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Und die meisten Leute im Tal waren genauso enttäuscht. Das Konzert sollte kurz vor dem großen Umzug stattfinden, und im Jahr danach würde es keinen Gemeindesaal und kein Tal mehr für einen Auftritt geben.

Dann hörten wir, daß Mr. Wulfstan Reverend Disjohn überredet hatte, das Konzert statt dessen in St. Luke’s stattfinden zu lassen, und es war, als ob wir eine Schlacht gewonnen hätten.

Aber all das lenkte uns nicht von Madges Verschwinden ab. Immer, wenn man einen Polizisten sah, und man konnte jeden Tag einen sehen, kam alles wieder hoch. Alle Kinder, die Madge gekannt hatten, wurden von einer Polizistin befragt, und ich am meisten, wo ich doch ihre beste Freundin gewesen war. Sie war sehr nett, und es machte mir nix aus, mit ihr zu reden. Es war auf jeden Fall besser, als die Fragen zu beantworten, die Mr. Telford ständig stellte. Ich mochte Mrs. Telford sehr gern, und Madges Onkel George, der Bruder von ihrem Dad, der mit ihm zusammen in der Tischlerei arbeitete, der war auch in Ordnung. Aber Mr. Telford machte mir ein bißchen angst, vielleicht, weil er für das Tal die Särge schreinerte und bei jeder Beerdigung einen schwarzen Anzug trug. Madge war, wie ich, die einzige Tochter, mit dem Unterschied, daß ich für meinen Vater meistens Luft war, während Madge für Mr. Telford wie eine Göttin oder Prinzessin oder so war. Nicht, daß er nie mit ihr geschimpft hätte, aber das war bloß, weil er sich so große Sorgen um sie machte. Wenn sie zum Beispiel spät nach Hause kam, und wenn es nach der Schule nur zehn Minuten waren, sagte er ihr, er würde sie zu den Särgen sperren, bis sie gehorchen würde. Ich glaube nicht, daß es Madge etwas ausgemacht hätte. Manchmal schlichen wir uns heimlich in den alten Stall, wo er die Särge aufbewahrte, und spielten dazwischen herum oder kletterten manchmal sogar rein. Ich will damit nicht sagen, daß es mir da drin besonders gefallen hätte, aber es wäre besser gewesen als Hiebe mit dem Gürtel. Jedenfalls hat er es nie getan. Wenn er seinen Sonnenschein wiederhatte, gab er normalerweise jemand anderem die Schuld, mir zum Beispiel, weil ich Madge angeblich aufgehalten hätte. Und nun war er die ganze Zeit hinter mir her, wahrscheinlich, weil er jemand brauchte, dem er die Schuld geben konnte. Aber ich glaube, die meiste Schuld gab er sich selbst. »Alles wär anders, wenn sie bloß zurückkommen würde«, sagte er immer. »Dann würd ich sie nie mehr aus den Augen lassen.«

Aber ich glaube, er wußte genau wie ich, daß sie nie mehr zurückkommen würde.

Die Polizistin fragte mich alles mögliche, zum Beispiel, ob Madge je was von einem Mann erzählt hätte, der sie belästigt hat? Und wie sie sich mit ihrem Vater und Onkel George verstehen würde. Und ich sagte nein, und gut. Dann fragte sie nach dem Nachmittag, wo sie verschwunden ist, und ob ich irgend jemand in der Nähe vom Haus gesehen hätte, als ich im Garten nach Madge suchte. Und ich sagte nein. Und sie fragte, auch nicht Benny Lightfoot? Und ich sagte, ja doch, ich glaube, ich hab Benny ein Stück weiter oben am Berg gesehen, aber auf Benny achtet doch niemand. Und da fragte sie mich dann nach dem Mal, an dem wir im Wasser gespielt hatten und Jenny verschwunden war, ob ich Benny an dem Tag auch gesehen hätte. Und ich sagte ja, ich glaube schon. Und sie fragte, warum ich das damals nicht gesagt hätte, und ich erklärte, daß ich nicht gedacht hatte, daß es wichtig war, wenn man Benny gesehen hat.

Niemand im Tal traute Benny Lightfoot damals was Böses zu, und es wurde geradezu als Schande betrachtet, als der Polizeiwagen den Pfad zu Neb Cottage raufrumpelte, direkt unterhalb vom Neb, wo er mit seiner Oma wohnte. Nobby Clark erklärte, der Fettbrocken ohne Uniform hätte ihn ständig gelöchert, ob hier in der Gegend einer wohnen würde, der ein bißchen seltsam ist. »Ich hab ihm gesagt, ich kenne kaum jemand, der nicht ’n bißchen seltsam ist«, erzählte er. (Das wurde als guter Witz betrachtet und machte schnell im Tal die Runde.) Aber er mußte ihm von Benny erzählen.

