Inder Urdax und seine Begleiter sie auf fest umplankte Plätze lockten, ihnen Falle stellten oder vereinzelt angetroffene unmittelbar angriffen, hatten sie, ohne Unfälle wenn auch nicht ohne Gefahren und Mühseligkeiten, eine reiche Beute zusammen gebracht. Jetzt auf dem Rückwege schien es freilich, als ob die ganze Karawane von der aufgeregten Horde, die dahertrabend die Luft mit ihrem Getöse erfüllte mit Stumpf und Stiel vernichtet werden sollte.
Hatte der Portugiese noch Zeit genug gehabt, Vertheidigungsmaßregel gegen den vermutheten Angriff der am Rande des Waldes umherschwärmende Eingebornen zu treffen, so war gegen den jetzt drohenden Ueberfall so gut wie nichts zu thun. Von dem ganzen Lager würden bald nur Trümmer und Staub übrig sein. Nur eine einzige Frage galt es noch: die, ob es dem Personen gelingen werde, sich zu retten, indem es sich auf der Ebene zerstreute. Man vergesse hierbei nicht, daß die Geschwindigkeit des Elefanten eine wunderbar ist und ein Pferd im Galopp ihn nicht zu überholen vermag.
»Wir müssen fliehen… augenblicklich fliehen! rief Khamis dem Portugiesen zu.
– Fliehen… das geht nicht!« antwortete Urdax halb von Sinnen.
Der unglückliche Händler begriff recht wohl, daß er damit sein Material, den ganzen Gewinn seines Zuges einbüßen werde.
Blieb er im Lager zurück, so konnte er freilich auch nichts davon retten, und es war ja überhaupt eine Tollheit, an einen, hier unmöglichen Widerstand zu denken.
Max Huber und John Cort warteten auf eine Entscheidung, der sie sich auf jeden Fall unterwerfen wollten.
Inzwischen wälzte sich die furchtbare Masse weiter heran, und das mit einem solchen Lärm, daß man kaum noch sein eigenes Wort verstand.
Der Foreloper wiederholte, daß man schleunigst hinwegeilen müsse.
»In welcher Richtung? fragte Max Huber.
– Nach dem Walde zu.
– Und die Eingebornen?…
– Von denen droht uns weniger Gefahr als hier,« erklärte Khamis.
Ob das so sicher war, konnte freilich niemand wissen. Auf keinen Fall konnte man jedoch hier auf der Stelle bleiben. Um dem Untergange zu entgehen, gab es nur ein Mitteclass="underline" die Flucht in den Wald.
Ob es dazu aber noch Zeit war?… Zwei Kilometer zurücklegen, wo die Horde kaum noch halb so weit von ihnen entfernt war?
Alle harrten auf einen Befehl von Urdax, der sich zu einem solchen doch nicht ermannen konnte.
Endlich rief er:
»Den Wagen… den Wagen! Bringt ihn schnell hinter den Hügel, vielleicht bleibt er da unversehrt!
– Zu spät! antwortete der Foreloper.
– Thue, was ich Dir sage! stieß der Portugiese hervor.
– Ja… doch wie?« versetzte Khamis.
Nach Sprengung ihrer Fesseln waren die Zugochsen nämlich, ohne daß jemand sie aufhalten konnte, davon gestürmt und liefen jetzt in ihrer Verwirrung unmittelbar vor der gewaltigen Herde her, die sie bald wie Fliegen zerstampfen mußte.
Da wollte Urdax die Begleitmannschaft der Karawane zu Hilfe ziehen.
»Hierher… die Träger hierher! rief er aus Leibeskräften.
– Die Träger? antwortete Khamis. Holen Sie die Kerle nur, die längst entflohen sind.
– Diese elenden Schurken!« stieß John Cort hervor.
Die Schwarzen waren in der That in westlicher Richtung vom Lager nicht nur davongelaufen, sondern hatten dabei auch noch kleinere Waarenballen und verschiedene Vertheidigungsmittel mitgenommen. Sie ließen ihren Herrn gewissenlos als Feiglinge und als Diebe einfach im Stiche.
Auf diese Leute war also nicht zu rechnen, denn zurück kamen sie sicherlich nicht. Wahrscheinlich fanden sie sogar Unterschlupf in Dörfern von Eingebornen. Von der Karawane waren nun blos noch der Portugiese und der Foreloper, der Franzose, der Amerikaner und der kleine Knabe übrig.
»Den Wagen… den Wagen!« schrie Urdax, der sich darauf versteifte, ihn hinter dem Hügel in Sicherheit zu bringen.
