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Hier wäre übrigens Gelegenheit zu einem ausschlaggebenden Versuche gewesen, zu der Probe, ob diese Urmenschen unempfindlich wären gegen die giftige Wirkung des Atropins, der jeder Mensch unterliegt, während die Thiere sie ohne Nachtheil vertragen. Wenn ja, so waren es Menschen, wenn nein, so waren es Thiere. Wegen Mangels an diesem Giftstoffe konnte der Versuch leider nicht angestellt werden. Beiläufig sei ferner erwähnt, daß während des Aufenthaltes John Cort’s und Max Huber’s in Ngala kein einziger Todesfall vorkam. Es blieb also ungewiß, ob die Wagddis ihre Todten verbrannten oder beerdigten, ebenso ob sie eine Art Todtenverehrung kannten oder nicht.

Begegnete man unter der wagddiischen Bevölkerung auch keinen Priestern oder Zauberern, so sah man doch eine Anzahl mit Pfeil und Bogen, mit Spießen und Aexten ausgerüstete Krieger… vielleicht hundert Mann, die aus den kräftigsten und bestgewachsenen Leuten ausgewählt waren. Unklar blieb, ob diese nur als Leibwache für den König oder auch für den Angriff oder die Abwehr Verwendung fanden. In dem großen Walde konnten ja noch andere Dörfer gleicher Art und gleichen Ursprunges liegen, und wenn deren Einwohner nach Tausenden zählten, warum sollten sie, wie die übrigen Völker Afrikas, sich nicht gegenseitig bekriegt haben?

Daß die Wagddis schon mit den Eingebornen von Ubanghi, Baghirmi, vom Sudan oder mit Congolesen in Berührung gekommen wären, ließ sich kaum annehmen, und dasselbe dürfte wohl auch bezüglich des Zwergvolkes, der Bambusti, gelten, die der englische Missionär Albert Lloyd in den Wäldern Centralafrikas entdeckt und als fleißige Ackerbauer erkannt hatte, was auch Stanley in dem Berichte über seine letzte Reise hervorhebt. Hätte eine solche Berührung stattgefunden, so wäre das Vorkommen dieser Waldmenschen schon lange bekannt geworden und es John Cort und Max Huber nicht vorbehalten gewesen, sie zu entdecken.

»Doch, bemerkte der zweite, wenn die Wagddis einander tödten, liebster John, so würde sie das auch zum Range der eigentlichen Menschen erheben!«

Uebrigens erschien es kaum annehmbar, daß die Wagddikrieger nur einem nutzlosen Müßiggehen fröhnten, und daß sie nicht in der Umgebung gelegentlich eine Razzia ausführten. Nach zwei- bis dreitägiger Abwesenheit tauchten sie nämlich einmal plötzlich wieder auf, und da waren einzelne davon verwundet und andere brachten verschiedene Dinge, Geräthe oder Waffen, wagddiischen Ursprungs mit.

Mehrmals, doch immer vergeblich, wagte der Foreloper den Versuch, aus dem Dorfe zu entkommen. Die Kriegsleute, die die Treppe besetzt hielten, wiesen ihn dabei mit einiger Gewalt zurück. Einmal wäre Khamis sogar gehörig mißhandelt worden, wenn ihm Lo-Maï, den der Auftritt herbeigelockt hatte, nicht schnell zu Hilfe gekommen wäre.

Bei dieser Gelegenheit kam es übrigens zu einem hitzigen Wortwechsel zwischen Lo-Maï und einem kräftigen Burschen, der Raggi genannt wurde. Nach dem Fellüberwurf, den er trug, nach den Waffen, die an seinem Gürtel hingen, und nach den Federn, die seinen Kopf schmückten, ließ sich vermuthen, daß er der Anführer der Krieger sei. Schon sein grimmiger Gesichtsausdruck, seine befehlerischen Bewegungen und seine natürliche Derbheit ließen ihn zum Befehlshaber geschaffen erscheinen.

Als Folge dieser Fluchtversuche hatten die beiden Freunde erwartet, daß sie nun Seiner Majestät vorgeführt werden würden und sie endlich diesen König zu sehen bekämen, den seine Unterthanen so eifersuchtig in der königlichen Wohnung verborgen hielten. Ihre Hoffnung sollte getäuscht werden.

