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– Doch auch mit dem Gegentheile, fiel Max Huber ein. Wer weiß denn, ob wir nicht auf einen Wasserlauf treffen, der uns mühelos fortträgt?

– Bis jetzt scheint das nicht gerade so, lieber Max.

– Ja freilich, doch nur, weil wir noch nicht weit genug nach Westen vorgedrungen sind, äußerte sich Khamis, und es sollte mich sehr wundern, wenn morgen oder übermorgen…

– Verfahren wir lieber so, als ob wir an keinen Fluß kämen, erwiderte John Cort. Eine Reise von dreißig Tagen, vorzüglich wenn die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht größer sind als die, die uns heute begegneten, eine solche Reise kann doch afrikanische Jäger wie uns nicht erschrecken.

– Und obendrein, setzte Max Huber hinzu, fürchte ich, daß dieser geheimnißvolle Wald schließlich gar kein Geheimniß enthält.

– Desto besser, Max!

– Nein, desto schlimmer, John!… Komm aber nun, Llanga, Du mußt endlich schlafen.

– Ach ja, lieber Freund Max,« antwortete das Kind, dem schon die Augen zufielen, denn auf dem langen Wege war es niemals zurückgeblieben.

Llanga mußte sogar schon nach den Wurzeln des Baumes getragen werden, wo er im bequemsten Winkel niedergelegt wurde.

Der Foreloper hatte sich wieder erboten, die ganze Nacht zu wachen, die anderen wollten das aber nicht zulassen. Man einigte sich auch dahin, einander nach je drei Stunden abzulösen, obwohl sich in der Umgebung der Waldblöße nichts verdächtiges wahrnehmen ließ. Die einfache Klugheit verlangte aber doch, bis zum Tagesanbruch auf der Wacht zu bleiben.

Max Huber übernahm die erste Wache, während sich John Cort und Khamis auf dem weißen Flaum am Fuße des Baumes ausstreckten.

Das geladene Gewehr bequem zur Hand, lehnte sich der Franzose gegen eine der Wurzeln und überließ sich willig dem eigenen Reize der Nacht. Im Innern des großen Waldes herrschte jetzt völliges Schweigen. Durch die Zweige strich nur ein leiser Hauch, wie der Athem der eingeschlummerten Bäume. Die Strahlen des hoch am Himmel stehenden Mondes glitten durch die Lücken im Laubwerk und zauberten launenhafte, silberne Lichtbilder auf den Erdboden. Auch jenseits der Blöße schimmerte es da und dort heller unter den Baumkronen.

Sehr empfänglich für die Poesie der Natur, genoß Max Huber diese in vollen Zügen, er athmete sie sozusagen ein, glaubte zuweilen zu träumen und schlief doch nicht. Ihm erschien es, als sei er das einzige lebende Wesen im Schoße dieser Pflanzenwelt.

Der ganzen Pflanzenwelt, denn als diese gaukelte ihm seine Phantasie den Wald von Ubanghi vor.

»Und wenn man die letzten Geheimnisse der Erdkugel entschleiern will – so dachte er – muß man denn dazu bis zu den Enden ihrer Achse hinausgehen, um deren Geheimnisse zu entdecken?… Warum bemühen sich die Menschen, um den Preis ungeheuerer und so gut wie unüberwindlicher Schwierigkeiten, nach den beiden Polen vorzudringen?… Was kann damit erreicht werden?… Die Lösung einiger Räthsel der Meteorologie, der Elektricität und des Erdmagnetismus!… Ist das werthvoll genug, die Nekrologe der hochnördlichen und tiefsüdlichen Gebiete mit so vielen neuen Namen zu vergrößern?… Wäre es nicht weit nützlicher und mehr versprechend, statt sich auf die arktischen und antarktischen Meere zu wagen, die unermeßlichen Gebiete dieser Wälder zu durchforschen und ihre wilde Undurchdringlichkeit zu besiegen? Es giebt ja deren mehrere in Amerika, Asien und Afrika, und kein Forscher hat noch den Gedanken gehabt, sie zum Felde seiner Entdeckungen zu wählen, keiner hat noch den Muth gezeigt, sich in das Unbekannte hinein zu wagen!…

Noch hat kein Mensch den Bäumen ihr Räthselwort entrissen, wie früher die Alten den Eichen von Dodona. Hatten die Mythologen denn nicht recht, ihre Wälder mit Faunen, Satyren, Dryaden, Hamadryaden und phantastischen Nymphen zu bevölkern?… Und überdies, um uns auf die Erhebungen der modernen Wissenschaften zu beschränken, kann man nicht vermuthen, daß in den ungeheueren Waldmassen auch unbekannte, den hier herrschenden Lebensbedingungen angepaßte Wesen vorkommen?… Zur Zeit der Druiden beherbergte ja auch das transalpine Gallien noch halbwilde Völkerschaften, wie die Kelten, die Germanen, die Ligurier und in hunderten von Stämmen, hunderten von Städten und Dörfern, die ihre besonderen Gebräuche, ihre eigenen Sitten, ihre angeerbte Originalität bewahrt hatten, auch hier im Innern von Wäldern, deren Grenzen selbst die römische Allmacht nur mit größter Schwierigkeit überschreiten konnte.«

So träumte Max Huber.

