Durch die Lücken im Laubwerke brachen die Sonnenstrahlen herein; gerade heute war das Wetter sehr schön. Breitere Stücke blauen Himmels wurden hinter den untersten Zweigen sichtbar. Eine mit starkem Dufte geschwängerte Brise erfrischte die Luft.
Während die Gruppe der Fremden dahinwandelte, betrachteten sie die Wagddis, Männer ebenso, wie die Frauen und Kinder, ohne besonderes Erstaunen. Diese wechselten mit einander im raschen Tone nur einzelne Worte oder schnell herausgestoßene, kurze, völlig unverständliche Sätze. Der Foreloper glaubte darunter zuweilen einige congolesische Ausdrücke zu vernehmen, was ja kaum zum Verwundern war, da Li-Maï wiederholt das Wort »Ngora« ausgesprochen hatte.
Immerhin blieb die Sache unerklärlich. Noch mehr aber: John Cort hörte sogar zwei oder drei deutsche Wörter, darunter das Wort »Vater«, und er unterrichtete seine Genossen von dieser auffallenden Beobachtung.
»Ja, was willst Du denn, lieber John? antwortete Max Huber.
Ich erwarte sogar, daß einer dieser Burschen mir auf den Bauch klopft und mich dazu – in französischer Sprache – fragt: »Na, wie geht’s denn, Alterchen?«
Von Zeit zu Zeit ließ Li-Maï Llangas Hand los und lief wie ein lebhaftes, lustiges Kind zu dem einen und dem anderen hin.
Er schien sehr stolz darauf zu sein, die Fremden durch die Straßen des Dorfes führen zu können. Das that er offenbar nicht ohne Zweck und Ziel, sondern geleitete sie mit Berechnung hier und dort hin so daß man gar nichts besseres thun konnte, als dem fünfjährigen Führer zu folgen.
Die Urmenschen – wie John Cort die Leute hier bezeichnete
– gingen nicht völlig nackt. Abgesehen von dem rothbraunen Flaum, der ihren Körper theilweise bedeckte, trugen Männer und Frauen eine Art Schurz aus Pflanzenstoff, zwar gröber gearbeitet, doch im übrigen ähnlich den Geweben aus Akazienfasern, die in Porto Novo, einem Hafen Dahomeys, in großer Menge angefertigt werden.
Was John Cort besonders auffiel, war die Thatsache, daß die ziemlich runden, die Größenverhältnisse des mikrocephalischen Typus mit dem des Menschen sehr nahe kommenden Gesichtswinkel zeigenden Köpfe der Wagddis sehr wenig von Prognathismus erkennen ließen. Die Augenbrauenbogen traten auch nicht so bemerkbar hervor, wie bei allen Affenarten. Das Kopfhaar bildete ein glattes Vließ, wie bei den Eingebornen von Aequatorialafrika, und der Bart war nur ganz schwach entwickelt.
»Und kein zum Greifen geschaffener Fuß, bemerkte John Cort.
– Auch kein Schwanzanhang, setzte Max Huber hinzu, keine Spur davon!
– Ja wirklich, antwortete John Cort, und das ist schon ein Zeichen von höherer Entwicklung. Die anthropomorphen Affen haben weder einen Schwanz, noch Backentaschen oder Schwielen. Sie bewegen sich nach Belieben aufrecht stehend oder auf allen vieren. Hier ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß die aufrecht gehenden Affen dabei nicht mit der Fußsohle auftreten, sondern sich auf den Rücken der umgebogenen Finger stützen. Bei den Wagddis ist das anders, ihr Gang gleicht, das sieht man auf dem ersten Blick, vollkommen dem des Menschen.«
Diese Bemerkung war ganz richtig und es handelte sich hier ohne Zweifel um eine völlig neue Rasse. Was übrigens den Fuß betrifft, so behaupten manche Gelehrte, daß zwischen dem des Affen und dem des Menschen gar kein Unterschied bestehe, und daß auch der zweite eine gegenständige große Zehe (gleich dem Daumen der Hand) haben würde, wenn der Fuß nicht durch das Schuhwerk verunstaltet wäre.
Noch außerdem giebt es aber physische Aehnlichkeiten zwischen den beiden Rassen. Die Vierhänder mit menschlicher Körperhaltung sind weniger unbändig und schneiden weniger Grimassen, kurz, sie erschienen als die ernstesten und verständigsten ihrer Art. Gerade dieser äußere Ernst zeigte sich nun auch in der Haltung wie in den Handlungen der Bewohner von Ngala. Hätte John Cort sie eingehender untersuchen können, so würde er auch gefunden haben, daß ihr Gebiß mit dem der Menschen übereinstimmte.
