»Achtung nun!… Scharf aufpassen! sagte der Foreloper, als er nach dem erschöpfenden Wettrennen wieder zu Athem gekommen war und die anderen sich soweit erholt hatten, daß sie ihm antworten konnten.
– Ja, wir wollen wachsam sein, antwortete John Cort, und uns bereit halten, einen Angriff abzuschlagen. Die Nomaden können nicht fern von hier sein. An dieser Stelle des Waldsaumes hatten sie gerastet, hier sind auch noch die Ueberreste eines Feuers, worin noch einzelne Funken glimmen.«
Wirklich zeigte sich in der Entfernung von fünf bis sechs Schritten ein Häuschen mattglühender Asche, aus der ein rother Schein hervorleuchtete.
Max Huber erhob sich, das Gewehr schußfertig haltend, und drang in das Dickicht unter den Bäumen ein.
Khamis und John Cort standen bereit, ihm im Nothfalle Hilfe zu bringen.
Max Huber blieb jedoch nur drei oder vier Minuten aus. Er hatte nichts Verdächtiges bemerkt, nichts erlauscht, was auf die Gefahr eines unmittelbar drohenden Angriffs hingedeutet hätte.
»Dieser Theil des Waldes ist thatsächlich verlassen, erklärte er. Die Eingebornen haben ihn sicherlich geräumt.
– Vielleicht sind sie selbst entflohen, als sie die heranstürmenden Elefanten wahrgenommen hatten, bemerkte John Cort.
– Vielleicht, denn die Feuer, die wir, Herr Huber und ich, gesehen haben, sagte Khamis, verloschen in dem Augenblicke, wo im Norden das Getöse von der Dickhäuterherde zuerst erschallte. Wer weiß, ob sie es aus Klugheit oder nur aus Furcht gethan haben. Die Leute mußten doch wohl aus Erfahrung wissen, daß sie hinter den Bäumen in Sicherheit waren. Ich kann mir kaum erklären…
– Was überhaupt unerklärlich ist, fiel ihm Max Huber in’s Wort, und übrigens ist die Nacht auch nicht die rechte Zeit für langathmige Erklärungen. Wir wollen dazu den Tag abwarten, ich muß aber gestehen, daß es mich die größte Mühe kosten wird, wach zu bleiben… die Augen fallen mir jetzt schon von selbst zu.
– Es ist jedoch ein schlecht gewählter Augenblick zum Schlafen, lieber Max, hielt ihm John Cort entgegen.
– So schlecht wie möglich, lieber John, doch der Schlaf gehorcht nicht, er befiehlt. Gute Nacht also und auf morgen!«
In der nächsten Minute war Max Huber, der sich am Fuße eines Baumes ausgestreckt hatte, in tiefen Schlaf versunken.
»Leg Du Dich neben ihn, Llanga, sagte John Cort. Khamis und ich, wir werden schon bis zum Morgen wachen.
– Dazu bin ich allein genügend, Herr Cort, antwortete der Foreloper. Ich bin an so etwas gewöhnt, und empfehle Ihnen, es Ihrem Freunde gleichzuthun.«
Auf Khamis konnte man sich ja verlassen: er würde keine Minute unaufmerksam sein.
Llanga legte sich neben Max Huber nieder. John Cort wollte seiner Müdigkeit trotzen. Eine Viertelstunde unterhielt er sich noch mit dem Foreloper. Beide sprachen von dem unglücklichen Portugiesen, mit dem Khamis schon lange in Verbindung gestanden hatte, und dessen vortreffliche Eigenschaften auch im Laufe des letzten Zuges häufig genug hervorgetreten waren.
»Der Unglückliche, meinte Khamis, hatte den Kopf verloren, sobald er sich von den schurkischen, feigen Trägern verlassen und beraubt sah.
– Der arme Mann!« murmelte John Cort.
Das waren aber die letzten Worte, die er sprach. Von der Müdigkeit überwältigt, sank er auf das Gras nieder und schlief auch sofort ein.
Khamis wachte bis zum Tagesanbruch. Er allein hielt die Augen offen, lauschte gespannten Ohres auf das leiseste Geräusch, während er immer das Gewehr bei der Hand hatte.
Sein Blick suchte die finstere Umgebung zu erkennen, zuweilen erhob sich der Mann, um da und dort sich zu überzeugen, wie es unter den Bäumen der nächsten Umgebung aussah, und immer blieb er bereit, seine Gefährten rasch zu wecken, wenn es nöthig werden sollte, sich zu vertheidigen.
Aus einzelnen Zügen hat der Leser bereits erkennen können, welcher Unterschied im Charakter der beiden Freunde, des Franzosen und des Amerikaners, herrschte.
