Eine Minute später war die ganze Bande verschwunden, doch nicht die Kugeln und nicht der Knall der Schüsse hatte sie vertrieben. Schon seit einer Stunde thürmte sich am Himmel langsam ein Gewitter auf. Fahle Blitze zuckten durch die Wolkenmassen. Immer weiter schoben sich die dunkeln, gelblich geränderten Wolken herauf und bald brach eines jener furchtbaren Unwetter aus, wie sie nur in niedrigen Breiten vorkommen. Bei dem entsetzlichen Donnerkrachen bemächtigte sich der Vierhänder die instinctive Unruhe, die eine elektrische Spannung in der Luft in sehr vielen Thieren hervorruft. Sie singen an sich zu fürchten und suchten unter dem dichtesten Laubdache Schutz gegen die blendenden Entladungen, unter denen die Wolkendecke zu zerreißen schien. In kürzester Zeit waren beide Ufer verlassen, und von der ganzen Rotte waren nur noch etwa zwanzig todte Körper zu sehen, die zerstreut zwischen dem Gebüsch des Waldrandes lagen.
Zehntes Capitel.
Ngora!
Am nächsten Morgen wölbte sich der wieder heitere – man hätte sagen können, von dem Riesenwedel des Gewitters reingefegte – Himmel in tiefem Blau über den Wipfeln der Bäume. Bei Sonnenaufgang verflüchtigten sich vollends noch die letzten Tröpfchen, die an Blättern oder Gräsern hingen. Der schnell wieder trocken gewordene Erdboden hätte recht gut eine Wanderung durch den Wald gestattet. Natürlich war aber von einer Wiederaufnahme des Marsches nach Südwesten jetzt keine Rede mehr. Wich der Rio Johausen nicht aus seiner bisherigen Richtung ab, so hoffte Khamis, das eigentliche Becken des Ubanghi binnen vierzehn Tagen zu erreichen.
Die gewaltige atmosphärische Störung mit den zuckenden, zuweilen auf die Erde niederschlagenden Blitzen und dem lange hinrollenden Donner hatte erst früh gegen drei Uhr ein Ende genommen. Durch den Strudel hindurch war das Floß an die steile Uferwand getrieben worden und hatte hier Schutz gefunden. Dicht daneben stand ein mächtiger Baobab (Affenbrodbaum), dessen hohler Stamm nur noch durch die äußersten Holzschichten und die Rinde gebildet wurde. Khamis und seine Gefährten nahmen darin Platz, wenn es dabei auch etwas eng zuging. Ebenso waren die wenigen Geräthe, die Feuerwaffen und die Munition, die hier von dem Unwetter nichts zu leiden hatten, hereingeschafft worden und wurden in der Stunde vor der Abfahrt ohne große Mühe wieder auf das Floß gebracht.
»Nun wahrlich, dieses Gewitter kam gerade zur rechten Zeit,« bemerkte John Cort gegen Max, während der Foreloper die Reste des Wildes zum Frühstück zurecht machte.
Unter fortwährendem Plaudern beschäftigten sich die beiden jungen Männer mit der Reinigung ihrer Gewehre, die einer solchen nach dem gestrigen Feuergefecht nothwendig bedurften.
Llanga schlenderte inzwischen im Gesträuch und im hohen Grase umher, um Nester und Eier zu suchen.
»Jawohl, lieber John, das Gewitter kam uns recht gelegen, sagte Max Huber, gebe nur der Himmel, daß es jetzt, wo der Sturm vorüber ist, den Burschen nicht einfällt, noch einmal hier aufzutauchen. Jedenfalls müssen wir auf der Hut sein.«
Auch Khamis befürchtete, daß die Vierhänder mit Tagesanbruch die beiden Ufer wieder besetzen würden. Er beruhigte sich jedoch bald: obwohl es unter den Bäumen allmählich heller wurde, war doch kein neuer Lärm zu hören.
»Ich bin am Ufer wohl hundert Schritte weit hinausgegangen, habe aber keinen einzigen Affen entdecken können, versicherte John Cort.
– Das läßt ja das beste hoffen, antwortete Max Huber, und ich denke, unsere Patronen ferner anders zu verwenden, als zur Vertheidigung gegen die Schlingel von Makaken!… Wahrlich, ich befürchtete schon, daß unser gesammter Schießvorrath gestern daraufgehen würde.
