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Er öffnete die Tür und sagte: »Mein Gott!«

Detective Superintendent Andrew Dalziel (»Dii-ell«, wie er mit Nachdruck zu korrigieren pflegte, wenn jemand seinen schottischen Namen falsch aussprach), immer für eine Überraschung gut, trug ein grellbuntes Hawaiihemd, das sogar einen Adler zum Blinzeln gebracht hätte.

»Sie strotzen ja wie immer vor Optimismus«, meinte er mit einem Blick auf die Regenjacke. »He, was’n das? Die Melodie kenn ich.«

Sein Musikwissen war noch frappanter als sein Hemd. Wie ein Kind im Banne des Rattenfängers, schob sich der Dicke an Pascoe vorbei und steuerte durchs Haus auf die Terrasse zu, wo das Radio lief.

»You must not dam up that dark infernal«, sang der kräftige junge Mezzosopran. »But drown it deep in light eternal!«

»Andy!« sagte Ellie und sah überrascht auf. »Ich dachte, Sie hätten es eilig. Zeit für einen Drink? Oder ein Stück Quiche?« Sie griff nach dem Radioknopf.

»Nee, lassen Sie nur. Das ist Mahler, oder?«

Nur mit Mühe konnte Ellie ihr Erstaunen unterdrücken.

»Richtig«, erwiderte sie. »Sind Sie ein Fan?«

»Das nicht grade. Aber das Lied wird normalerweise auf deutsch gesungen, oder?«

»Stimmt. Ich höre es zum ersten Mal auf englisch.«

»So deep in my heart a small flame died. Hail to the joyous morningtide!«

Die Stimme verklang. Die Begleitung setzte die getragene Melodie noch eine halbe Minute fort und erstarb dann ebenfalls.

»Elizabeth Wulfstan sang das erste von Mahlers ›Kindertotenliedern‹«, verkündete der Sprecher. »Für mich eine ganz neue Stimme, Charmian. Vielversprechend, wenn auch eine seltsame Wahl für die erste Plattenaufnahme. Noch dazu in ihrer eigenen Übersetzung, wie ich annehme.«

»Das stimmt«, antwortete Charmian. »Und ich bin ebenfalls der Meinung, daß nicht viele Zweiundzwanzigjährige einen solch anspruchsvollen Liederzyklus in Angriff nehmen, aber es haben vielleicht auch nicht alle Zweiundzwanzigjährigen eine solch ausgereifte Stimme.«

»Das mag wohl sein, aber ich finde trotzdem, daß es eine schlechte Wahl war. Sie bemüht sich zu sehr um Wirkung, so als würde sie der Musik und den Worten allein nicht zutrauen, das Wesentliche auszudrücken. Mehr nach der Pause, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Sie hören ›Coming Out‹ am Wochenende, und wir stellen Ihnen die aktuellen Neuerscheinungen vor.«

Ellie schaltete das Radio ab.

»Andy, alles in Ordnung?«

Der Dicke stand da wie verhext, jetzt nicht mehr wie das Kind aus Hameln, das der Rattenfänger mit sich fortlockte, sondern wie ein schottischer Edelmann nach einem Schwatz mit den Hexen.

»Och, mir geht’s gut. Mir läuft’s nur grade eiskalt über’n Rücken.« Er holte tief Luft. »Dieses Mädchen … hat er Wulfstan gesagt?«

»Ja, genau. Sie wird auf dem Dales Festival singen. Für die CD habe ich eine Anzeige in meinem Musikfachblatt gesehen, mit Vorteilspreis bei Sofortbestellung, müßte eigentlich jeden Tag geliefert werden. Aber vielleicht hätte ich diese Besprechung vorher hören sollen, hm? Was meinen Sie als Experte, Andy? Und sind Sie sicher, daß Sie keinen Drink wollen?«

Die feine Ironie riß Dalziel aus seinen Gedanken, und ihm war anzusehen, daß er jetzt erst Ellies Bikini registrierte, aus dessen Stoff man für ihn nicht einmal einen Hemdkragen hätte nähen können.

»Also, meine Liebe, ich versteh nix von Musik. Und wir haben keine Zeit mehr für einen Drink. Tut mir leid, daß ich Peter an einem Sonntag mitschleifen muß.«

Bei ihm klang »mitschleifen« tatsächlich wie ein körperlicher Akt.

Ellie war verwirrt. Drei Dinge waren absolut ungewöhnlich: Dalziel erkannte Mahler; Dalziel lehnte einen Drink ab; Dalziel machte nicht sofort eine Bemerkung über ihre Titten.

»Es scheint ja dringend zu sein«, sagte sie.