John Cort war sehr ernster und praktischer Natur, was man ja gewöhnlich an den eingebornen Bewohnern Neuenglands beobachtet. Ein in Boston geborner Yankee, hatte er von einem solchen doch nur die rühmenswerthen Eigenschaften an sich.
Mit Vorliebe beschäftigte er sich mit Fragen der Geographie und Anthropologie, und das Studium der verschiedenen Menschenrassen interessierte ihn im höchsten Grade. Mit diesen Vorzügen vereinigte er einen großen Muth und wäre für die, die er seine Freunde nannte, gewiß der äußersten Aufopferung fähig gewesen.
Max Huber, ein Pariser Kind, und ein solches noch immer auch in den fernen Ländern, wohin ihn der Zufall im Leben verschlagen hatte, stand an Kopf und Herz gegen John Cort nicht zurück. Er war dagegen weniger praktischen Sinnes, man hätte sagen können, er »lebte in Versen,« während John Cort
»in der Prosa« lebte. Sein Temperament verlockte ihn zu den außergewöhnlichsten Dingen. Wie sich schon gezeigt hat, hätte er sich gern zu den bedauerlichsten Unbesonnenheiten verleiten lassen, sobald seine Phantasie ihm ein merkwürdiges Ziel vorgaukelte, wenn sein klug abwägender Begleiter ihn nicht davon zurückgehalten hätte. Seit der Abreise aus Libreville war dazu schon wiederholt Gelegenheit gewesen.
Libreville ist die Hauptstadt des französischen Congogebiets.
Am linken Ufer der Gabonmündungen 1849 gegründet, zählt es jetzt zwischen fünfzehn- und sechszehnhundert Einwohner.
Es ist der Sitz des Gouverneurs der Colonie, andere eigentliche Gebäude als das Wohnhaus des hohen Beamten darf man hier freilich nicht suchen. Höchstens wäre noch das Krankenhaus und die Niederlassung der Missionäre zu nennen; im übrigen besteht die Stadt dann aber, in ihren dem Handel und der Industrie dienenden Theilen, aus Kohlenschuppen, Magazinen und aus den Werftanlagen.
Drei Kilometer von der Hauptstadt liegt jedoch eine Art Vorort, das Dorf Glaß, wo sich blühende deutsche, englische und amerikanische Factoreien befinden.
Hier hatten sich Max Huber und John Cort vor fünf oder sechs Jahren kennen gelernt und bald mit einander Freundschaft geschlossen. Ihre Familien waren an der amerikanischen Factorei in Glaß ziemlich stark betheiligt, und an dieser nahmen beide jungen Männer mehr hervorragende Stellungen ein. Das Etablissement stand in voller Blüthe; es war dem Handel mit Elfenbein, Arachidenöl, Palmenwein und sonstigen Erzeugnissen des Landes gewidmet, z. B. dem mit der lösend und belebend wirkenden Gurunuß, mit der Kaffabeere, die ein durchdringendes Aroma und stärkende Eigenschaften hat, u. s. w. Alle diese Erzeugnisse wurden in großer Menge nach den Märkten Europas und Amerikas ausgeführt.
Vor drei Monaten hatten nun Max Huber und John Cort den Plan entworfen, die östlich vom französischen Congo und von Kamerun gelegenen Gebiete zu besuchen. Bei ihrer ausgesprochenen Jagdlust zögerten sie keinen Augenblick, sich einer Karawane anzuschließen, die eben im Begriffe war, von Libreville aufzubrechen, um nach diesen Landestheilen zu ziehen, wo es, vorzüglich jenseit des Bahar-el-Abiad bis zu den Grenzen von Baghirmi und Darfur, noch sehr viele Elefanten giebt. Beide kannten den Leiter dieser Karawane, den Portugiesen Urdax, der aus Loango gebürtig war und allgemein für einen erfahrenen Händler galt.
Urdax hatte seiner Zeit zu der Gesellschaft von Elfenbeinjägern gehört, der Stanley, als sie eben aus dem nördlichen Congogebiete zurückkehrte, zwischen 1887 und 1889 bei Ipoto begegnet war. Der Portugiese stand aber nicht in dem schlechten Rufe seiner Genossen, die – wenigstens die meisten – unter dem Vorwande, Elefanten zu jagen, die Eingebornen niedermetzeln, um sie zu berauben, so daß, wie der unerschrockene Erforscher Aequatorial-Afrikas sich ausdrückt, das Elfenbein, das sie heimbrachten, gewöhnlich mit Menschenblut besudelt war.
Nein, ein Franzose und ein Amerikaner konnten, ohne sich etwas zu vergeben, der Gesellschaft Urdaxens und auch des Forelopers beitreten, des Führers der Karawane, den wir unter dem Namen Khamis kennen gelernt haben und auf dessen Ergebenheit und Eifer man sich unter allen Umständen verlassen konnte.