– Gewiß an der Stelle, wo sich das Lager der Eingebornen befindet, bemerkte der Foreloper.
– Und was ist Ihre Ansicht? wendete sich Urdax an John Cort.
– Ich glaube, daß uns ein Angriff droht, versicherte dieser, und daß wir uns sofort zur Vertheidigung rüsten müssen…
– Warum sollten uns die Eingebornen aber nicht überfallen haben, bevor sie sich zeigten?
– O, Neger sind eben keine Weißen, erklärte der Portugiese.
Fehlt es ihnen auch an kluger Vorsicht, so sind sie wegen ihrer Zahl und ihrer Wildheit doch nicht minder zu fürchten.
– Reine Panther, die unsere Missionäre große Mühe haben werden, in Lämmer zu verwandeln, antwortete Max Huber.
– Halten wir uns bereit!« schloß der Portugiese.
Ja, jetzt galt es, sich auf alles bereit zu machen, sich bis zum Tode zu vertheidigen. Von den wilden Völkerschaften Ubanghis darf man kein Erbarmen erwarten. Wie grausam sie sind, kann man sich kaum vorstellen; selbst die wildesten Stämme Australiens, der Salomonsinseln, der Hebriden und Neuguineas würden mit ihnen schwerlich den Vergleich aushalten. Im Herzen des hiesigen Landestheiles giebt es nur Kannibalendörfer, und die Väter der Missionen, die dem schrecklichsten Tode furchtlos ins Antlitz schauen, wissen das auch sehr wohl. Man wäre wirklich versucht, diese Wesen, ein Raubzeug mit Menschenangesicht, hier im äquatorialen Afrika unter die Thiere zu rechnen, und ihnen gegenüber ist Schwäche ein Verbrechen und nur die Gewalt berechtigt. Selbst im reisen Mannesalter haben diese Schwarzen nicht einmal soviel Kenntnisse, wie bei uns ein fünf- bis sechsjähriges Kind.
Man darf auch behaupten – Beweise giebt es in Ueberfluß und die Missionäre sind oft genug Zeugen von entsetzlichen Auftritten gewesen – daß hierzulande Menschenopfer noch vielfach im Schwange sind. Man ermordet die Sklaven auf dem Grabe ihres Herrn, und ihre an einen elastischen Zweig gehängten Köpfe werden weit fortgeschleudert, sobald der Fetischdiener sie abgeschnitten hat. Im Alter von zehn bis zu sechzehn Jahren dienen Kinder als Nahrung bei größeren Festen, und manche Häuptlinge sollen sich ausschließlich von solchen nähren.
Zu ihren Kannibalengelüsten gesellt sich noch eine ungezähmte Raubgier. Diese führt sie oft auf die Straßen der Karawanen, die sie überfallen, ausplündern und vernichten.
Sind sie auch weniger gut bewaffnet als die Händler und deren Begleitmannschaft, so haben sie doch den Vortheil der größeren Zahl, und einige tausend Eingeborne nehmen es allemal mit ein paar hundert Trägern auf. Die Forelopers wissen das recht gut; sie hüten sich auch sorgsamst, Negerdörfern wie Ngombe Dara, Kalaka Taimo und andern in der Umgebung des Aukadepe und des Bahar-el-Abiad zu nahe zu kommen, wo noch keine Missionäre thätig gewesen sind, wohin diese aber auch noch vordringen werden. Keine Furcht vermag deren Feuereifer zu dämpfen, wo es sich darum handelt, zarte Menschengeschöpfe vor dem Tode zu retten und jene wilden Rassen durch christliche Civilisation aus ihrer Versunkenheit emporzuheben.
Vom Anfang seines Zuges an hatte der Portugiese Urdax nicht immer Angriffen durch Eingeborne aus dem Wege gehen können, dabei war es ihm jedoch stets gelungen, ohne größeren Schaden davonzukommen, und er führte sein Personal jetzt in unverminderter Zahl heim. Die Rückkehr versprach eigentlich in vollster Sicherheit zu verlaufen. Nach Umgehung dieses Waldes an der Westseite, gelangte man an das rechte Ufer des Ubanghi und längs dieses Flusses gedachte man bis zu seiner Einmündung am rechten Congouser hinzuziehen. Vom Ubanghi aus trifft man dann häufig auf reisende Händler und auf Missionäre. Hier ist auch weniger zu fürchten von einer Begegnung mit eingebornen Stämmen, die durch das Eingreifen Frankreichs, Deutschlands, Englands und Portugals immer weiter nach den Gebieten von Darfur zurückgedrängt werden.
