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»Ngora!… Ngora!«

Diesmal täuschte Llanga sich nicht. Das Wort traf sein Ohr ganz deutlich und er erkannte auch eine eigenthümliche Aussprache, eine Art Schnarrens, bei dem »r« in »Ngora«.

Ergriffen von dem schmerzlichen Ton des armen Wesens, faßte Llanga nach dessen Hand, die noch immer fieberhaft heiß war. Er füllte die Tasse mit frischem Wasser und versuchte, ihm einige Tropfen davon einzuflößen. Vergeblich. Die Kinnladen, die zwei Reihen blendend weißer Zähne zeigten, wichen nicht von einander. Da befeuchtete Llanga ein Bäuschchen trocknes Gras und netzte dem Kleinen vorsichtig die Lippen, was diesem recht wohlzuthun schien. Seine Hand drückte leise die, die ihn hielt, und noch einmal flüsterte er das Wort »Ngora«.

Der Leser erinnert sich ja, daß die Eingebornen dieses congolesische Wort gebrauchen, um den Begriff »Mutter« zu bezeichnen. Rief nun das kleine fremdartige Wesen wohl nach der seinen?…

Von Natur schon mitleidig, empfand Llanga noch eine Verdoppelung seiner Theilnahme bei dem Gedanken, daß dieses Wort vielleicht zum letzten Seufzer des armen Kleinen werden könne. – Ein Affe wäre es? hatte Max Huber behauptet.

… Nein, das war kein Affe. Llanga hätte es sich bei seinem Mangel an geistiger Ausbildung nicht erklären können.

Eine Zeit lang blieb er noch sitzen, streichelte einmal die Hand seines Pfleglings, benetzte ihm dann wieder die Lippen und stand nicht eher auf, als bis dieser wieder in tiefen Schlaf gesunken war.

Jetzt aber entschlossen, seinen Freunden alles mitzutheilen, näherte er sich den beiden jungen Männern, als das eben vom Ufer abgestoßene Floß wieder in die Strömung einlenkte.

»Na, fragte Max Huber nochmals lächelnd, wie steht’s denn mit Deinem Affen?«

Llanga sah ihn ernst an, als zögere er zu antworten. Dann legte er aber die Hand auf Max Huber’s Arm:

»Das ist kein Affe, sagte er bestimmt.

– Wie?… Kein Affe? wiederholte John Cort.

– Laß ihn! Unser Llanga hat sich nun einmal auf seine Ansicht versteift, meinte Max Huber. Nicht wahr, Du bildest Dir ein, es sei ein Kind wie Du?

– Ein Kind… nicht wie ich… aber doch ein Kind!

– Ueberlege Dir, Llanga, fuhr John Cort in ernsterem Tone als sein Gefährte fort, Du behauptest, daß es ein Kind sei?…

– Ja… er hatte gesprochen… schon in vergangener Nacht.

– Er hat etwas gesprochen?

– Gewiß… und eben jetzt wieder.

– Und was sagt es denn, das kleine Wunderkind? fragte Max Huber.

– Er sagte leise »Ngora«…

– Wie, dasselbe Wort, das ich auch schon gehört habe? rief John Cort, der seine Verwunderung nicht verbergen konnte.

– Jawohl… »Ngora«,« versicherte der junge Eingeborne.

Jetzt war nur zweierlei möglich: entweder war Llanga das Opfer einer Sinnestäuschung oder er hatte den Verstand verloren.

»Das müssen wir untersuchen, sagte John Cort, und wenn es sich bestätigte, wäre es wenigstens etwas ganz außergewöhnliches, lieber Max!«

Beide traten unter das Schutzdach und betrachteten den kleinen Schläfer.

Auf den ersten Blick hin hätte wohl jeder erklärt, daß dieser zum Geschlechte der Affen gehöre. John Cort bemerkte aber bald, daß er hier keinen Vierhänder, sondern einen Zweihänder vor sich hatte. Nach Blumenbach’s allgemein angenommener Eintheilung des Thierreiches weiß man aber, daß ganz allein der Mensch zur Ordnung der Zweihänder gehört. Dieses merkwürdige Geschöpf besaß nun bloß zwei Hände, während die Affen ohne Ausnahme deren vier haben, auch seine Füße schienen zum Gehen eingerichtet und nicht zum Greifen, wie die aller Affentypen.

John Cort wies Max Huber auf diese Unterscheidungszeichen hin.