– Und wie hätten wir den erneuern können? fiel John Cort ein. Eine zweite Hütte anzutreffen, um sich da mit Pulver, Kugeln und Schrot frisch versorgen zu können, daran ist doch nicht zu denken.
– O, rief Max Huber, wenn ich mir vorstelle, daß der gute Doctor beabsichtigte, mit solchen Burschen einen gesellschaftlichen Verkehr anzubandeln! Eine hübsche Gesellschaft! Um ergründen zu wollen, welche Worte sie gebrauchen, sich zum Essen einzuladen oder einander Guten Tag oder Gute Nacht zu wünschen, dazu muß man wahrlich ein Professor Garner sein, von denen es in Amerika vielleicht noch mehrere giebt, oder ein Doctor Johausen, der vielleicht in Deutschland, vielleicht sogar in Frankreich, noch einige Geistesverwandte hat…
– In Frankreich, Max?…
– O, wenn man danach unter den gelehrten Perücken des Instituts oder der Sorbonne suchte, fände man wahrscheinlich einen Idio…
– Idioten! vollendete protestierend John Cort das letzte Wort.
– Idiomographen, verbesserte Max Huber, der fähig wäre, in den congolesischen Wäldern die Untersuchungen des Professor Garner und des Doctor Jo hausen wieder aufzunehmen.
– Ist man sich, lieber Max, auch klar über den Erfolg des ersten, der jede Verbindung mit der Gesellschaft der Makaken abgebrochen zu haben scheint, so gilt dasselbe doch noch nicht für den zweiten, und ich fürchte sehr, daß…
… die Paviane oder andere ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen haben, fuhr Max Huber fort. Nach der Art und Weise, wie sie sich gestern gegen uns benahmen, kann man sich ja ein Urtheil erlauben, ob es civilisierte Wesen sind oder jemals solche werden können.
– Siehst Du, Max, ich bleibe dabei, daß die Thiere bestimmt sind, unvernünftige Geschöpfe zu bleiben…
– Und die Menschen nicht minder, fügte Max Huber lachend hinzu. Das schließt nicht aus, daß ich sehr bedauere, nach Libreville zurückzukommen, ohne Nachrichten über den Doctor mit heimzubringen.
– Mag sein; für uns wäre es aber doch von Werth, durch diesen undurchdringlichen Wald gekommen zu sein.
– Das wird geschehen…
– Vielleicht, doch ich wünschte, es wäre schon geschehen!«
Das weitere Vordringen schien übrigens von keinen weiteren Schwierigkeiten bedroht zu sein, da das Floß ja nur der Strömung zu folgen brauchte, freilich unter der Voraussetzung, daß der Rio Johausen nicht durch Stromschnellen oder Barren versperrt oder durch Wasserfälle unterbrochen war, und gerade solche Hindernisse befürchtete der Foreloper noch immer.
Eben jetzt rief er seine Gefährten zum Frühstück. Llanga kam sofort herzugesprungen und brachte mehrere Enteneier mit, die für das Mittagsessen aufbewahrt wurden. Da noch ein Stück von der Antilope übrig war, brauchte der Mundvorrath vor der Mittagsrast nicht vervollständigt zu werden.
»Da fällt mir eben ein, begann jetzt John Cort, wir hätten doch unsere Munition nicht so nutzlos verschwenden sollen.
Konnten wir denn nicht auch von dem Fleische der Affen zehren?
– O, pfui! stieß Max Huber hervor.
– Seh’ einer diesen Kostverächter!
– Ich bitte Dich, lieber John, Gorillacoteletten, Gibbonfilet, Schimpansenkeule… ein Fricassée von Mandrillassen…
– Nun, ich äße im Nothfalle davon, meinte John Cort.
– Anthropophage Du! rief Max Huber mit komischer Entrüstung, wärst wahrhaftig imstande, fast Deinesgleichen zu verzehren…
– Ah, danke schön, Max!«
Schließlich überließ man natürlich die Cadaver der in der
»Schlacht« erlegten Vierhänder den Vögeln als willkommene Beute. Der Wald von Ubanghi beherbergte so viele Wiederkäuer und Vögel, daß man den Vertretern des Affengeschlechtes die Ehre, sie in einen menschlichen Magen aufzunehmen, nicht anzuthun brauchte.