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Es ist leicht genug, den Anfang seiner Geschichte im Auszuge wiederzugeben und sie sogar in ihrem Gesammtverlauf darzustellen. Ohne Unterbrechung reihten sich die Erlebnisse und Vorgänge auf dem Wege von der Waldhütte bis zum Dorfe Ngala aneinander.

Vor drei Jahren hatte dieser Deutsche, erfüllt von dem Wunsche, den wenig ernst genommenen und jedenfalls völlig mißglückten Versuch des Professor Garner wieder aufzunehmen, Malimba mit einer Begleitmannschaft von Schwarzen verlassen und genügende Vorräthe, Schießbedarf und Lebensmittel für ziemlich lange Zeit mitgenommen. Was er im Osten von Kamerun vorhatte, war ja nicht unbekannt geblieben. Er hatte die tolle Absicht, sich mitten unter den Affen häuslich niederzulassen, um deren Sprache zu erforschen. Nach welcher Gegend er sich aber begeben wollte, hatte er niemand anvertraut. Der Mann war eben ein Original mit weitreichenden Plänen, doch es war bei ihm, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, offenbar »eine Schraube locker«.

Was Khamis und seine Gefährten auf ihrem Rückwege entdeckt hatten, bewies zweifellos, daß der Doctor in dem Walde bis zu der Stelle gekommen war, wo der von Max Huber auf seinen Namen getaufte Rio Johausen hinfloß. Nach Zurücksendung seiner Begleiter hatte er hier ein Floß gebaut und sich darauf mit einem zu seiner Bedienung zurückbehaltenen Eingebornen eingeschifft.

So waren beide den Fluß hinuntergefahren, und zwar bis zu dem Sumpfgebiete, an dessen Grenze sie die vergitterte Hütte unter den Bäumen am rechten Ufer errichtet hatten.

Bis hierher reichten die sicheren Quellen bezüglich des Abenteuers des Doctor Johausen. Bezüglich des später Geschehenen verwandelten sich jetzt die bisherigen Vermuthungen zu unumstößlichen Gewißheiten.

Der Leser erinnert sich, daß Khamis damals, als er die verlassene Hütte durchsuchte, einen kleinen, kupfernen Kasten und darin eine Art Tagebuch gefunden hatte. Die Anmerkungen darin beschränkten sich freilich auf wenige, mit Bleistift geschriebene Zeilen von verschiedenem Datum, und zwar vom 27. Juli 1896 bis zum 24. August desselben Jahres.

Daraus ergab sich jedoch, daß der Doctor am 29. Juli ans Land gegangen war, seine Einrichtung am 13. August vollendet und seine Hütte bis zum 25. August, im ganzen also dreizehn Tage lang, bewohnt hatte.

Warum mochte er sie verlassen haben?… Vielleicht aus freien Stücken? Nein, das jedenfalls nicht. Daß die Wagddis zuweilen bis zu den Ufern des Rio vordrangen, davon hatten sich ja Khamis, John Cort und Max Huber selbst überzeugen können. Auch die flammenden Fackeln, die sich am Tage der Ankunft der Karawane am Saume des Waldes hin und her bewegten, waren jedenfalls von ihnen zwischen den Bäumen getragen worden. Das legte doch den Schluß nahe, daß jene Urmenschen die Hütte des Gelehrten entdeckt, sich seiner Person und seiner Habe bemächtigt und alles nach dem Dorfe in den Lüften übergeführt hatten.

Der eingeborne Diener war jedenfalls bei Zeiten durch den Wald entflohen. Wäre dieser auch nach Ngala gebracht worden, so würde John Cort oder Max Huber ihm auf jeden Fall schon einmal begegnet sein, denn er war ja hier nicht König und bewohnte auch gewiß nicht den Königspalast.

Uebrigens wäre er doch wohl bei der heutigen Feierlichkeit an der Seite seines Herrn als Würdenträger – warum nicht als erster Minister? – erschienen.

Die Wagddis hatten also den Doctor nicht schlechter behandelt, als Khamis und dessen Gefährten. Seine geistige Ueberlegenheit mochte sie so verblüfft haben, daß sie ihn zu ihrem Herrscher ernannten, was auch John Cort oder Max Huber hätte widerfahren können, wenn der Thron nicht bereits besetzt gewesen wäre. Seit drei Jahren regierte also hier der Doctor Johausen, der Vater Spiegel – jedenfalls hatte er diese Bezeichnung seinen Unterthanen selbst angelernt – unter dem Namen Mselo-Tala-Tala.

