Daß diese Denkmünzen in der Gegend von Kamerun eine weite Verbreitung gefunden hätten, das war ja nichts erstaunenswerthes, da der Doctor viele solche an Frauen und Männer im Congobecken ausgetheilt hatte; daß sich ein solches Abzeichen aber gerade am Halse dieses merkwürdigen Bewohners von Ubanghi vorfand…
»Das ist rein phantastisch, erklärte Max Huber, vorausgesetzt, daß die Halbmenschen-Halbaffen diese Medaille nicht aus dem Kasten des Doctors gestohlen haben.«
Er winkte den Foreloper herbei, um ihm ihre außerordentliche Entdeckung mitzutheilen und ihn zu fragen, was er wohl von der Sache denke.
Fast gleichzeitig ließ sich aber auch die Stimme des Forelopers vernehmen.
»Herr Max!… Herr John!« tönte es herein.
Die beiden jungen Männer traten unter dem Schutzdache hervor und gingen auf Khamis zu.
»Horchen Sie einmal!« sagte dieser.
Fünfhundert Meter stromabwärts bog der Fluß schroff nach rechts hin ab, an einer Stelle, die wieder ein dichterer Baumbestand bedeckte. Lauschte man in dieser Richtung hin, so vernahm man ein dumpfes, unausgesetztes Geräusch, das mit dem Blöken von Wiederkäuern oder dem Brüllen von Raubthieren nicht zu verwechseln war. Es erschien wie ein wüster Lärm, der mit der Annäherung des Flosses immer zunahm.
»Ein verdächtiger Lärm, sagte John Cort.
– Dessen Natur ich nicht zu errathen vermag, setzte Max Huber hinzu.
– Vielleicht befindet sich da draußen ein Wasserfall oder eine Stromschnelle, meinte der Foreloper. Der Wind weht aus Süden und ich fühle, daß die Luft auffallend feucht, fast nässend ist.«
Khamis täuschte sich nicht. Ueber den Rio hin trieben Wolken von Wasserstaub, die nur von einer heftigen Bewegung desselben herrühren konnten.
War der Fluß hier durch ein Hinderniß gesperrt und wurde der Weiterfahrt dadurch ein Ende gemacht, so war das ein so ernstes Ding, daß Max Huber und John Cort an Llanga und dessen Schützling gar nicht mehr dachten.
Das Floß trieb jetzt ziemlich geschwind weiter, und jenseit der Biegung mußte sich die Ursache des entfernten Geräusches ja bald zeigen.
Als die Biegung hinter ihnen lag, erwies sich die Befürchtung des Forelopers leider allzusehr begründet.
Etwa hundert Toisen weiter unten bildete eine Anhäufung dunkler Felsmassen eine von einem Ufer zum anderen reichende Barre, außer einer Oeffnung in der Mitte, durch die das Wasser schaumbekrönt hindurchrauschte. Im übrigen schlug es auf beiden Seiten gegen diesen Naturdamm an oder brandete stellenweise darüber hinweg. Hier befand sich also eine Stromschnelle in der Mitte, und stürzten Wasserfälle an den Seiten hinunter. Gelangte das Floß nicht nach einer der Uferwände und konnte es da nicht festgelegt werden, so wurde es mit hinweggerissen und mußte an der Barre in Trümmer gehen, wenn es nicht gar in der Strömung kenterte.
Alle hatten ihr ruhiges Blut bewahrt. Jetzt galt es aber, keinen Augenblick zu verlieren, denn die Schnelligkeit der Strömung nahm zusehends zu.
»Ans Ufer!… Ans Ufer!« rief Khamis.
Es war jetzt halb sieben Uhr und bei dem dunstigen Wetter herrschte schon bei Beginn der Dämmerung ein unbestimmtes Zwielicht, das die Unterscheidung aller Gegenstände erschwerte.
Die Sachlage wurde hierdurch nur noch verfänglicher.
Vergeblich bemühte sich Khamis, das Floß nach dem Ufer zu lenken. Seine Kräfte reichten dazu nicht aus. Max Huber sprang ihm zu Hilfe, um aus der Strömung zu kommen, die in gerader Linie auf die Mitte der Barre zu verlief.
Zu Zweien erzielten sie wohl einigen Erfolg und es wäre ihnen schließlich gelungen, das Floß aus der Strömung zu drängen, wenn nicht das Steuer gebrochen wäre.
»Haltet Euch bereit, auf die Steine zu springen, ehe wir in die Stromschnelle gerathen… commandierte Khamis.
– Es bleibt uns nichts anderes übrig!« antwortete John Cort.