Unverbürgten Mittheilungen nach bargen ja auch die Gebiete von Aequatorialafrika gewisse, unter der Stufe der übrigen Menschheit stehende, halb fabelhafte Wesen. Gerade der Wald von Ubanghi grenzte im Osten an die Gegenden, die Schweinfurth und Junker erforscht hatten, an die Länder der Niam-Niam, jener geschwänzten Menschen, die in Wirklichkeit freilich keinen äußerlichen Schwanzfortsatz haben. (Hierzu diene zur Erläuterung, daß die menschliche Wirbelsäule unten mit mehreren freier beweglichen, anatomisch als »Schwanzfortsatz« bezeichneten, kleinen Knochen endigt.) Ferner hat Henry Stanley im Norden von Ituri kaum einen Meter hohe Pygmäen gefunden, die im übrigen vollkommen gut entwickelt waren, eine glänzende, seine Haut und große Augen wie Gazellen hatten, und deren Vorkommen zwischen Uganda und Cabinda auch der englische Missionär Albert Lhyd bestätigt hat mit der Angabe, daß dort im Astwerk der Bäume oder unter diesen über zehntausend Bambustis hausen, die einen Häuptling haben, dem sie unweigerlich folgen. In den Wäldern von Neduqurbocha war derselbe, von Ipoto aus, durch fünf Dörfer gekommen, die deren liliputanische Einwohner erst am Tage vorher verlassen hatten. Ebenso war er Uambuttis, Batinas, Akkas und Bazungus begegnet, die durchschnittlich nur hundertdreißig Centimeter, manche davon gar nur zweiundneunzig Centimeter groß waren und deren Körpergewicht noch nicht einmal vierzig Kilogramm erreichte. Dennoch erwiesen sich diese Zwergvölker nicht minder intelligent, in ihrem Sinne gewerbfleißig, doch auch kriegslustig und grausam, so daß sie von den Ackerbau treibenden Stämmen am obern Nil nicht wenig gefürchtet wurden.

Verführt durch seine lebhafte Einbildungskraft, seinem Hange nach allerlei Außerordentlichem, verharrte Max Huber bei der Vorstellung, daß auch der Wald von Ubanghi seltsame Menschenformen bergen müsse, die die Ethnographen bisher noch nicht kannten. Warum könnte es hier auch nicht wunderbare, menschliche Wesen geben, vielleicht nur mit einem Auge, wie die Cyklopen der Sage, oder mit einer rüsselförmig verlängerten Nase, die es erlaubt hätte, sie, wenn auch nicht zu der Ordnung der Pachydermen, doch zu der Familie der Proboscidier zu rechnen?

Unter dem Einflusse seiner wissenschaftlich-phantastischen Träumereien vergaß Max Huber freilich ziemlich ganz seine Pflichten als Wächter. Leicht hätte sich hier ein Feind heranschleichen können, ohne daß Khamis und John Cort zeitig genug davon erfahren hätten, sich zur Vertheidigung zu rüsten.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter.

»Ho! – Was ist das? rief er aufspringend.

– Ich bin es, ertönte die Stimme John Cort’s. Sieh mich nur nicht für einen Wilden von Ubanghi an… Nun… nichts verdächtiges bemerkt?

– Gar nichts.

– Es ist Zeit, daß Du Dich nun niederlegst, lieber Max.

– Ja, ja; es sollte mich aber sehr wundern, wenn die Träume, die mir vielleicht im Schlafe kommen, den Vergleich mit denen aushielten, die ich im Wachen gehabt habe!«

Der erste Theil dieser Nacht war ohne jede Störung verlaufen, und so verlief auch deren Rest, als John Cort an die Stelle Max Huber’s getreten war und als Khamis nach drei Stunden wieder John Cort abgelöst hatte.

Sechstes Capitel .

Immer weiter nach Südwesten

 Am nächsten Morgen, am 11. März, brachen John Cort, Max Huber, Khamis und Llanga, die sich von den Anstrengungen des ersten Tages jetzt vollständig erholt hatten, auf, um die des zweiten Marschtages zu überwinden.