– Vorausgesetzt, daß Sie die Flußbiegung nicht überschreiten, antwortete der Foreloper. Da uns jetzt Gelegenheit geboten ist, auf dem Wasser zu fahren, wollen wir unnöthige Wanderungen doch lieber unterlassen.
– Richtig, Khamis, stimmte John Cort ihm zu. Später, wenn unser Floß mit der Strömung hinabgeleitet, können wir ja mühelos darauf achten, ob sich an dem einen oder dem anderen Ufer noch Spuren eines Lagers zeigen.«
Die drei Männer und Llanga folgten nun dem erhöhten Ufer, einer Art Deich zwischen dem Sumpflande und dem Flusse.
Schaaren von Vögeln, meist Wildenten und Trappen, flatterten bei ihrer Annäherung rauschenden Fluges davon Unterwegs erlegte Max Huber auf den ersten Schuß einen großen sogenannten Strandreiter, der zum Mittagsmahle dienen sollte.
Unausgesetzt behielten die Wanderer den Erdboden im Auge, um vielleicht menschliche Fußtapfen oder irgend einen zurückgelassenen Gegenstand zu entdecken.
Trotz gespanntester Aufmerksamkeit wurde jedoch oben und unten am Ufer gar nichts gefunden. Nirgends verrieth ein Anzeichen, daß hier jemand vorübergekommen wäre oder gerastet hätte. Als Khamis und seine Gefährten wieder die ersten Baumreihen erreicht hatten, wurden sie von dem Geschrei einer Affenbande begrüßt. Die Vierhänder schienen über das Auftauchen von Menschen nicht besonders verwundert zu sein, obwohl sie sich aus dem Staube machten.
Daß in den Baumkronen hier Vertreter der großen Affenfamilie hausten, war ja zu erwarten.
Es waren das Paviane und Mandrillassen, die äußerlich den Gorillas nahe stehen, ferner Schimpansen und einzelne Orang Utangs. Wie alle afrikanischen Arten, hatten sie einen kaum entwickelten Schwanz, der sich voll ausgebildet nur bei den amerikanischen und asiatischen Arten findet.
»Jedenfalls, bemerkte John Cort, haben diese Burschen das Floß nicht gezimmert, und trotz ihrer Intelligenz werden sie sich noch nie eines Vorlegeschlosses bedient haben.
– So wenig wie eines Käfigs, setzte Max Huber hinzu.
– Eines Käfigs, Max? wiederholte John Cort. Wie kommst Du denn darauf?
– Ich glaube dort… unter dem Dickicht… etwa zwanzig Schritt vom Ufer, ein solches Ding zu erkennen.
– Das wird ein Ameisenhaufen in der Form eines Bienenkorbes sein, erwiderte John Cort, wie die afrikanischen Ameisen solche erbauen.
– Nein, Herr Huber hat sich nicht getäuscht, ließ sich Khamis vernehmen. Da unten steht… man könnte es fast eine Hütte nennen, die zwischen zwei Mimosen steht und an der Vorderseite ein Gitter hat.
– Käfig oder Hütte, rief John Cort, wir wollen uns überzeugen, was die Sache zu bedeuten hat!
– Doch vorsichtig, rieth der Foreloper, immer unter der Deckung der Bäume hingehen.
– O, was hätten wir denn hier zu fürchten?« erwiderte Max Huber, der sich wie gewöhnlich vor Neugier und Ungeduld nicht halten konnte.
Die Umgebung schien übrigens gänzlich öde und verlassen zu sein, nur der Gesang von Vögeln und das Geräusch von dem fliehenden Affenvolke ließ sich noch hören. Am Rande der Lichtung zeigte sich keine ältere oder jüngere Spur eines Lagers, und auf dem Wasserlaufe, der große Bündel Gras mit hinabführte, ebensowenig irgend etwas verdächtiges. Auch auf der anderen Seite dieselbe Stille und Verlassenheit. So wurden denn die letzten hundert Schritte schnell am Ufer hin zurückgelegt, das sich entsprechend der Windung des Flusses allmählich krümmte. Hier war es mit dem Morast zu Ende und der Boden wieder trockener und fester, je mehr er unter dem Hochwald anstieg.
Das seltsame, jetzt zu drei Vierteln sichtbare Bauwerk lehnte sich an zwei Mimosen und hatte ein schräg abfallendes, mit vergilbten Gräsern bedecktes Dach. Eine seitliche Oeffnung war daran nicht zu bemerken, und tiefhängende Lianen verbargen seine Wände fast bis zur Erde hinunter. Was ihm das Aussehen eines Käfigs verlieh, war das Gitter oder vielmehr die Vergitterung der ganzen Vorderseite, die der ähnelte, die man in Menagerien zur Trennung der Raubthiere vom Publicum sieht.
Dieses Gitter hatte eine, jetzt offenstehende Thür.
Der Käfig selbst war leer.
Das meldete Max Huber, der als der erste hineingedrungen war.
Doch fanden sich einige Geräthe: ein Kochtopf in ziemlich gutem Zustande, eine Art Flaschenkorb, eine Tasse, drei oder vier zerbrochene Flaschen, eine sehr abgenutzte Wollendecke, Stoffsetzen, eine verrostete Axt und ein halbvermodertes Brillenfutteral, auf dem aber kein Name eines Fabrikanten zu lesen war.
