»Das wäre alles gut und schön, äußerte Max Huber, wenn wir nur die Gewißheit hätten, auch ruhig schlafen zu können.
Leider schwirren hier aber die verwünschten Insecten umher, von deren Stachel wir nicht verschont bleiben werden. Bei dem Mangel an Moskitonetzen werden wir greulich zerstochen erwachen.«
Das wäre in der That nicht ausgeblieben, wenn Llanga nicht ein Mittel gefunden hätte, die in surrenden Wolken umherschwärmenden Moskitos zu vertreiben.
Er war längs des Ufers ein Stück hinausgegangen, und jetzt hörte man ihn rufen.
Khamis lief zu dem Knaben hin, und Llanga zeigte ihm am Ufer trockenen Mist, der von Wiederkäuern, Antilopen, Hirschen, Büffeln und anderen herrührte, die hier gewiß ihren Durst zu löschen pflegten.
Warf man diese Reste in ein helles Feuer, wodurch ein dichter, eigenthümlich scharfer Rauch erzeugt wird, so war das das beste und vielleicht einzige Mittel, die Moskitos zu verjagen. Die Eingebornen bedienen sich seiner immer, und sie fahren auch gut dabei.
Sofort wurde also zwischen den Bananen ein tüchtiges Feuer aus dürrem Holz angezündet. Der Foreloper warf einige Hände voll trockenen Mist hinein. Augenblicklich stieg davon eine dunkle Rauchwolke auf und die Luft war in kürzester Zeit von den unerträglichen Insecten gesäubert.
Das Feuer sollte die ganze Nacht über von John Cort, Max Huber und Khamis unterhalten werden, wozu sie abwechselnd die Wache übernahmen. Am nächsten Morgen gedachten sie dann, durch einen ruhigen Schlummer gestärkt, schon in früher Stunde den Rio Johausen weiter hinunter zu fahren.
Im Klima Mittelafrikas ist nichts veränderlicher als das Wetter. Auf den klaren Himmel am vorigen Tage folgte ein grau überzogener, der einen regnerischen Tag ankündigte. Da die Wolken sich aber mehr in den tieferen Luftschichten hielten, fiel nur ein seiner Regen, ein einfacher Wasserstaub, der aber nichtsdestoweniger recht lästig wurde.
Zum Glück kam da Khamis ein vortrefflicher Gedanke. Die Bananenblätter sind vielleicht die größten Blätter des gesammten Pflanzenreiches. Die Schwarzen benutzen sie als Bedeckung ihrer Strohhütten. Schon aus einem Dutzend davon ließ sich mitten über dem Flosse eine Art Plane herstellen, die mittels Lianenfasern befestigt wurde. Das hatte der Foreloper schon vor der Abfahrt ausgeführt. Die Passagiere befanden sich also unter Schutz gegen den andauernden Regen, der von den breiten Blättern nach der Seite zu ablief.
Während des ersten Theiles des Tages zeigten sich am rechten Ufer wieder einige – vielleicht zwanzig – große Affen, die nicht abgeneigt schienen, die Feindseligkeiten des vorigen Tages aufs neue zu eröffnen. Das Klügste blieb es immer, jede Berührung mit den häßlichen Burschen zu vermeiden, und es gelang auch, das Floß mehr am linken Ufer zu halten, das von Vierhänderbanden weniger bevölkert war.
John Cort bemerkte sehr richtig, daß die Beziehungen zwischen den Affenscharen der beiden Ufer nur sehr dürftig sein könnten, weil der Uebergang von einer Seite zur anderen nur auf den Brücken aus Zweigen und Lianen möglich war, was selbst für Affen seine Schwierigkeiten haben dürfte.
Man »schnitt« heute wiederum die Mittagsrast und im Laufe des Nachmittags hielt das Floß nur ein einziges Mal an, um eine Sassabys-Antilope zu holen, die John Cort nahe bei einer Flußbiegung unter dem Gesträuch am Lande durch einen Schuß erlegt hatte.
An dieser Biegung, wo der Rio Johausen sich nach Südosten wendete, machte er fast einen rechten Winkel gegen seine bisherige Richtung. Natürlich beunruhigte es Khamis nicht wenig, sich damit wieder mehr nach dem Waldesinnern verschlagen werden zu sehen, während sein Reiseziel doch auf der entgegengesetzten Seite am Atlantischen Oceane lag. War auch nicht zu bezweifeln, daß der Rio Johausen zu den Nebenflüssen des Ubanghi gehörte, so bildete es doch einen gewaltigen Umweg, wenn man auf den Hauptstrom erst mehrere hundert Kilometer weiter oben, in der Mitte des unabhängigen Congogebietes traf. Zum Glück erkannte der Foreloper nach einstündiger Weiterfahrt, dank seinem scharfen Orientierungssinne – denn die Sonne war nicht sichtbar – daß der Wasserlauf wieder seine ursprüngliche Richtung einschlug.