Benny war ungefähr neunzehn, und ich hatte gehört, daß er als Junge mal einen Unfall gehabt hatte und deswegen ein Stück Metall im Kopf trug, und vielleicht war er deswegen so schüchtern, vor allem mit den Mädchen. Man sah den langen Schlaks auf Veranstaltungen in der Gemeindehalle rumstehen oder oben im Wintle Wood, wo die großen Jungs und Mädchen an lauen Abenden rumschmusten. Aber wenn er merkte, daß man ihn entdeckt hatte, verschwand er so schnell, daß man sich fragte, ob man ihn wirklich gesehen hatte. »Der Name paßt wie die Faust aufs Auge«, sagten die Leute immer und alle hatten ihren Spaß, als sie hörten, daß Benny, sobald der Polizeiwagen vor ihrer Hütte anhielt, hinten raus und auf den Berg gelaufen war.

Einer der Polizisten versuchte, ihn zu fangen, aber das hatte keinen Sinn. Einmal hatten sie Benny überredet, an den Danby Tops teilzunehmen, das ist das große Bergrennen zur Kirmes im August. Sie brachten ihn zum Start, und als die Pistole losging, rannte er los wie der Blitz, und als sie eine halbe Stunde später oben am Lang Neb wieder Richtung Danby umkehrten, war er allen eine halbe Meile voraus. Er sprang da runter wie ein losgetretener Bergkiesel, hüpfte von Vorsprung zu Vorsprung, ohne daß hinter ihm ein anderer Läufer zu sehen gewesen wäre. Dann hörte er die Menge jubeln und blieb ein paar hundert Fuß oberhalb vom Jahrmarkt auf der Gemeindewiese Ligg Common stehen und sah auf all die Leute runter.

Dann drehte er sich plötzlich um und rannte den Berg fast so schnell wieder rauf, wie er gekommen war, und ich wette, er hat keine Pause gemacht, bis er zur Hütte seiner Oma in Dendale kam.

Also, wie ich sagte, die meisten Leute lachten, als sie das hörten, weil sie wußten, daß es Zeitverschwendung war, hinter Benny herzulaufen, vor allem, weil sie überzeugt waren, daß die Polizei nicht nach einem Einheimischen suchen mußte, sondern nach einem Auswärtigen, und höchstwahrscheinlich nach einem von der Baustelle am Staudamm.

Die Männer waren nun schon eine lange Zeit dagewesen. Sie hatten gleich mit der Arbeit angefangen, als Mr. Pontifex all seinen Grundbesitz in Dendale verkauft hatte. Mit dem Damm selber konnten sie aber erst anfangen, als das Ergebnis der öffentlichen Umfrage da war, aber das machte auch keinen Unterschied, wie ich meinen Dad später sagen hörte. Die Wasserbehörde wußte, daß sie genau das Ergebnis kriegen würde, das sie brauchte, und als es feststand, hatten sie oben am Highcross Moor zwischen dem Neb und Beulah Height schon neue Entwässerungsgräben gelegt, so daß das Gebiet, das damals ein großer Sumpf war, sich in einen kleinen Bergsee verwandelt hatte, der nur darauf wartete, ins Tal runtergespült zu werden. Und am Dale End hatten sie schon die Felder niedergewalzt und Straßen für die schweren Fahrzeuge geteert und Hütten für die Bauleute aufgestellt.

In dem langen heißen Sommer, als der Damm fast fertig war, waren sie also schon eine ganze Weile dagewesen, und im Tal hatte man sich an sie gewöhnt. Es gab hin und wieder Ärger, aber nicht viel. Als an Weihnachten ein paar Hühner gestohlen wurden und jemand anfing, Unterhöschen von den Wäscheleinen zu klauen, sagte jeder, daß das wohl die Bauleute waren, und Nobby Clark ging hin und redete mit ihnen, aber abgesehen davon störten sie keinen. Manchmal gingen sie ins »Holly Bush«, aber sie hatten ihre eigene Kneipe und Kantine und einen Freizeitraum unten am Dale End und schienen lieber unter sich zu bleiben. Aber einer von ihnen war anders. Der Mann hieß Geordie Turnbull.