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»Sagen Sie, Nobby, diese ganze Sache mit Dendale – was meinen Sie? Zeitverschwendung – oder könnte es einen Zusammenhang geben?«

Der Sergeant zögerte. Er wägte sichtlich die Bedeutung des Wechsels auf eine neue, vertraulichere Ebene ab, die der Gebrauch seines Spitznamens andeutete.

Dann sagte er: »Könnte wohl sein. Aber ich hoffe nicht.«

»Warum nicht? Wenn sich herausstellt, daß ein Zusammenhang besteht, könnten wir vier Rätsel auf einmal lösen.«

»Vielleicht. Aber was ist, wenn wir nur einen Haufen schlafender Hunde wecken, und das ganz umsonst? Die Leute haben grad angefangen, an Dendale zu denken, ohne sich dabei gleich an die armen Mädchen zu erinnern. Das war schrecklich damals, aber das Leben ist voll mit schrecklichen Dingen, und die sollten einem nicht alles verderben dürfen, was schön ist.«

Es klang wie eine Rechtfertigung, so als spürte er bereits einen Protest oder gar Spott wegen seiner ausgefallenen Wortwahl.

»Und Dendale war schön, oder nicht?« sagte Pascoe.

»O ja. Es war ein prima Ort, mit prima Leuten. Natürlich hatten wir auch unsere Bösewichter, und wir hatten gute und schlechte Zeiten, aber nichts, das wir nicht allein in den Griff kriegen konnten. Ich wär froh gewesen, meinen Lebensabend dort verbringen zu können, das sag ich Ihnen, auch ohne die Beförderung.«

Er sprach mit einer Leidenschaft, die Pascoe schmunzeln ließ.

»Das klingt ja, als sei es das Paradies gewesen«, sagte er.

»Na ja, wenn’s nicht das Paradies war, dann war’s zumindest gleich nebenan und so nah, wie ich jemals drankommen werde«, entgegnete Clark. »Dann wurde alles kaputtgemacht. Von dem Augenblick an, wo Mr. Pontifex sein Land verkaufte – so sahen es zumindest die meisten.«

»Welche Rolle spielte dann Mr. Pontifex? Die der Schlange? Oder nur die der armen, gutgläubigen Eva?«

Er war mit seiner Ironie zu weit gegangen, das merkte er sofort. Hier in Yorkshire schmunzeln sie über ein wenig plumpen Sarkasmus, aber bei feiner Ironie werden sie sofort skeptisch, ob da nicht versteckte Herablassung im Spiel ist.

»Das können Sie ja selbst rausfinden«, brummte der Sergeant. »Jed arbeitet für ihn, also müssen wir ohnehin zum Grange-Anwesen fahren, wenn Sie mit dem Burschen sprechen wollen.«

»O ja, das will ich«, sagte Pascoe. »Sie voran.«

Das Grange-Anwesen entpuppte sich als angenehme Überraschung. Es war kein finsterer Adels-Prunkschuppen aus Granit, wie Pascoe erwartet hatte, sondern ein langgestrecktes niedriges Haus der elisabethanischen Ära aus weichem Yorkshire-Gestein.

Wie es aussah, befand sich das Pachtbüro in den umgebauten Pferdeställen, denn nichts deutete darauf hin, daß hier lebendige Transportmittel benutzt wurden. Nur ein großer blauer Daimler Benz stand vor dem Haus.

Sie parkten im Schatten einiger alter Eiben und gingen zu Fuß über den Hof zum Büro. Derweil öffnete sich die Bürotür, und ein Mann mit silbergrauem Haar und einem schmalen, hochmütig wirkenden Gesicht trat heraus. Er ging wohl auf die Siebzig zu und trug einen Gehstock mit einem silbernen Griff in Form eines Fuchses, der perfekt zu seiner Haarfarbe paßte. Tatsächlich schien dieser Stock mehr der Effekthascherei denn der Notwendigkeit zu dienen, da der Mann mit federnden Schritten auf sie zukam.

»Sergeant Clark«, sagte er. »Das ist ja eine furchtbare Geschichte. Habe ich das Vergnügen, mit Superintendent Dalziel zu sprechen?«

Ein Mann, der das glauben kann, glaubt sicher alles, dachte Pascoe spontan, sagte es aber glücklicherweise nicht.

»Nein, Sir. Detective Chief Inspector Pascoe. Mr. Dalziel läßt grüßen, muß jedoch dringende Geschäfte in der Stadt erledigen.«

Ein Lächeln, das ihn vollkommen veränderte, machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit.