»Ja. Wenn ein Kind verschwindet, ist es immer dringend«, entgegnete er. »Wo ist die kleine Rosie?«

Allein die abrupte Nebeneinanderstellung dieser beiden Sätze war beunruhigend.

Pascoe antwortete hastig: »Sie ist das Wochenende bei einer Schulfreundin. Zandra mit Zett, stellen Sie sich vor! Zandra Purlingstone.«

Er betonte den vollen Namen scherzhaft in gewohnter Verhörmanier, mit fragendem Unterton, auf den Dalziel sofort ansprang.

»Purlingstone? Etwa die Tochter von Trockendock-Purlingstone?«

Derek Purlingstone, Generaldirektor der Mid-Yorkshire Wassergesellschaft, die privatisierte Variante der alten Wasserbehörde, hatte die drohenden Wasserkürzungen zu Beginn der diesjährigen Dürre heruntergespielt, indem er sich über die Badewut der englischen Bevölkerung lustig machte und hinzufügte: »Wenn Sie ein Schiff säubern wollen, legen Sie es schließlich auch nicht in die Badewanne, oder? Sie legen es ins Trockendock!«

Dalziels Erstaunen begründete sich auf die Tatsache, daß Purlingstone mit seinem sozialen Status und seiner Politik zu den Menschen gehörte, deren Gesellschaft Ellie normalerweise ebenso mied wie die von Kopfläusen.

»Genau der«, bestätigte Pascoe. »Zandra ist in Rosies Klasse an der Edengrove, und sie haben sich gegenseitig als beste Freundin erwählt.«

»Ach ja? Bei all dem Zaster hätte ich erwartet, daß er sie auf ’ne Privatschule schickt. Natürlich ist Edengrove eine gute Schule, und wahrscheinlich auch sehr praktisch, weil sie gleich bei ihm um die Ecke liegt.«

Dalziel klang keineswegs boshaft, aber Pascoe sah, daß Ellie sich provoziert fühlte. Die Grundschule Edengrove hatte einen exzellenten Ruf und mit Miss Martindale eine angesehene Direktorin. Sie mochte zwar gleich bei Purlingstones um die Ecke liegen, doch war sie gut vier Meilen vom Haus der Pascoes entfernt, wohingegen die private Grundschule Bullgate nur eine halbe Meile südlich lag. Aber Ellie hatte Erkundigungen eingezogen und Bullgate für zu lasch und hochtrabend befunden.

»Wenn Derek demokratisch genug ist, seine Tochter auf eine staatliche Schule zu schicken, sehe ich nicht ein, warum wir ihm einen Irrtum bescheinigen sollen, indem wir Rosie die Freundschaft mit Zandra verbieten, oder?« entgegnete sie herausfordernd.

Normalerweise hätte Dalziel nichts lieber getan, als Ellie Pascoe ein bißchen zu ärgern. Doch an diesem Morgen, auf dieser schönen Terrasse im warmen Sonnenschein, verspürte er ein solches Verlangen, in einen Liegestuhl zu sinken, sich ein kühles Bier reichen zu lassen und den Rest des Tages in Gesellschaft dieser beiden Menschen zu verbringen, die ihm mehr bedeuteten, als er jemals zugeben würde, daß er nicht einmal Lust nach einem Scheinstreit verspürte.

»Tja, Sie haben recht, meine Liebe«, sagte er also. »Wer immer nett zu Ihrem kleinen Mädchen ist, auf den soll’s Gold und Silber regnen. Aber ich dachte, ihre beste Freundin hieße Nina oder so ähnlich, nicht Zandra. Als ich neulich abends anrief und Rosie dran ging, fragte ich sie, was sie grade macht, und sie sagte, sie spielt Krankenhaus mit ihrer besten Freundin Nina. Haben die sich gestritten, oder was?«

Pascoe lachte auf und sagte: »Nina hat viele Vorzüge, aber ein Pony und ein Swimmingpool gehören nicht dazu. Zumindest kein richtiges Pony und kein richtiger Swimmingpool. Nina ist Rosies beste imaginäre Freundin. Seit Wieldy ihr letztes Weihnachten das hier geschenkt hat, sind die beiden unzertrennlich.«

Er ging ins Wohnzimmer und kam mit einem Hochglanz-Büchlein zurück, das er dem Dicken überreichte.

Auf dem Umschlag war unter dem Titel »Nina & der Nix« das Bild eines Tümpels unter dem hohen Gewölbe einer Höhle zu sehen, an dessen Rand eine schuppige, menschenähnliche Kreatur mit spitzen Zähnen und fransigem Bart saß. Die Gestalt griff über den Tümpel hinweg nach einem kleinen Mädchen, das sich die Ohren zuhielt und angsterfüllt Mund und Augen aufriß. Darunter stand »Druck: Eendale Press«.