In einer Ecke lag noch ein kupferner Kasten, dessen Deckel so dicht schloß, daß sein Inhalt – wenn er überhaupt etwas enthielt – unversehrt erhalten sein mußte.
Max Huber hob den Behälter auf und versuchte, ihn zu öffnen. Das gelang ihm aber nicht. Durch Oxydation hingen die beiden Theile des Kastens ziemlich fest aneinander.
Er mußte erst eine in den Spalt gedrängte Messerklinge als Hebel benutzen, ehe der Deckel nachgab.
Der Kasten enthielt ein völlig unversehrtes Notizbuch, auf dessen Vorderseite zwei Worte gedruckt waren, die Max Huber mit lauter Stimme verkündete:
»Doctor Johausen«.
Achtes Capitel.
Der Doctor Johausen
Wenn John Cort, Max Huber und selbst Khamis bei der Nennung dieses Namens keinen Ausruf der Verwunderung hören ließen, lag das nur daran, daß sie augenblicklich der Sprache beraubt waren.
Der Name Johausen hatte für sie die Bedeutung einer Offenbarung. Er enthüllte einen Theil des Geheimnisses, das eine der tollsten wissenschaftlichen Unternehmungen der neueren Zeit, in der sich die Komik mit dem Ernste, ja sogar mit der Tragik vermischte, bisher noch umgab, denn es ließ sich jetzt annehmen, daß diese ein sehr trauriges Ende genommen haben müsse.
Vielleicht erinnert sich der Leser des Versuches, den der Amerikaner Garner wagte, indem er die Sprache der Affen ergründen und seine Theorien durch ein Experiment bekräftigen wollte. Der Name dieses Professors, die in Hayser’s Weekly in New York von ihm erschienenen Aufsätze, sein Buch, das in England, Deutschland, Frankreich und Amerika herausgegeben worden war… alles das konnten die Bewohner des Congogebietes – vor allem John Cort und Max Huber – nicht wohl vergessen haben.
»Da haben wir ihn ja, rief der eine, ihn, von dem nie wieder eine Nachricht auftauchte…
– Und man auch nie eine erhalten wird, da er nicht zur Stelle ist, uns eine solche zu geben!« rief der andere.
Er, das war für den Franzosen wie für den Amerikaner der Doctor Johausen. Der Doctor hatte in dem genannten Garner freilich einen Vorläufer gehabt. Dieser Yankee konnte nicht, wie Jean Jacques Rousseau in der Einleitung zu seinen Confessions sagen: »Ich unternehme hier etwas, wofür es noch kein Beispiel giebt, und das auch keine Aachahmer haben wird.« Garner sollte einen solchen finden.
Ehe der Professor Garner den Schwarzen Erdtheil betrat, hatte er sich mit der Welt der Affen – natürlich der gezähmten
– eingehend beschäftigt. Aus seinen langen und sorgsamen Beobachtungen schöpfte er die Ueberzeugung, daß die Vierhänder wirklich »sprächen«, daß sie einander verständen, sich einer articulierten Sprache bedienten und z. B. ganz bestimmte Wörter gebrauchten, um ihr Bedürfniß zu fressen, und bestimmte andere, um das Bedürfniß zu saufen auszudrücken. Garner hatte im Washingtoner Zoologischen Garten phonographische Apparate vertheilt, um die Wörter dieser Sprache aufzunehmen. Er beobachtete auch, daß die Affen – ungleich den Menschen – nur sprachen, wenn dazu eine Nothwendigkeit vorlag. Seine Ansicht darüber drückte er in folgendem Satze aus:
»Die Kenntnisse, die ich mir über die Thierwelt erworben habe, nöthigten mir den Glauben auf, daß allen Säugethieren die Fähigkeit zu sprechen zukomme, und zwar bis zu dem Grade, wie ihre Erfahrungen und Bedürfnisse eine solche erheischen.«
Vor den Untersuchungen Garner’s wußte man ja schon, daß die Säugethiere, wie Hunde, Affen und andere, einen laryngo-buccalen Apparat (Kehlkopf- und Mundorgane) haben, der dem des Menschen ähnelt, und auch eine Stimmritze, die zur Hervorbringung articulierter Laute geeignet erscheint. Man wußte aber auch – möge sich die Schule der Simiologen deshalb nicht aufregen – daß der Gedanke dem Worte vorausgegangen ist. Um zu reden, muß man denken können, und das Denken setzt die Fähigkeit des Generalisierens voraus, eine Fähigkeit, die den Thieren offenbar abgeht. Der Papagei spricht, er versteht aber kein Wort von dem, was er sagt. Kurz, in Wahrheit reden die Thiere nur deswegen nicht, weil die Natur sie nicht mit hinreichender Intelligenz ausgestattet hat, denn sonst würde sie nichts daran hindern. Allgemein gilt ja der Satz, den ein gelehrter Kritiker ausgesprochen hat: »Wo eine Sprache sein soll, da muß auch Ueberlegung und wenigstens einigermaßen begründetes Urtheil sein, und zwar über einen abstracten und allgemeinen Begriff« Diese dem gesunden Menschenverstande entsprechende Voraussetzung wollte Garner aber nicht anerkennen.