Khamis konnte nicht umhin, mit den Schultern zu zucken. Er gehorchte jedoch, und dank der Unterstützung Max Huber’s und John Cort’s wurde das Gefährt bis an die Bäume herangeschleppt. Vielleicht blieb es hier verschont, wenn die Herde, bei den Tamarinden angelangt, sich theilte.
Die Sache hatte immerhin einige Zeit gekostet, und als sie abgethan war, lag es auf der Hand, daß es für den Portugiesen und seine Begleiter zu spät war, den Wald noch erreichen zu können.
Khamis sah das zuerst ein und brach nur in die drei Worte aus:
»Auf die Bäume!«
Nur ein Ausweg bot sich jetzt noch: zwischen die Aeste der Tamarinden zu klettern, um wenigstens dem ersten Anprall der Dickhäuter auszuweichen.
Max Huber und John Cort waren noch einmal in den Wagen gestürmt. Sich hier mit Patronenpacketen zu beladen, um wenigstens Munition für die Gewehre zu haben, wenn sie sich dieser gegen die Elefanten bedienen müßten, und nach der früheren Stelle zurückzueilen, das war das Werk eines Augenblickes. Der Foreloper hatte sich nur noch eine Axt und seine Feldflasche geholt. Wenn sie die unteren Gebiete von Ubanghi durchwanderten, konnte er mit den übrigen doch vielleicht noch die Factoreien an der Küste erreichen.
Welche Zeit war es denn jetzt?… Genau siebzehn Minuten nach elf, wie John Cort angab, der seine Uhr mit einem angezündeten Streichhölzchen beleuchtet hatte. Seine Kaltblütigkeit war ihm geblieben, und das ermöglichte ihm, die Sachlage zu beurtheilen, die seiner Ansicht nach schon höchst gefährlich war, aber ganz aussichtslos wurde, wenn die Elefanten am Hügel Halt machten und nicht nach der Ost- oder Westseite der Ebene weiter trabten.
Der nervöse und sich der Gefahr ganz ebenso bewußte Max Huber lief neben dem Wagen hier und dort hin und beobachtete die ungeheure wogende Masse, die, noch dunkler als der Himmel sich von diesem abhob.
»Da müßte man freilich Kanonen zur Hand haben!«
murmelte er.
Khamis ließ nichts von dem merken, was er etwa empfand.
Er hatte die erstaunliche Ruhe des Afrikaners mit arabischem Blute, dem Blute, das dicker ist als das des Weißen, das auch weniger roth ist, die Empfindung abzustumpfen scheint und auch den physischen Schmerz weniger fühlen läßt. So stand er wartend da mit zwei Revolvern im Gürtel und hielt das Gewehr immer im Anschlag.
Der Portugiese, der seine Verzweiflung nicht verhehlen konnte, dachte offenbar mehr an den unersetzlichen Verlust, den er erleiden sollte, als an die Gefahren dieses Ueberfalles.
Er wetterte, seufzte und stieß die gräßlichsten Flüche in seiner Muttersprache hervor.
Llanga hielt sich neben John Cort und sah Max Huber dabei an. Er verrieth keine Furcht, denn er hatte keine, so lange er sich bei seinen beiden Freunden befand.
Je mehr sich die entsetzliche Dickhäuterschaar näherte, desto betäubender wurde der Höllenlärm, der von ihr ausging. Das Trompeten der mächtigen Rüsselthiere verdoppelte sich. Man fühlte ihren Athem schon wie einen Wind, der über die Erde strich. Bei der jetzigen Entfernung von vier- bis fünfhundert Schritten gewannen die Pachydermen im Dunkel der Nacht scheinbar eine unheimliche Größe. Man hätte von einer Apokalypse furchtbarer Ungeheuer reden können, deren Rüssel, gleich Tausenden von Schlangen, sinnlos durcheinander fuchtelten.
Nun war es die höchste Zeit, in die Aeste der Tamarinden zu flüchten. Vielleicht stürmte die feindliche Horde vorbei, ohne den Portugiesen und seine Gefährten zu bemerken.
Der Gipfel dieser Bäume ragte wohl um sechzig Fuß in die Luft empor. Sehr ähnlich den Nußbäumen, doch gekennzeichnet durch die regellose Verschlingung ihres Geästes, sind die Tamarinden, eine Dattelart, in verschiedenen Zonen Afrikas außerordentlich verbreitet. Außer daß die Neger aus dem schleimigen Theile ihrer Früchte ein erquickendes Getränk zu bereiten verstehen, pflegen sie die Schoten des Baumes dem Reis zuzusetzen, mit dem sie sich, vorzüglich in den Küstenländern, vorwiegend ernähren.