Das erweckte die Hoffnung, daß er das Floß nach der Grenze von Französisch-Congo bringen werde, von wo aus es leicht war, Libreville zu erreichen.
Halb sieben Uhr lief Khamis mit einem kräftigen Ruderschlage das linke Ufer in einer Einbuchtung an, die von dem dichten Laube eines Cailecedrat, einer den Acajons der Senegalwälder fast gleichkommenden Baumart, beschattet war.
Regnete es auch nicht mehr, so bedeckten den Himmel doch noch starke Dunstmassen, die die Sonne nicht zu durchdringen vermochte. Man brauchte deshalb aber nicht zu glauben, daß die nächste Nacht kalt sein werde. Ein Thermometer hätte hier noch immer fünfundzwanzig Centigrade gezeigt. Bald loderte ein Feuer zwischen den Steinen am Ufer der Einbuchtung auf, das nur für Küchenzwecke, nämlich zum Braten eines Sassabysviertels, angezündet worden war. Diesmal hätte Llanga vergeblich nach Mollusken gesucht, um in die Mahlzeit Abwechslung zu bringen, oder nach Bananen, um das Wasser aus dem Rio Johausen schmackhafter zu machen, denn »trotz eines Anklingens an den Namen« – bemerkte Max Huber –erinnerte es in keiner Weise an den Johannisberger des Fürsten Metternich. Dafür konnte man sich wenigstens in gleicher Weise, wie am Abend vorher, der Moskitos erwehren.
Halb acht Uhr war es noch nicht völlig dunkel. Auf dem Wasser des Flusses spiegelte sich ein schwacher Lichtschein, und Haufen von Gesträuch und anderen Pflanzen, sowie einzelne Stämme, die vom Ufer losgerissen sein mochten, trieben auf dem Rio daher.
Während John Cort, Max Huber und Khamis Lagerstätten zurecht machten, indem sie dicke Schichten trockenen Grases am Fuße des Baumes ausbreiteten, lief Llanga noch auf dem Flosse hin und her, und betrachtete mit Interesse die vorüberschwimmenden Gegenstände.
Da zeigte sich, etwa dreißig Toisen stromaufwärts, der Stamm eines mittelstarken Baumes sammt vollständiger Krone.
Er war fünf bis sechs Fuß unterhalb des Aesteansatzes abgebrochen und zeigte eine noch ganz frische Bruchfläche.
Diese Aeste, deren unterste im Wasser schwammen, zeigten sich bedeckt mit dickem Laube, auch mit einigen Blüthen und Früchten, kurz, mit dem ganzen Grün, das trotz des Sturzes an dem Baume haften geblieben war.
Wahrscheinlich war dieser bei dem letzten Gewitter von einem Blitze getroffen worden. Von der Stelle, wo ihn seine Wurzeln hielten, mochte er auf ein abhängiges Uferstück gefallen, dann, von dem Gesträuch nach und nach frei werdend, weiter geglitten und von der Strömung gefaßt worden sein, mit der er jetzt, gleich der anderen Trift, auf dem Rio weiter hinunter trieb.
Daß sich Llanga solchen Betrachtungen hätte hingeben können, war ja ausgeschlossen und auch nicht der Fall gewesen. Er würde diesem Stamm ebensowenig eine besondere Beachtung geschenkt haben, wie den anderen dahintreibenden Gegenständen, wenn seine Aufmerksamkeit nicht in ganz seltsamer Weise darauf hingelenkt worden wäre.
Mitten unter den Zweigen glaubte Llanga nämlich ein lebendes Wesen zu bemerken, das Bewegungen machte, als ob es um Hilfe flehte. Bei dem herrschenden Halbdunkel war freilich nichts genaues zu erkennen, nicht einmal, ob es sich um ein Thier handelte.
Unentschlossen, was er thun sollte, wollte der Knabe eben nach John Cort und Max Huber rufen, als er durch einen weiteren Zwischenfall davon abgehalten wurde.
Der Stamm befand sich jetzt nur noch vierzig Meter weit von ihm entfernt und trieb schräg nach der Ausbuchtung zu, worin das Floß angebunden lag.