Auf diese laut ausgesprochenen Worte hin trat Llanga unter der Schutzdecke hervor. Er sah sich um und erkannte offenbar die drohende Gefahr, doch statt an sich zu denken, dachte er an den anderen, den armen Kleinen. Ihn nahm er in die Arme und kniete am Hintertheile des Fahrzeuges nieder.
Nach einer weiteren Minute war dieses wieder völlig in die Strömung hineingerissen. Vielleicht stieß es doch nicht gegen den Felsendamm und gelangte ohne umzuschlagen glücklich hindurch.
Doch nein, das Unglück kam heran und mit ungeheuerer Wucht prallte das gebrechliche Fahrzeug gegen einen der Blöcke an der linken Seite. Vergeblich versuchten Khamis und die anderen, sich an der Barre, auf die sie den Kasten mit Patronen, die Waffen und ihre wenigen Geräthe geworfen hatten, noch festzuhalten.
Alle wurden hinuntergeschleudert in den tosenden Strudel, als das Floß in Stücke ging, dessen Trümmer inmitten des schäumenden Wassers stromabwärts verschwanden.
Zwölftes Capitel.
Unter Bäumen
Am nächsten Tage lagen drei Männer lang ausgestreckt neben einer Feuerstätte, auf der eben die letzten Kohlen verglommen.
Ueberwältigt von der Müdigkeit und außer stande, dem Schlafe zu widerstehen, waren alle drei, nachdem sie ihre am Feuer getrockneten Kleider wieder angelegt hatten, in halber Betäubung eingeschlummert.
Doch welche Zeit war es jetzt und war es überhaupt Tag oder Nacht? Keiner von ihnen hätte es sagen können. Nach der seit gestern verflossenen Zeit zu urtheilen, ließ sich jedoch annehmen, daß die Sonne über dem Horizont stehen müsse.
Wo lag aber die Ostseite? Wäre diese Frage gestellt worden, so wäre sie unbeantwortet geblieben.
Befanden sich die drei Männer etwa in einer Höhle, an einer Stelle, die kein Lichtstrahl erreichen konnte?
Nein; rings um sie standen zahllose Bäume so dicht bei einander, daß man höchstens einige Meter weit sehen konnte.
Auch während das Feuer noch hell brannte, wäre es unmöglich gewesen, zwischen den dicken Stämmen und den. sie verbindenden Lianen einen für Fußgänger brauchbaren Steg zu entdecken. Die unteren Aeste der Bäume breiteten sich erst in der Höhe von etwa fünfzig Fuß aus. Darüber war das Laub bis zu den höchsten Wipfeln so dicht, daß weder das Flimmern der Sterne noch die Strahlen der Sonne hindurchdringen konnten.
Ein Kerker hätte nicht finsterer, sein Mauerwerk nicht undurchdringlicher sein können, und doch befand man sich hier nur unter den Baumriesen des großen Waldes.
In den drei Männern wird der freundliche Leser wohl John Cort, Max Huber und Khamis wieder erkannt haben.
Wie in aller Welt es gekommen sei, daß sie sich jetzt an dieser Stelle befanden, wußte keiner von ihnen zu sagen. Nach der Zertrümmerung des Flosses an der Felsenbarre, auf die sie sich nicht hatten retten können, waren sie in das dahinjagende Wasser gerissen worden, wußten aber von gar nichts, was nach diesem Unfalle geschehen sein mochte, ebensowenig, wem der Foreloper und seine Gefährten ihre Rettung verdankten und wer sie, bevor sie das Bewußtsein wieder erlangten, nach diesem dichten Theil des Waldes geschafft hätte.
Leider waren nicht alle dem Unheile entgangen. Einer fehlte: das Adoptivkind John Cort’s und Max Huber’s, der arme Llanga, und außer diesem das kleine Wesen, das der Knabe früher erst selbst einmal gerettet hatte… und wer konnte wissen, ob er nicht bei dem Versuche, dieses nochmals zu retten, elend umgekommen wäre?
Jetzt besaßen Khamis, John Cort und Max Huber weder Munition noch Gewehre und auch keine sonstigen Hilfsmittel, außer ihrem Taschenmesser und dem kleinen Beile, das der Foreloper immer im Gürtel trug. Ebenso war ihr Floß verloren, und sie wußten auch nicht, wohin sie sich wenden sollten, um wieder an den Rio Johausen zu kommen.
Die wichtige Frage der Ernährung machte nun ungeahnte Schwierigkeiten, denn an Jagdbeute war ja gar nicht mehr zu denken. Khamis, John Cort und Max Huber sahen sich für die folgende Zeit auf Wurzeln und wilde Früchte, jedenfalls auf kaum zulängliche und obendrein unsichere Hilfsquellen angewiesen. Da stand ihnen doch die Aussicht, Hungers zu sterben, in erschreckender Nähe.