Derlei Aehnlichkeiten stützten zwar bis zu gewissem Grade die Lehre von der Veränderlichkeit der Arten, die von Darwin vertretene Descendenztheorie. Man hat sie sogar, unter Vergleichung der am höchsten entwickelten Affenfamilien mit den auf der niedrigsten Stufe stehenden Menschen, als entscheidend dafür angesehen. Linné z. B. vertrat die Anschauung, daß es einst Troglodyten (menschliche Höhlenbewohner) gegeben habe, eine Bezeichnung, die sich auf die Wagddis gewiß nicht anwenden ließ, denn diese wohnten ja auf Bäumen. Vogt hat sogar behauptet, daß die Menschheit aus drei großen Affenfamilien hervorgegangen sei: der Orang, eine brachycephale Art mit langer, brauner Behaarung, wäre nach ihm der Ahne der Negritos; der Schimpanse, eine dolichocephale Art mit mächtigen Kiefern, der der eigentlichen Neger, und von dem Gorilla, der sich durch eine besondere Entwicklung des Brustkorbes, durch die ihm eigene Haltung, die Gestalt des Fußes und durch den Knochenbau des Rumpfes und der Gliedmaßen auszeichnet, sollte der weiße Mensch abstammen. Dieser Aehnlichkeit kann man freilich leicht genug sehr ins Gewicht fallende Unähnlichkeiten der intellectuellen und moralischen Eigenschaften gegenüberstellen – Unähnlichkeiten, die zu einer Verwerfung der Darwin’schen Leitsätze führen müssen.
Immerhin kann man bei Betrachtung der unterscheidenden Merkmale der drei Vierhänderfamilien annehmen, daß sie –ohne gleichzeitig zuzugeben, daß sie die zwölf Millionen Zellen und die vier Millionen Fasern des menschlichen Gehirns besitzen – einer den anderen Thieren weit überlegenen Rasse angehören. Daraus folgt aber nimmermehr, daß der Mensch nur ein vervollkommneter Affe oder der Affe ein degenerierter Mensch wäre.
Was den Mikrocephalen betrifft, den man zum Mittelglied zwischen Mensch und Affen hat stempeln wollen, und dessen Vorhandensein von den Anthropologen ebenso vergeblich prophezeit, wie nach ihm vergeblich geforscht worden ist, dieses Kettenglied, das die animalische Welt mit der
»hommalen« verbinden soll… sollte man bezüglich dieses fehlenden Gliedes annehmen, daß es etwa von den Wagddis gebildet würde? Hatten es die merkwürdigen Zufälligkeiten ihrer Reise diesem Franzosen und diesem Amerikaner vorbehalten, es zu entdecken?
Und wenn sich diese Rasse physisch der Menschenrasse noch so sehr näherte, hätte man bei den Wagddis doch noch nachweisen müssen, daß sie die dem Menschen eigenen moralischen und religiösen Eigenschaften und Empfindungen besäßen, ganz abgesehen von der Fähigkeit, Schlußfolgerungen zu ziehen und sich Verallgemeinerungen vorzustellen, ebenso wie von einer Veranlagung für Künste und Wissenschaften.
Nur dann hätte man sich endgiltig über die zwischen Monogenisten und Polygenisten herrschende Streitfrage aussprechen können.
Bisher stand nur das eine fest, daß die Wagddis sprechen konnten. Nicht auf Instincte allein beschränkt, hatten sie Vorstellungen, Gedanken
– die ja überhaupt die
Voraussetzungen des Wortes sind – und Wörter, deren Verbindung ihre Sprache ausmachte. Besser als durch Schreie, die durch Blicke und Bewegungen weiter erläutert wurden, bedienten sie sich articulierter Laute, die als Unterlage eine Reihe von Tönen und von Formen hatten, welche durch Atavismus auf sie vererbt worden sein mochten.
Am verblüfftesten über diese Wahrnehmung zeigte sich John Cort. Diese Fähigkeit, die ohne gleichzeitig vorhandenes Gedächtniß undenkbar ist, verrieth einen angeborenen Rasseneinfluß.
Immer auf die Sitten und Gebräuche dieser Waldmenschen achtend. durchwanderten John Cort, Max Huber und Khamis die Straßen des Dorfes.
Es war ziemlich groß, denn es mußte wenigstens einen Umfang von drei Kilometern haben.
»Und wenn es ein Nest ist, wie Max Huber sagte, so ist es mindestens ein sehr geräumiges Nest.«