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Von der Hand der Wagddis erbaut, ließ die Anlage eine der der Vögel, der Bienen, Biber und Ameisen entschieden überlegene Kunstfertigkeit erkennen. Lebten diese Urmenschen hier in Bäumen, Geschöpfe, die doch denken und ihre Gedanken ausdrücken konnten, so hatte gewiß der Atavismus sie dazu bestimmt.

»Auf jeden Fall, bemerkte John Cort, hat die Natur, die sich ja niemals irrt, Gründe gehabt, die Wagddis ein solches Leben in den Lüften wählen zu lassen. Statt auf dem ungesunden Erdboden zu siedeln, bis zu dem die Sonne mit ihren Strahlen niemals hinunterdringt, leben sie fröhlich inmitten der Wipfel dieses Waldes.«

Die meisten, hübsch kühlen und grün umkränzten Hütten von der Form der Bienenkörbe standen weit offen. Die Frauen besorgten darin emsig ihre höchst einfache Wirthschaft. Kinder liefen in Menge umher, die kleinsten wurden von ihren Müttern gesäugt. Von den Männern beschäftigten sich die einen mit dem Einsammeln der Früchte zwischen den Zweigen, die anderen waren die Leitertreppe hinuntergestiegen und widmeten sich ihren gewohnten Arbeiten. Ein Theil von ihnen kam mit mehreren Stücken Wildpret wieder herauf, andere brachten große Gefäße, die sie aus einem Rio mit Wasser gefüllt hatten.

»Es ist doch ärgerlich, sagte Max Huber, daß wir die Sprache dieses Naturvölkchens nicht verstehen! So werden wir nie mit ihnen plaudern oder eine genauere Kenntniß von ihrer Litteratur gewinnen können. Uebrigens habe ich die hiesige Stadtbibliothek noch ebensowenig gesehen, wie die Fortbildungsschulen für Knaben und für Mädchen!«

Da die Sprache der Wagddis aber, soweit man sie von Li-Maï gehört hatte, mit Wörtern anderer Eingebornen vermischt war, versuchte Khamis, das Kind mit einigen der gebräuchlichsten davon anzureden.

So geweckt Li-Maï jedoch im allgemeinen erschien, konnte er nichts verstehen. In Gegenwart John Cort’s und Max Huber’s hatte er aber doch in einem hilflosen Zustande das Wort »Ngora« ausgesprochen, und ferner versicherte Llanga, vom Vater des Kleinen gehört zu haben, daß das Dorf Ngala und dessen Oberhaupt Mselo-Tala-Tala heiße.

Nach etwa einstündiger Wanderung erreichten der Foreloper und seine Gefährten das Ende des Dorfes. Hier erhob sich eine mehr in die Augen fallende Hütte. Zwischen dem Geäst eines ungeheueren Wollbaumes errichtet, war sie von Gesträuch umgittert und ihr Dach verlor sich in der Laubwölbung.

Diese Hütte war der königliche Palast, das Heiligthum der Zauberer und der Tempel der Götter, wie solche die meisten wilden Volksstämme Afrikas Australiens und der Pacifischen Inseln verehren.

Jetzt war Gelegenheit, von Li-Ma? einige weiter gehende Mittheilungen zu erhalten. John Cort legte ihm deshalb die Hände auf die Schultern, wendete ihn der großen Hütte zu und fragte:

»Mselo-Tala-Tala?…«

Als Antwort erhielt er ein Zeichen mit dem Kopfe.

Hier wohnte also der Häuptling des Dorfes Ngala, Seine wagddische Majestät.

Ohne jede Ceremonie schritt Max Huber gelassen auf die betreffende Hütte zu.

Da veränderte sich die Haltung des Kindes, das ihn unter allen Zeichen des Schreckens zurückzuhalten suchte.

Max Huber ließ sich jedoch nicht beirren und wiederholte nur nochmals: »Mselo-Tala-Tala?«

Als der Franzose dann eben die Hütte erreichte, rannte der Kleine wieder auf ihn zu und verhinderte ihn, weiter zu gehen.

Offenbar war es verboten, sich der Königswohnung zu nähern.

Wirklich erhoben sich sofort zwei wachhabende Wagddis und stellten sich, ihre Waffen, eine Axt aus Eisenholz und einen Speer, schwingend, vor die Thür.

»Nun seh’ mir einer, rief Max Huber, hier ganz wie anderwärts, im großen Walde von Ubanghi wie in den Hauptstädten der civilisierten Welt: Leibwachen, Hundertgarden, wachhabende Prätorianer vor dem Palaste, und vor welchem Palaste… vor dem einer affenmenschlichen Majestät!

– Was ist dabei zu verwundern, lieber Max?

– Na, meinte dieser, wenn wir denn den gestrengen Monarchen jetzt nicht sehen können, so werden wir schriftlich um eine Audienz bei ihm nachsuchen.