»Merkwürdig… sehr merkwürdig!« sagte der Franzose.

Die Körperlänge des kleinen Wesens überstieg kaum fünfundsiebzig Centimeter. Es schien noch sehr jung, höchstens im fünften oder sechsten Lebensjahre zu sein. Seine Haut trug keine eigentliche Behaarung, sondern nur einen leichten Flaum. Auch Stirn, Kinn und Wangen waren frei von jedem Haarwuchs, der sich nur auf der Brust und den Ober-und Unterschenkeln zeigte. Seine Ohren gingen in einen runden, weichen Hautanhang aus, abweichend von den Affen, die keine Ohrläppchen haben. Die Arme erschienen nicht übermäßig lang. Die Natur hatte es auch nicht mit einem

»fünften Gliede« ausgestattet, wie die meisten Affen, mit einem Schwanze, der diesen zum Tasten und Festhalten dient.

Sein mehr rundlicher Kopf zeigte einen Gesichtswinkel von ziemlich achtzig Graden, die Nase war stumpf, die Stirn wenig abfallend. Den Schädel bedeckten keine schlichten Haare, sondern eine Art Vlies, gleich dem der Eingebornen Centralafrikas. Offenbar wies an ihm alles, der äußeren Erscheinung und jedenfalls auch dem inneren Körperbau nach, weit mehr auf einen Menschen, als auf einen Affen hin.

Leicht wird man sich das Erstaunen vorstellen können, das Max Huber und John Cort erfüllte, als sie sich hier einem völlig neuen Wesen gegenüber sahen, das noch kein Anthropolog beobachtet hatte und das die Mitte zwischen dem Menschen und dem Thiere zu halten schien.

Ferner hatte Llanga versichert, daß der Kleine gesprochen habe, wenn da nicht darauf hinauskam, daß der junge Eingeborne für articulierte Laute gehalten hatte, was nur ein Schrei gewesen war, der keinerlei Gedanken ausdrückte, nur ein Schrei, der vom Instinct, nicht von der Intelligenz eingegeben war.

Die beiden Freunde standen schweigend beieinander und warteten, daß der Mund des Kleinen sich nochmals aufthun sollte, während Llanga diesem zärtlich Stirn und Schläfen wärmte. Seine Athmung war jetzt übrigens weniger keuchend, die Haut weniger heiß… das Fieber schien sich seinem Ende zu nähern. Endlich bewegten sich schwach die blutlosen Lippen.

»Ngora!… Ngora!« kam es klagend hervor.

»Sapperment, stieß Max Huber hervor, das geht einem doch über allen Verstand!«

Weder der eine noch der andere wollte glauben, was sie eben gehört hatten.

Wie, mochte dieses Geschöpf, das sicherlich nicht auf der höchsten Stufe des Thierreichs stand, sein, was es wollte… es besaß doch die Gabe des Wortes! Hatte es bisher auch nur jenes einzige Wort der congolesischen Sprache vernehmen lassen, so war doch nicht ausgeschlossen, daß es auch noch andere kannte, daß es eines Gedankens fähig war, dem es Ausdruck zu verleihen vermochte!

Bedauerlich blieb es vorläufig nur, daß es die Augen nicht aufschlug, den Spiegel der Seele, in dem man so vieles erkennen kann. Die Lider blieben jedoch geschlossen, und nichts deutete darauf hin, daß sie sich bald öffnen sollten.

Ueber den Kleinen niedergebeugt, harrte John Cort gespannt auf jedes Wort, auf jeden Schrei, der ihm entschlüpfen könnte.

Er hob seinen Kopf etwas empor, ohne daß der Kleine aufwachte, wie groß war aber seine Ueberraschung, als er entdeckte, daß eine Schnur um dessen Hals gewunden war.

Er ließ diese Schnur aus Seidenfäden durch die Finger gleiten, um den Knoten zu finden, der sie hielt. Sofort rief er aber da:

»Eine Medaille!

– Eine Medaille?« wiederholte Max Huber.

John Cort löste den Knoten der Schnur.

Da fiel ihm eine Denkmünze aus Nickel in der Größe eines Sous in die Hand, mit einem Namen auf der einen und einem Gesichtsprofil auf der anderen Seite.

Der Name war der Johausen’s, das Profil das Bild des Doctors.

»Er! rief Max Huber, und das Bürschchen hier geschmückt mit dem Orden des deutschen Gelehrten, dessen Hütte wir so leer aufgefunden haben!«