»auffischte«, sich im Walde verirrt haben mochte, und daß seine Eltern sich aufgemacht hatten, nach ihm zu suchen. Der Leser weiß, wie Llanga das Kind gerettet hatte, und daß dieses ohne seine muthige Hilfe umgekommen wäre.
Wohl verwahrt und gepflegt war Llanga dann nach dem Wagddidorfe gebracht worden. Li-Maï kam sehr bald wieder zu Kräften, da er nur vor Hunger und Erschöpfung krank gewesen war. Erst der Schützling Llanga’s, wurde er nun dessen Beschützer. Der Vater und die Mutter Li-Maï’s hatten sich gegen den jungen Eingebornen sehr dankbar erwiesen.
Eine gewisse Dankbarkeit erkennt man ja auch an Thieren für diesen geleistete Dienste, und warum sollte sie nicht bei Wesen anzutreffen sein, die über diesen stehen?
Kurz, am heutigen Morgen war Llanga nach der Hütte hier geführt worden. Aus welchem Grunde, wußte jener zunächst natürlich nicht. Da vernahm er aber Stimmen, und bei aufmerksamerem Lauschen erkannte er die John Cort’s und Max Huber’s.
Das war es also, was seit dem unglücklichen Vorfalle auf dem Rio geschehen war.
»Gut, Llanga, gut! sagte Max Huber, doch wir sterben vor Hunger und bevor wir Deinen weiteren Bericht anhören…
wenn es Dir bei Deinen ernsten Protectionen möglich wäre….
Llanga lief hinaus und kam sehr bald mit einigem Mundvorrath zurück, mit einem großen Stück gerösteten und gesalzenen Büffelfleisches, einem halben Dutzend Früchten der Acacia adansonia, gewöhnlich »Affenbrod« genannt, mit frischen Bananen und einer Art Kürbisflasche mit klarem Wasser, dem etwas Lutex-Milchsaft zugesetzt war, ein Saft, der aus einer Kautschukliane von der Art der Landolphia africana quillt.
Das Gespräch wurde jetzt selbstverständlich unterbrochen.
John Cort, Max Huber und Khamis hatten ein so starkes Bedürfniß nach Nahrung, daß sie nicht im geringsten wählerisch waren. Von dem Büffelstücke, dem Brode und den Bananen ließen sie nur die Knochen und die häutigen Schalen übrig.
Darauf fragte John Cort den jungen Eingebornen, ob die Wagddis ein sehr volkreicher Stamm wären.
»O, es sind viele… sehr viele! Ich habe ihrer eine große Zahl in den Straßen und den Hütten gesehen, antwortete Llanga.
– Ebenso viele Leute, wie in den Dörfern von Burnu oder Baghirmi?
– Jawohl!
– Und sie begeben sich niemals auf die Erde hinunter?…
– O doch; um zu jagen, oder um Wurzeln und Früchte oder auch Wasser zu holen.
– Und sie sprechen auch?
– Gewiß, ich verstehe sie nur nicht. Und doch… zuweilen einzelne Wörter… Wörter, die mir bekannt sind… wie wenn Li-Maï spricht.
– Und der Vater, die Mutter des Kleinen?
– Die sind sehr gut gegen mich. Was ich hier gebracht hatte, kam von ihnen.
– Ich wünsche herzlich, den Leuten dafür danken zu können, sagte Max Huber.
– Wie heißt denn das Dorf in den Bäumen?
– Ngala.
– Giebt es in dem Dorfe auch einen Häuptling? fragte John Cort.
– Ja.
– Hast Du ihn schon gesehen?
– Nein, das nicht. Ich habe aber gehört, daß sie ihn Mselo-Tala-Tala nannten.
– Das sind Worte der Eingebornen! rief Khamis.
– Und was bedeuten sie?
– Der »Vater Spiegel«, antwortete der Foreloper.
So bezeichnen die Congolesen in der That einen Mann, der eine Brille trägt.
Vierzehntes Capitel.
Die Wagddis
Seine Majestät Mselo-Tala-Tala, König des Stammes der Wagddis, Beherrscher des Dorfes in den Lüften… war das nicht genug, die geheimsten Wünsche Max Huber’s zu erfüllen? Hatte seine überschwängliche französische Phantasie ihm nicht alles vorgegaukelt, was er hier verwirklicht fand, alle diese Geheimnisse des Waldes von Ubanghi, neue Volkstypen, unbekannte Wohnstätten, eine ganz außergewöhnliche Welt, von der niemand eine Ahnung hatte? Nun, jetzt war ihm doch wohl nach Wunsch gedient.