Sollte die Karawane jetzt, wo einige Marschtage genügten, den Fluß zu erreichen, auf ihrem Wege aufgehalten werden oder einer so starken Anzahl mordgieriger Gesellen vielleicht gar zum Opfer fallen?… Das war leider zu befürchten.
Jedenfalls sollte sie nicht, ohne sich vertheidigt zu haben, zu Grunde gehen, und entsprechend dem Aufruf des Portugiesen wurden alle Maßregeln zu einer kräftigen Abwehr getroffen.
Im Handumdrehen waren Urdax, der Foreloper, John Cort und Max Huber bewaffnet und hatten ein Gewehr bereit, einen Revolver im Gürtel und eine wohlgefüllte Patronentasche daran befestigt. Der Wagen enthielt überdies ein Dutzend Flinten und Pistolen, die an einige, bezüglich ihrer Treue erprobte Träger vertheilt wurden.
Gleichzeitig befahl Urdax seinen Leuten, sich immer in der Nähe der großen Tamarinden zu halten, um leicht besseren Schutz gegen Pfeile finden zu können, deren vergiftete Spitzen meist tödtliche Verletzungen erzeugen.
Jetzt wartete alles voller Spannung. Kein Geräusch unterbrach die Stille der Umgebung. Es schien nicht so, als ob die Eingebornen vom Walde her über die Ebene vorgedrungen wären. Noch sah man wie vorher den feurigen Schein und da und dort wirbelten lange Säulen gelblichen Rauches empor.
»Was dort an den ersten Baumreihen hin und her getragen wird, müssen sehr harzhaltige Fackeln sein.
– Ganz gewiß, stimmte Max Huber ein. Ich begreife nur nicht, was die Kerle dort anfangen, wenn sie wirklich einen Angriff auf uns beabsichtigen.
– Und ich begreife es ebensowenig, fügte John Cort hinzu, wenn sie diese Absicht nicht haben.«
Die Sache war in der That unerklärlich, doch worüber hätte man überhaupt erstaunen können, wenn solche verthierte Gesellen vom obern Ubanghi in Betracht kamen? Eine halbe Stunde verrann ohne Veränderung der Sachlage. Das ganze Lager blieb unausgesetzt auf der Hut. Alle Blicke durchforschten die dunkle Ferne im Osten und im Westen.
Während die Feuer im Süden weiter brannten, konnte sich ja ein Theil der Wilden von der Seite heranschleichen und die Karawane unter dem Schutze der Finsterniß überfallen.
Nach jenen beiden Seiten blieb die Ebene jedoch völlig verlassen. So dunkel die Nacht auch war, hätten hier doch keine Feinde den Portugiesen und seine Begleiter überraschen können, ohne daß diese von ihren Waffen Gebrauch gemacht hätten.
Kurz nachher, gegen elf Uhr, rief Max Huber, der von der aus Urdax, Khamis und John Cort bestehenden Gruppe einige Schritte vorwärtsgegangen war:
»Wir werden selbst nachsehen müssen, mit wem wir es hier zu thun haben!
– Könnte das etwas nützen, warf John Cort dagegen ein, und empfiehlt es sich nicht weit mehr, bis zum Tagesanbruch auf der Wacht zu bleiben?
– Warten… noch warten, entgegnete Max Huber, wo unser Schlaf so abscheulich unterbrochen worden ist, noch sechs Stunden, die Hand am Gewehrabzuge, warten! Nein, da ist es doch besser, zu sehen, woran man ist. Hegten die Eingebornen übrigens keine schlechten Absichten gegen uns, so wäre ich gern bereit, mich wieder bis zum Morgen in mein Wurzelbettgestell niederzulegen, wo ich schon so angenehm träumte.
– Was meinen Sie dazu? fragte John Cort den Portugiesen, der sich bisher ganz still verhalten hatte.
– Vielleicht verdient der Vorschlag Beachtung, antwortete dieser; er muß nur mit der größten Vorsicht ausgeführt werden.
– Ich erbiete mich zu dem Versuche, rief Max Huber eifrig, und verlassen Sie sich darauf…
– Und ich werde Sie begleiten, meldete sich der Foreloper, wenn Herr Urdax dem zustimmt.
– Es würde jedenfalls besser sein, meinte der Portugiese.
– Und ich kann mich auch noch anschließen, erklärte John Cort.
– Nein, bleib’ Du zurück, lieber Freund, bat Max Huber. Zu Zweien sind wir genug. Uebrigens werden wir nicht weiter als nöthig hinausgehen. Erspähen wir einen Trupp, der sich von dieser Seite nähert, so kommen wir schleunigst zurück.