– Sehr schön, erwiderte John Cort, doch wenn diese Unmenschen auch sprechen, glaube ich kaum, daß sie sich schon zum Lesen und Schreiben aufgeschwungen haben. Noch in wilderem Zustande, als die Eingebornen des Congo oder des Sudan, als die Funds, die Chilus, die Denkas und die Monbuttus, scheinen sie mir noch nicht civilisiert genug zu sein, ihre Kinder in eine Schule zu schicken.

– Das möchte ich doch etwas bezweifeln, John. Doch wie wollen wir uns überhaupt diesen Leuten, deren Sprache wir nicht kennen, schriftlich mittheilen?

– Richtig; lassen wir uns lieber von dem Kleinen weiter führen, sagte Khamis.

– Ist Dir nicht die Hütte seines Vaters und seiner Mutter bekannt? fragte John Cort den jungen Eingebornen.

– Nein, lieber Freund John, antwortete Llanga. Doch… ohne Zweifel… Li-Maï wird uns dahin führen. Wir müssen ihm folgen.«

Damit trat er an das Kind heran und zeigte mit der Hand nach links.

»Ngora?… Ngora?«… sagte er.

Man sah, daß das Kind ihn verstand, denn es senkte den Kopf und hob ihn lebhaft wieder empor.

»Das beweist, sagte John Cort, daß das Zeichen für eine Verneinung und eine Bejahung ein instinctiver Ausdruck und als solcher bei allen Menschen der nämliche ist… ein weiterer Beweis, daß diese Urmenschen der übrigen Menschheit ungemein nahe stehen.«

Wenige Minuten später kamen die Besucher nach einem tiefer beschatteten Theile des Dorfes, wo die Wipfel der Bäume dicht untereinander verschlungen waren.

Li-Maï blieb vor einer sauberen Hütte stehen, deren Dach mit den breiten Blättern der Ensete, einer in dem großen Walde weit verbreiteten Banane, bedeckt war, mit denselben Blättern, die der Foreloper für das Sonnendach des Flosses verwendet hatte. Eine Art Stampferde bildete die Wände der Hütte, in die eine, augenblicklich offen stehende Thür hineinführte.

Li-Maï wies Llanga mit der Hand danach hin, und dieser erkannte sie sofort wieder.

»Da ist es,« sagte er.

Das Innere bildete einen einzigen Raum. Im Hintergrunde befand sich eine Lagerstätte aus trockenem Gras, das leicht zu erneuern war. In einer Ecke dienten einige größere Steine als Herd, auf dem jetzt mehrere Zweige in Brand standen. Von sonstigem Geräthe sah man nur zwei oder drei Kürbisflaschen, eine mit Wasser gefüllte irdene Schale und zwei irdene Töpfe.

Bis zu Gabeln hatten es die Waldmenschen noch nicht gebracht, sie aßen einfach mit den Fingern. Da und dort zeigten sich auf einem an der Wand befestigten Brette verschiedene Früchte, eßbare Wurzeln, ein Stück gekochtes Fleisch, nebst einem halben Dutzend, für die nächste Mahlzeit bereits gerupfter Vögel, und, an Dornen aufgehängt, mehrere Stücke Stoff aus Rinde und Aguliegewebe.

Ein Wagddi und eine Wagddierin erhoben sich sofort, als Khamis und seine Begleiter in die Hütte eintraten.

»Ngora!… Ngora!… Lo-Maï… la Maï!« rief das Kind.

Und als ob er glaubte, besser verstanden zu werden, setzte er noch hinzu:

»Vater… Vater!«

Er sprach das Wort, wenn auch sehr schlecht, deutsch aus.

Doch, wie seltsam ein Wort aus dieser Sprache von einem Wagddi aussprechen zu hören!

Kaum eingetreten, ging Llanga auf die Mutter zu, und diese breitete die Arme aus, drückte ihn an sich, liebkoste ihn mit der Hand und gab durch alles dem Retter ihres Kindes ihre Dankbarkeit zu erkennen.

John Cort hatte bei dem Besuche folgende Beobachtungen gemacht:

Der Vater war ein ziemlich großer Mann, gut gewachsen und von kräftigem Aussehen; seine Arme erschienen etwas länger als gewöhnlich die der Menschen, die Hände waren groß und stark, die Beine leicht gebogen, und die Fußsohlen standen ihrer ganzen Länge nach auf dem Boden.

Er zeigte die ziemlich helle Hautfarbe der eingebornen Stämme, die sich mehr von Fleisch als von Pflanzen nähren, einen flockigen kurzen Bart, schwarzes Kraushaar und eine Art Flaum, der den ganzen Körper bedeckte. Sein Kopf war von mittlerer Größe, die Kiefer standen nur wenig vor und seine Augen mit glänzender Pupille hatten einen lebhaften Ausdruck.