Er war auch der erste, sich selbst zu loben wegen seiner richtig eingetroffenen Ahnungen, und er hörte damit erst auf, als John Cort zu ihm sagte:
»Ja, ja, lieber Freund, Du bist wie jeder Dichter mit einem Seherblick begabt und hast deshalb alles vorher errathen…
– Richtig, lieber John, doch welcher Art die Wagddis, die Halbmenschen, auch sein mögen, hab’ ich doch nicht die geringste Lust, mein Leben in ihrer Hauptstadt zu beschließen.
– Aber, liebster Max, wir müssen doch eine Zeit lang hier bleiben, um diese Rasse vom ethnologischen und anthropologischen Standpunkt aus zu studieren und später darüber einen dickleibigen Quartband zu veröffentlichen, der alle Akademien der beiden Welten in Aufruhr versetzen wird.
– Jawohl, erwiderte Max Huber, wir wollen gern beobachten, vergleichen, alle die Frage der Anthropomorphie berührenden Dinge ausspähen, doch nur unter zwei Bedingungen…
– Deren erste wäre…?
– Daß man uns, und das erwarte ich ja, volle Freiheit gewährt, im Dorfe hin- und herzugehen.
– Und die zweite?
– Daß uns, wenn wir uns hier unbehindert bewegt haben, gestattet wird, fortzugehen, sobald es uns paßt.
– An wen sollen wir uns aber deshalb wenden?
– An Seine Majestät den Vater Spiegel, antwortete Max Huber. Doch, das giebt mir die Frage ein: Warum mögen ihn seine Unterthanen wohl so nennen?
– Und noch dazu in congolesischer Sprache? setzte John Cort hinzu.
– Sollte Seine Majestät vielleicht kurz oder weitsichtig sein, und deshalb eine Brille tragen? fuhr Max Huber fort.
– Dabei entsteht wieder die Frage, woher diese Brille stammen möge, bemerkte John Cort.
– Mag das sein, woher es will, meinte Max Huber, wenn wir erst imstande sind, mit diesem Souverän zu verhandeln, ob er nun unsere Sprache versteht oder wir die seinige gelernt haben, jedenfalls machen wir ihm dann den Vorschlag, ein Schutz-und Trutzbündniß mit Amerika und Frankreich abzuschließen, er aber wird darauf nicht umhin können, uns das Großkreuz des Wagddischen Hausordens zu verleihen.«
Max Huber sprach sich recht zuversichtlich aus, indem er darauf rechnete, daß sie sich hier würden frei umher bewegen und das Dorf nach Belieben verlassen können. Wenn aber Khamis, John Cort und er in der Factorei nicht wieder erschienen, wer könnte da auf den Gedanken kommen, sie im Dorfe Ngala im Herzen des großen Waldes zu suchen? Kam überhaupt niemand von der Karawane zurück, so konnte das nur dahin gedeutet werden, daß diese im Gebiete des oberen Ubanghi mit Mann und Maus zu Grunde gegangen sei.
Die Frage, ob Khamis und seine Gefährten als Gefangene in der Hütte eingesperrt bleiben sollten, fand da fast augenblicklich ihre Entscheidung. Eben schwengte die Thür an ihren Lianenbändern zurück und Li-Maï erschien in der Oeffnung.
Zunächst ging der Kleine auf Llanga zu und überhäufte ihn mit Liebkosungen, die dieser gutherzig erwiderte. John Cort fand dabei Gelegenheit, sich das seltsame Geschöpfchen näher anzusehen. Da die Thür aber offen blieb, schlug Max Huber vor, hinauszugehen und sich unter die Luftbewohner zu mischen.
Jetzt befanden sie sich also im Freien und wurden von dem kleinen Wilden – so durfte man ihn wohl nennen – der seinen Freund Llanga an der Hand hielt, geleitet. Sie sahen sich an einer Art Straßenkreuzung, über die viele Wagddis, »ihren Geschäften nachgehend«, von allen Seiten hineilten.
Der Platz war mit Bäumen bepflanzt, oder vielmehr von deren Kronen beschattet, während die Stämme das merkwürdige Bauwerk in der Luft trugen. Dieses selbst ruhte, etwa hundert Fuß über der Erde, auf den Hauptästen mächtiger Bauhinias, Wollbäume und Baobabs. Auf fest mit Pflöcken und Lianen verbundenen Planken war eine Lage festgestampfter Erde ausgebreitet, und da deren Unterstützungspunkte sehr haltbar und zahlreich waren, bewegte sich der künstliche Boden unter dem Fuße nicht im geringsten. Selbst wenn heftige Stürme durch die hohen Wipfel brausten, erlitt die ganze Anlage kaum eine leise Erschütterung.