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»Für uns ist es das wichtigste, sagte Max Huber, mit dem Vater Spiegel, dem Herrscher mit der Brille, zu verhandeln und ihn zu bestimmen, daß er uns freien Abzug gewährt.«

Es konnte ja nicht unmöglich sein, eine Unterredung mit Seiner Majestät Mselo-Tala-Tala zu erlangen, wenn es Fremden nicht ausdrücklich verboten war, seine erhabene Person zu sehen. Doch wenn man auch bei ihm vorgelassen würde, wie sollte die Verhandlung geführt werden? Selbst in congolesischer Sprache wäre ja eine Verständigung ausgeschlossen gewesen. Der Erfolg einer solchen war dann noch ebenso unsicher. Es konnte ja im Interesse der Wagddis liegen, die Fremden überhaupt hier zurückzuhalten, um einer Enthüllung des Geheimnisses von dem Vorhandensein einer noch unbekannten Rasse vorzubeugen.

Wenn man John Cort glauben durfte, so waren der Gefangenschaft in dem Dorfe in den Lüften sogar mildernde Nebenumstände nachzurühmen, da die vergleichende Anthropologie daraus Nutzen ziehen und die gelehrte Welt die Auffindung einer neuen Rasse mit größter Verwunderung begrüßen mußte. Wie die Geschichte freilich enden möchte…

»Der Kuckuck soll mich holen, wenn ich das weiß!« rief Max Huber, der nicht das Zeug zu einem Garner oder Johausen in sich hatte.

Als die drei, und mit ihnen Llanga, ihre Hütte wieder betreten hatten, bemerkten sie darin einige recht anerkennenswerthe Veränderungen.

Erstens war daselbst ein Wagddi beschäftigt, das »Zimmer aufzuräumen«, wenn dieser Ausdruck hier am Platze ist. Schon vorher hatte John Cort beobachtet, daß den Eingebornen ein gewisser Sinn für Sauberkeit eigen war, der den meisten Thieren doch abgeht. Sie ordneten ihre Zimmer, doch auch ihre Toilette. Im Hintergrunde der Hütte lag jetzt eine reichliche Menge dürres Gras ausgebreitet. Da Khamis und seine Gefährten aber seit der Zerstörung der Karawane keine andere Lagerstatt gehabt hatten, änderte das nichts in ihren bisherigen Gewohnheiten.

Auf dem Fußboden standen verschiedene Gegenstände, zwar kein Möblement mit Tischen und Stühlen, wohl aber einige grobgearbeitete Geräthe, Töpfe und Schalen, wie sie die Wagddis herstellten. Hier lagen Früchte verschiedener Art, dort ein schon gekochtes Oryxviertel. Das rohe Fleisch von diesen wird nur von Raubthieren nicht verschmäht, außer den seltenen Fällen, wo man es bei sehr tiefstehenden Volksstämmen fast als ausschließliches Nahrungsmittel antrifft.

»Ja, wer einmal Feuer erzeugen kann, erklärte John Cort, der bedient sich seiner auch zum Kochen der Speisen. Ich wundere mich also gar nicht, daß auch die Waggdis das Fleisch in gekochtem Zustande genießen.«

Die Hütte enthielt jetzt ferner einen, aus einem flachen Steine bestehenden Herd, von dem sich der emporwirbelnde Rauch in dem Gezweig eines Caulecedratbaumes verlor, das sich darüber ausbreitete.

Als die Vier im Eingange der Hütte erschienen, unterbrach der Wagddi seine Arbeit.

Es war ein junger Bursche von zwanzig Jahren mit flinken Bewegungen und intelligentem Gesicht. Er wies mit der Hand nach den hierher gebrachten Dingen. Darunter entdeckten Max Huber, John Cort und Khamis – selbstverständlich mit größter Befriedigung – auch ihre Gewehre, die zwar etwas verrostet, doch leicht wieder in Stand zu setzen waren.

»Sapperment, rief Max Huber, die kommen uns aber gelegen! Wenn es gilt…

– Würden wir davon Gebrauch machen, fuhr John Cort fort, wenn… ja, wenn wir auch unseren Patronenkasten hätten.

– O, der ist hier!« antwortete der Foreloper.

Er wies bei diesen Worten nach dem links von der Thür stehenden Metallkasten. Diesen Kasten sammt den Gewehren hatte Khamis, wie der Leser weiß, noch auf die Felsblöcke und so hoch hinauf geworfen, daß das Wasser die Gegenstände nicht erreichen konnte. Das geschah in dem Augenblicke, wo das Floß an die Barre stieß.

»Wenn sie uns die Gewehre zurückgegeben haben, bemerkte Max Huber, bleibt die Frage übrig, ob sie den Gebrauch von Feuerwaffen überhaupt kennen.