Offenbar war Raggi mit weitestgehender Vollmacht ausgestattet, und es schien rathsamer, ihn nicht durch Wiederholung solcher Versuche zu reizen. Die Aussichten auf ein Entkommen waren also sehr beschränkt, wenn nicht etwa die Wagddis beim Angriffe auf ein Nachbardorf selbst angegriffen wurden, denn dann konnte es ja bei einem feindlichen Einfalle möglich werden, Ngala unbemerkt zu verlassen. Doch nachher… was dann?…

Das Dorf wurde jedoch in den ersten Wochen in keiner Weise bedroht, außer durch gewisse Thiere, die Khamis und seinen Gefährten in dem großen Walde noch nicht vor Augen gekommen waren. Wenn die Wagddis in der Hauptsache auch in Ngala lebten oder wenigstens für die Nacht hierher zurückkehrten, so besaßen sie doch einige Hütten am Ufer des Rio. Man hätte fast von einem kleinen Flußhafen, dem Anlegeplatz für die Fischerfahrzeuge, reden können, und diese Fahrzeuge hatten sie nicht selten gegen Flußpferde, Manatis und die in den afrikanischen Gewässern so häufigen Krokodile zu vertheidigen.

Eines Tages, es war am 9. April, erhob sich da ein lauter Lärm; wüstes Geschrei schallte vom Rio heraus. Handelte es sich um einen Angriff, den Wesen ihresgleichen gegen die Wagddis unternahmen? Dank seiner Lage war das Dorf ja gegen einen plötzlichen Ueberfall gesichert. Bedachte man aber, daß vielleicht an die das Bauwerk tragenden Stämme Feuer gelegt würde, so mußte dessen Zerstörung das Werk weniger Stunden sein. Es war ja nicht unmöglich, daß die Urmenschen gegen ihre Nachbarn zu diesem Mittel gegriffen hätten, und daß diese es jetzt versuchten, es gegen sie anzuwenden.

Auf die ersten Schreie hin stürmten Raggi und etwa dreißig Krieger nach der Treppe hin, die sie mit affenartiger Geschwindigkeit hinunterkletterten. Von Lo-Maï geführt, kamen John Cort, Max Huber und Khamis nach der Stelle, von der aus der Wasserlauf zu überblicken war.

Es handelte sich wirklich um einen Ueberfall der am Flusse stehenden Hütten. Eine ganze Herde, nicht von Flußpferden, sondern von Cheropotamen oder vielmehr von Potamocheren, das heißt von eigentlichen Flußschweinen, war aus dem Hochwald hervorgebrochen, und die Thiere traten alles, wohin sie kamen, unter ihren Füßen nieder.

Diese Potamocheren, die die Boeren Bosh-wark und die Engländer Bushpigs nennen, kommen in der Gegend des Caps der Guten Hoffnung, in Guinea, am Congo, auch in Kamerun vor und richten oft recht empfindlichen Schaden an. Kleiner als das europäische Wildschwein, haben sie feinere Borsten, eine bräunliche, ins orangefarbene spielende Haut, spitze, mit einem Haarbüschel versehene Ohren, eine schwarze, mit weißen Borsten durchsetzte Mähne, die sich über das ganze Rückgrat hinzieht, einen stark entwickelten Rüssel und – was die männlichen Thiere betrifft – zwischen Nase und Auge eine Hautausstülpung, die von einem Knochenhöcker getragen wird.

Diese Schweine sind immer zu fürchten, im vorliegenden Falle waren sie es umsomehr, als sie in starker Ueberzahl auftraten.

Man hätte ihrer wohl hundert zählen können, die gegen das linke Ufer des Rio angestürmt kamen. Vor dem Dazwischentreten Raggi’s und seiner Leute waren auch schon die meisten Hütten umgeworfen worden.

Durch die Zweige der äußersten Bäume konnten John Cort, Max Huber, Khamis und Llanga dem Kampfe zusehen. Er war nur kurz, doch nicht gefahrlos. Die Krieger entwickelten dabei großen Muth. Sie bedienten sich mehr der Spieße und Aexte als der Pfeile und der Bogen, und drangen auf die Angreifer mit gleichem Ungestüm ein, wie die Thiere auf sie. So entwickelte sich ein Handgemenge – wenn dieser Ausdruck hier statthaft ist – wobei die Wagddis mit den Aexten dreinschlugen und den Vierfüßlern die Speere in die Seite rannten.

Nach kaum einstündigem Kampfe waren die Flußschweine verjagt und Ströme von Blut vermischten sich mit dem Wasser des kleinen Flusses.

Max Huber hatte große Lust gehabt, an der Schlacht theilzunehmen. Seine Flinte und die John Cort’s zu holen, von oben her auf die Herde zu schießen, die Potamocheren mit einem Bleihagel zu überschütten, gewiß zum größten Erstaunen der Wagddis, das wäre ja leicht auszuführen gewesen. Der kluge John Cort beruhigte aber seinen aufbrausenden Freund, und der Foreloper unterstützte ihn dabei.

»Nein, nein, sagte er, wir wollen uns für wichtigere Fälle ein Einschreiten vorbehalten. Wenn man über den Blitz verfügt, lieber Max…