Das erklärte viele, bisher unerklärliche Dinge, so z. B. daß in der Sprache dieser Urmenschen mehrere congolesische und sogar einzelne deutsche Wörter vorkamen, ferner den Umstand, daß sie mit der Handhabung der Drehorgel vertraut waren, endlich, daß wohl auch ein gewisser Fortschritt in den Sitten und Gebräuchen der auf der tiefsten Sprosse der Stufenleiter der Menschheit stehenden Wesen stattgefunden hatte.

Diese Gedanken tauschten die beiden Freunde unter einander aus, als sie ihre Hütte wieder erreicht hatten.

Khamis erhielt sofort von allem Mittheilung.

»Was mir nicht recht in den Kopf will, setzte Max Huber dann noch hinzu, ist, daß der Doctor Johausen sich über die Anwesenheit von Fremden in seiner Hauptstadt gar nicht beunruhigt haben sollte. Er hat sich uns ja nicht einmal vorführen lassen, und es scheint ihm bei der Feierlichkeit gar nicht aufgefallen zu sein, daß wir seinen Unterthanen nicht im geringsten ähnelten.

– Ich bin ganz Deiner Ansicht, Max, antwortete John Cort, und ich kann unmöglich begreifen, warum uns Mselo-Tala-Tala noch nicht nach seinem Palaste befohlen hat.

– Vielleicht weiß er gar nicht, daß die Wagddis in diesem Theile des Waldes jemand gefangen genommen habe, bemerkte der Foreloper.

– Das ist wohl möglich, wäre aber immerhin seltsam, meinte John Cort. Hier liegt noch etwas vor, was wir aufzuklären suchen müssen.

– Doch wie denn? fragte Max Huber.

– Wir wollen uns nur darum bemühen, dann wird es uns schon gelingen,« antwortete John Cort.

Aus allem ging jedenfalls hervor, daß der Doctor Johausen, der nach dem Walde von Ubanghi gekommen war, um mitten unter Affen zu leben, in die Hände eines Stammes gefallen war, der entschieden über den Anthropoïden stand und dessen Vorhandensein er gar nicht geahnt hatte. Er war hier der Mühe überhoben, diesen Geschöpfen die Sprache zu lehren, denn sie sprachen schon allein; so hatte er sich darauf beschränkt, ihnen einzelne Wörter aus der congolesischen und aus der deutschen Sprache beizubringen. Da er ihnen wohl gleichzeitig als Arzt Beistand leistete, hatte er eine so große Popularität gewonnen, daß man ihn auf den Thron erhob. In der That war es John Cort auch schon aufgefallen, daß die Bewohner Ngalas sich einer vortrefflichen Gesundheit erfreuten, daß es hier keinen Kranken gab, und daß seit dem Eintreffen der Fremden – wie schon erwähnt – kein einziger Wagddi gestorben war.

Hier muß man also zugeben, daß, obwohl ein Arzt, den man sogar zum König gemacht hatte, im Dorfe lebte, die Sterblichkeit nicht zugenommen hatte. Eine etwas unziemliche Bemerkung über den Aerztestand, die Max Huber aber doch nicht unterdrücken konnte.

Was sollte nun geschehen?… War zu erwarten, daß die Stellung, die der Doctor Johausen in Ngala einnahm, eine Aenderung in der Lage der Gefangenen herbeiführen werde?…

Würde der Herrscher von teutonischer Rasse zögern, ihnen die Freiheit wiederzugeben, wenn sie vor ihm erschienen und ihn ersuchten, sie nach dem Congogebiete heimkehren zu lassen?

»Ich kann es nicht glauben, meinte Max Huber, und was wir zu thun haben, liegt klar zu Tage. Es ist sehr möglich, daß unsere Anwesenheit dem Doctor-Könige verheimlicht worden ist. Ich nehme sogar, obgleich das recht unwahrscheinlich ist, an, daß er uns bei der Feierlichkeit inmitten der Zuschauermenge gar nicht bemerkt hat. Das ist aber ein weiterer Grund, in seine königliche Wohnung Zutritt zu erzwingen.

– Wann denn? fragte John Cort.

– Noch heut’ Abend; und da er ein von seinem Volke hochverehrter Herrscher ist, wird sein Volk ihm gehorchen, und wenn er uns die Freiheit geschenkt hat, wird man uns mit den Seiner wagddiischen Majestät gleichen Wesen zukommenden Ehren bis an die Grenze begleiten.

– Doch wenn er es abschlägt?…

– Warum sollte er unseren Wunsch abschlagen?

– Weiß man das, lieber Max? rief John Cort lachend.

Vielleicht aus diplomatischen Erwägungen…

– Nun, wenn er es abschlägt, erklärte Max Huber erregt, werd’ ich ihm ins Gesicht sagen, daß er eben höchstens würdig sei, über die niedrigst stehenden Makaken zu herrschen und daß er noch weit unter seinen Unterthanen stehe!«