– Das weiß ich nicht, antwortete John Cort, sie aber wissen offenbar, daß man nicht behalten soll, was einem nicht gehört, und das spricht sehr zu Gunsten ihrer Moralität.«

Das zugegeben, erschien Max Huber seine aufgeworfene Frage doch von besonderer Wichtigkeit.

»Kollo… Kollo!«

Klar verständlich ertönte dieses Wort mehrere Male, und während der junge Wagddi es aussprach, hob er die Hand bis zur Stirn und berührte sich dann an der Brust, als wolle er sagen:

»Kollo… das bin ich!«

John Cort vermuthete, daß das der Name ihres neuen Dieners war, und als er diesen fünf- bis sechsmal wiederholt hatte, zeigte Kollo seine Freude darüber durch ein längeres Lachen.

Ja, sie konnten auch lachen, diese Urmenschen, das war eine in anthropologischer Hinsicht wichtige Thatsache. Kein Wesen, außer dem Menschen, ist sonst dazu befähigt.

Beobachtet man bei den intelligentesten Geschöpfen, z. B.

bei den Hunden, auch einige Andeutungen des Lachens oder Lächelns, so zeigen sich diese doch nur in den Augen und vielleicht in der Gestaltung der Lippen. Außerdem folgten die Wagddis auch nicht dem fast allen Vierfüßlern gemeinsamen Naturtriebe, ihre Nahrung zu beschnüffeln, ehe sie sie kosteten, und dann davon zuerst zu verzehren, was ihnen am besten mundete.

Das Leben der beiden Freunde, wie das Llangas und des Forelopers, gestaltete sich nun in folgender Weise: Die Hütte war kein Gefängniß. Sie konnten sie nach Belieben verlassen; doch Ngala überhaupt zu verlassen, daran würden sie jedenfalls gehindert sein, so lange sie von Seiner Majestät Mselo-Tala-Tala dazu keine Erlaubniß erhalten hatten.

Sie sahen sich also, wenigstens vorläufig, gezwungen, ihren Aerger zu verschlucken und sich’s gefallen zu lassen, inmitten dieser merkwürdigen Waldwelt in dem Dorfe in den Lüften zu leben.

Die Wagddis schienen übrigens sanfter, wenig zänkischer Natur zu sein, und waren, darauf ist besonderes Gewicht zu legen, weniger neugierig und weniger überrascht von der Erscheinung von Fremdlingen, als es bei den tiefststehenden Wilden Afrikas und Australiens der Fall gewesen wäre. Der Anblick der beiden Weißen und der beiden Congolesen verwunderte sie nicht so sehr, wie er jeden andern Eingebornen Afrikas verwundert hätte. Die Sache ließ sie offenbar gleichgiltig, und von Zudringlichkeit war bei ihnen keine Spur.

Hier zeigte sich nichts von Maulaffenfeilhalten oder von albernem Vornehmthun. Was die Akrobatik anging, nämlich ein Erklettern der Bäume, ein Hinüberspringen von einem Aste zum anderen, oder ein Hinuntergleiten längs der Treppenleiter von Ngala, hätten sie einem Billy Hayden, einem Joë Bibb und einem Fottit, den damals unerreichten Meistern der Circus-Akrobatik, leicht die Stange halten können.

Neben ihren hoch entwickelten physischen Eigenschaften zeichneten sich die Wagddis auch durch einen ungemein scharfen Gesichtssinn aus. Bei der Jagd auf Vögel erlegten sie diese mit kleinen Pfeilen. Auch ihre Schläge führten sie mit größter Sicherheit, wenn sie Damwild, Elenthiere, Antilopen und sogar Büffel und Flußpferde im Hochwalde verfolgten.

Dabei hätte sie Max Huber gar zu gern begleitet, ebenso in der Absicht, ihre Geschicklichkeit als Jäger zu bewundern, wie um sich bei passender Gelegenheit aus dem Staube zu machen.

Ja, entfliehen… das war’s, woran die Gefangenen unausgesetzt dachten. Eine Flucht war aber nur über die einzige Leitertreppe ausführbar, und diese war an ihrem obersten Absatz von Kriegern besetzt, deren Wachsamkeit schwerlich getäuscht werden konnte.

Wiederholt stieg in Max Huber der Wunsch auf, einige von den Vögeln zu schießen, die – es waren Su-mangas, Ziegenmelker, Perlhühner, Wiedehopfe, Griots und andere – in Scharen unter den Bäumen umherflatterten und den Waldmenschen vielfach als Nahrung dienten. Seine Gefährten und er wurden aber Tag für Tag mit Wildpret versorgt, meist mit dem Fleische von verschiedenen Antilopen, von Oryx, Inyalas, Sassabys und Wasserböcken, die im Walde von Ubanghi zahlreich vorkamen. Ihr Diener Kollo ließ es an nichts fehlen; er erneuerte täglich den Vorrath an frischem Wasser, der für die Zubereitung der Speisen erforderlich war, und auch den an trockenem Holze zur Unterhaltung des Feuers.