»Das ist nicht die Art Sprache, die meine Spione mir von Mr. Dalziel zutrugen«, sagte er. »Und wenn ich Sie jetzt etwas genauer betrachte, sehe ich, daß Sie auch vom Aussehen her nicht dieser Mann sein können. Verzeihen Sie bitte. Ich muß wirklich lernen, mich zurückzuhalten.«

Er war sehr nahe an Pascoe herangetreten und hatte seine Hand geschüttelt. Jetzt verstand Pascoe den Grund für den verkniffenen und hochmütig erscheinenden Gesichtsausdruck. Der Mann war schrecklich kurzsichtig. Vermutlich benutzte er den Stock, um Hindernisse auf unbekanntem Gelände zu erkennen.

Clark war einige Schritte auf das Büro zugegangen. Er blieb stehen und sah Pascoe fragend an. Pascoe nickte leicht, und er trat ein.

»Sagen Sie mir, Mr. Pascoe, gibt es denn etwas Neues?« fragte Pontifex.

»Ich fürchte nein«, antwortete Pascoe. »Wir können nur hoffen.«

»Und beten«, meinte Pontifex. »Ich habe gehört, daß sie im Ort von diesem Lightfoot reden, den so viele für die verschwundenen Mädchen in Dendale verantwortlich machten. Aber da ist doch sicher nichts dran, oder?«

Pascoe hatte das Wort »sicher« schon überzeugter gehört.

Er sagte: »Im Moment, Sir, halten wir uns alle Möglichkeiten offen.«

Der Mann hatte seine Hand losgelassen, stand aber noch immer unangenehm nahe. Pascoe wandte sich ab, um das Haus zu betrachten, und nahm dies zum Anlaß, ein paar Schritte wegzutreten.

»Hübsches altes Haus«, meinte er anerkennend. »Elisabethanisch?«

»Der Hauptteil ja. Mit späteren Anbauten, aber immer stilgemäß.«

»Sie können von Glück reden, daß Sie Vorfahren mit solch gutem Geschmack hatten.«

»Schön wär’s. Aber der erste Pontifex in diesem Haus war mein Vater, dessen Modernisierungswahn womöglich mehr Schaden anrichtete als sonst irgend etwas in den vierhundert Jahren davor.«

»Dann hat er das Anwesen gekauft?«

»Ja, in den späten Zwanzigern. Der Kerl, dem es gehörte, war in der Depression bankrott gegangen. Hatte sich zu oft verspekuliert. Mein Vater zog ein und machte sich ans Vergrößern. Er kaufte alles, was ihm unter die Finger kam, und so gehörten ihm bald eine ganze Reihe von Bauernhöfen drüben in Dendale. Aber nicht genug für ein profitables Ganzes. Um einen Großgrundbesitz bewirtschaften zu können, muß eine Einheit da sein, eine Mauer um alles herum, sozusagen. Aber in Dendale gab es zu viele Lücken. Auch wenn der Damm nicht gebaut worden wäre, hätten die Grundstücke verkauft werden müssen.«

Pascoe hatte den Eindruck, eine gut geübte und oft wiederholte Entschuldigung zu hören. Er vermutete, daß so manche die schlichte Abfolge der Geschehnisse – Pontifex verkauft das Land, der Damm wird gebaut, die Kinder verschwinden – als Aneinanderreihung von Ursache und Wirkung betrachteten. Aber es war erstaunlich, daß ein nüchterner Geschäftsmann sich von solchem Geschwätz hatte anstecken lassen.

»Sir, er ist weg.«

Clark war aus dem Büro gekommen.

»Weg? Wohin?«

»Der Pachtverwalter sagt, er hätte uns durchs Fenster geseh’n, und als nächstes ist der Junge verschwunden.«

»Wollten Sie etwa Jed sprechen?« fragte Pontifex und klang erleichtert. »Aus einem bestimmten Grund?«

»Wir überprüfen nur alle möglichen Leute, um herauszubekommen, ob sie gestern einen Verdächtigen gesehen haben, Sir«, erklärte Pascoe ausweichend.

»Natürlich. Einer Ihrer Kollegen war auch schon hier. Ich konnte ihm leider nicht helfen. Sie sehen ja, wie schlecht meine Augen sind.«

Wollte er etwa ein Alibi? überlegte Pascoe.

Er gab Pontifex die Hand und verabschiedete sich. Als er zum Wagen zurückging, fragte er Clark: »Hat Pontifex Familie?«

»Eine Tochter. Er ist geschieden. Die Frau hat das Sorgerecht.«

»Dann lebt er allein hier. Hilft er noch anderen Burschen, oder ist Jed der einzige?«

Clark warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Da ist nix dergleichen«, entgegnete er voller Abscheu. »An so was brauchen Sie gar nicht zu denken.«

»So etwas meinte ich auch gar nicht«, protestierte Pascoe. Oder doch? So wie es sich anhörte, war das in Danby noch immer ein Grund zur Steinigung. Er sollte Wieldy besser warnen.