufsicht unternehmen. Als Kind war das wohl noch nicht so schlimm, aber später als Teenager … na ja, Sie wissen ja, wie Mädchen in dem Alter so sind.«
»Ich freue mich schon darauf, es zu erleben«, sagte Pascoe. »Meine Tochter ist sieben.«
»Dann seien Sie gewarnt. Mit sieben war June ein stilles, folgsames Kind, aber mit fünfzehn wurde sie allmählich rebellisch. Eines Tages riß sie aus und fuhr in die Stadt. Sie wurde aufgegriffen und zurückgebracht. Ein Jahr später riß sie wieder aus, diesmal nach London. Es dauerte ein paar Monate, bis sie Kontakt zu ihr aufnehmen konnten. Aber sie kommt nicht wieder zurück, das hat sie ihnen deutlich zu verstehen gegeben.«
»Und Jed?«
»Ähnliche Geschichte. Nur daß er in zweierlei Hinsicht leiden mußte. Zum einen unter übertriebener Fürsorge zu einer Zeit, in der er seine Selbständigkeit hätte erproben müssen. Und zum anderen unter der gängigen Vorstellung eines Yorkshire-Bauern, ein einziger Sohn müsse nach dem Tod seines Vaters in dessen Fußstapfen treten, bis dahin aber als unbezahlter Hofarbeiter ohne jegliche Rechte ausgebeutet werden. Hinzu kommt, daß Jed ein eher schmächtiger Junge und sehr sensibel ist. Und immer hören zu müssen, daß die tote Schwester eine größere Hilfe war, als sie nur halb so alt war, ist auch nicht besonders ermutigend.«
»Aber er ist seiner Schwester nicht in die große Stadt gefolgt?«
»Nein. Er ist ein bißchen in Schwierigkeiten geraten, nichts Ernsthaftes, jugendlicher Vandalismus, solche Sachen. Und mit seinem Vater hat er sich vermutlich permanent gestritten. Der Himmel weiß, wie das geendet hätte, aber Mr. Pontifex – es ist sein Hof, den Cedric gepachtet hat – merkte, was da los war und nahm Jed unter seine Fittiche, verschaffte ihm einen Job in seinem Pachtbüro. Wie ich sagte, er ist klug, lernt schnell und kann es in der richtigen Umgebung zu etwas bringen.«
»Und das ist nicht unbedingt die Scheune.«
»Vor allem nicht, wenn der eigene Vater ihm ständig unter die Nase reibt, wie nutzlos er doch ist«, stimmte Mrs. Shimmings zu.
»Aber er wohnt immer noch zu Hause?«
»Das war das Hauptziel der ganzen Übung. Alle waren sich einig, wenn Jed auch noch von zu Hause weggeht, bringt seine Mutter entweder sich selbst oder ihren Mann um, bevor der nächste Tag vorüber ist.«
Das alles hätte er zweifellos auch von Clark erfahren können, aber wenn es um das psychologische Profil eines Jugendlichen ging, verließ er sich lieber auf Mrs. Shimmings professionell geschultes Auge.
Clark sagte: »Nach unserm Gespräch gestern hab ich ’ne Liste der möglichen Täter zusammengestellt. Wir hatten vor ’ner Weile schon mal Ärger mit diesen Sprühdosen-Schmierfinken, und ich hatte damals ein halbes Dutzend im Visier …«
»Aber Hardcastle war nicht dabei«, meinte Pascoe. »Ich hab seinen Namen in den Computer gefüttert. Keine Angaben.«
»Es gab nicht genug Beweise, um vor Gericht zu geh’n, also kümmerte ich mich selbst darum«, erwiderte Clark und hieb mit der rechten Handkante durch die Luft.
»Also hatten Sie nur noch eine kurze Liste. Wie kam es, daß Sie Hardcastle herauspickten?«
»Hab mich umgehört«, antwortete Clark vage. »Drei von den Jungs, mit denen ich gesprochen habe, zeigten mit dem Finger auf Jed und seinen Kumpel, Vernon Kittle.«
Dieses Mal sparte er sich die Geste, aber Pascoe konnte sich die Art der Erkundigungen vorstellen. Wichtiger war allerdings die Zuverlässigkeit der Antworten.
»Dieser Kittle, ist von dem was bekannt?«
»Ein Rowdy. Hält sich für ’n starken Typen. Macht mächtig Eindruck auf Jed, sonst aber auf kaum jemanden.«
»Warum haben Sie dann gestern nacht nichts unternommen?« wollte Pascoe wissen.
»Sonntag. Da ist jeder irgendwo unterwegs, deshalb hab ich so lang gebraucht, um die meisten überhaupt aufzustöbern.«
»Trotzdem …«
»Und Jed war nicht zu Hause«, fuhr Clark fort. »Ist mit Kittle und ein paar Puppen in dessen Bus ans Meer gefahren. Molly, also Mrs. Hardcastle, sagte, sie wüßte nicht, wann sie zurückkommen. Diese jungen Burschen … na, Sie wissen schon. Also dachte ich, ich könnte es auch bis heute morgen aufschieben und dann an Sie weitergeben.«
Wield hatte also richtig gedacht. Ein kleines Geschenk an Pascoe, weil er den Sergeant gestern vor Dalziels Zorn bewahrt hatte. Sie standen nicht gern in der Schuld, diese Yorkshire-Leute. Und sie wurden nicht gern als Dummköpfe behandelt, wie Maggie Burroughs eines Tages vielleicht noch auf schmerzliche Weise erfahren würde.