»Und?«
»Die alte Frau sagte, das Blut, das ihr sucht, kann Krankheiten heilen.«
»Bist du denn krank?« fragte Alberich scharf. Liebe Güte, ging denn das alles nicht ein wenig schneller?
»Sehr krank«, sagte das Wesen traurig. »Deshalb glauben alle, ich sei ein Geist. Wegen der Verbände. Aber ich kann sie nicht abnehmen.«
Mußt ja ein häßlicher Vogel sein, dachte Alberich säuerlich. »Welche Krankheit hast du?«
»Lepra.«
Alberich kreischte voller Grauen auf und machte mehrere Sätze nach hinten. »Lepra?« rief er entsetzt. »Du hast mich fast berührt, so nah bist du herangekommen!«
»Du hast es verlangt«, gab der Geist zurück.
»Ich wußte nicht... ich meine, ich...«, stammelte Alberich, ehe er sich mühsam zur Ruhe rief. »Ach, was!« sagte er plötzlich. »Du kannst gar keine Lepra haben. Niemand, der die Seuche hat, hätte uns drei Tage lang verfolgen können. Du wirkst ja nicht einmal erschöpft.«
»Und doch habe ich Lepra!« entgegnete der weibliche Geist beinah trotzig.
Alberichs Zweifel mehrten sich. »Du scheinst auch noch alle Glieder zu haben«, meinte er argwöhnisch und begutachtete aus der Ferne den bandagierten Leib.
»Sie fallen ab, sobald ich die Binden löse.«
»Das würde ich gerne sehen.«
»Du bist herzlos, kleiner Mann.«
»Und du eine Betrügerin.«
»Ich bin krank«, beharrte sie. »Und wenn es wahr ist, was die alte Frau gesagt hat, dann kann nur das Drachenblut mich heilen.«
»Du meinst Mütterchen?«
»Sie hat gesagt, das Blut kuriert Krankheiten.«
»Nun denn«, sagte Alberich, »ich wünsche dir Glück bei deiner Suche.« Er war jetzt vollkommen sicher, daß keine Gefahr einer Ansteckung bestand. Fast vollkommen sicher. Er drehte sich um und trat zwischen die Fichtenstämme.
»Darf ich nicht mit dir gehen?« fragte der falsche Geist.
»Damit ich mich anstecke?« rief der Zwerg zurück, ohne sich umzusehen.
»Nein«, gab sie zurück, »damit du dich nicht verirrst.«
»Ich verirre mich nie.«
»Dann hat mich der Eindruck wohl getrogen.«
»Das hat er, in der Tat«, sagte er finster. Er konnte jetzt kaum noch hören, was sie mit ihrem hellen Stimmchen hinter der Verbänden brabbelte. Recht so, dachte er.
Dennoch bemerkte er am Rascheln der Büsche, daß sie sich aufmachte, ihm zu folgen. Nicht ohne Befriedigung vernahm er einen lauten Plumps, als sich ihre Binden abermals verhakten und sie der Länge lang hinfiel.
Kichernd blieb er stehen und schaute sich nach ihr um. Mit gelinder Überraschung sah er, daß sie bereits wieder auf den Beinen war. Ganz schön flink für eine Aussätzige.
Täuschte er sich, oder funkelten die blauen Augen ihn herausfordernd an?
»Wir sollten zusammengehen«, sagte sie beharrlich und zupfte einige Verbände zurecht, die sich beim Sturz verschoben hatten. Darunter war dunkle Haut zum Vorschein gekommen, die sie geschwind wieder verbarg.
Warum friert sie nicht? fragte er sich und sagte: »Meine beiden Freunde wurden gefangengenommen. Ich muß sie befreien, bevor ich die Suche nach dem Drachen fortsetze.«
»Du gehst in die falsche Richtung.«
Verwirrt blickte er sie an. »Wirklich?«
»Du gehst nach Norden«, bestätigte sie. »Dort vorne« - sie zeigte mit ausgestrecktem Arm nach links - »fließt der Rhein, gar nicht weit von hier.«
»Das ist unmöglich.« Seine Laune verkrampfte sich wie seine Fäuste.
»Wenn ich’s dir doch sage.«
»Vielleicht täuschst du dich. Oder du lügst. Genau wie über deine Krankheit.«
Sie verstummte für einen Moment, dann klang ihre Stimme wieder schwermütig. »Du magst mir nicht glauben, daß ich krank bin, kleiner Mann. Aber wenn du jemals zurück zu deinen Gefährten gelangen willst, dann solltest du mir ein wenig mehr Vertrauen schenken.«
»Hmpf«, machte er ohne viel Sinn, jedoch so ganz nach Zwergenart.
Als sie bemerkte, daß er nichts weiter sagen würde, fügte sie hinzu: »Außerdem weiß ich längst, wo der Drache liegt.«
Alberich riß Mund und Augen auf. »Du weißt -«
»Wo er ist, natürlich«, gab sie zurück, nicht ohne Triumph. »Während du es vorgezogen hast, ein Nickerchen zu machen, habe ich mich umgesehen. Und da hab’ ich ihn gefunden. Es war gar nicht schwer, wenn man offenen Auges durch die Wälder streift.«
Es drängte Alberich, etwas Passendes auf ihren versteckten Vorwurf zu erwidern, doch dann verkniff er sich die Beleidigung. Statt dessen fragte er: »Wo ist er?«
Die Verbände vor ihrem Gesicht zuckten. Lachte sie ihn aus? »Ein Stück weiter nördlich. Im Grunde warst du auf dem richtigen Weg.«
Verdattert fuchtelte er mit den Armen. »Aber ich dachte, ich gehe nach Süden, zurück zum Turm.«
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, daß sie lachte. Es war ein helles, klares Mädchenkichern, verzerrt nur durch die Binden. »Daran sieht man, wie gut deine Instinkte sind.« Es klang hämisch, doch Alberich bemerkte es nicht, denn er sagte voller Überzeugung: »Allerdings. Wir Zwerge sind stolz auf unsere Instinkte.«
»Zu recht, zu recht.«
Das besänftigte ihn ein wenig. »Würdest du mir den genauen Weg zeigen? Ich würde ihn selbst finden, wie du schon richtig bemerkt hast, aber -«
»Und deine Freunde?«
Er stutzte. Die beiden hätte er in der Aufregung fast wieder vergessen. »Ich will erst im Blut baden«, sagte er beschämt. »Danach sollte es ein leichtes sein, sie zu befreien.« Er stapfte auf das Geistermädchen zu, ehe ihm wieder einfiel, daß an ihrem Gerede über die Seuche doch etwas Wahres sein mochte. Abrupt blieb er stehen. »Worauf wartest du? Wollen wir nicht endlich aufbrechen?«
»Es gibt noch eine Schwierigkeit«, gestand sie zögernd. »Hast du dich nicht gewundert, weshalb ich mit dir zusammen dorthin gehen will?«
»Sicher fürchtest du dich, Kindchen.«
»Ja, aber das war nicht der wahre Grund.«
»Dann sag ihn schon«, verlangte er ungeduldig.
Sie legte den Kopf schräg. »Es wimmelt beim Drachen nur so von Kriegern.«
Er preßte verärgert die Lippen aufeinander und verwünschte sein jämmerliches Schicksal. »Ich hätte es mir denken sollen.«
»Sie tun dort oben seltsame Sachen«, sagte sie.
»Was genau?«
»Sie scheinen einen Tunnel zu graben, und sie schlagen auch mit Spitzhacken auf den Drachen ein.«
»Verflixt!«
Sie sah ihn verständnislos an. »Warum tun die das?«
»Das wissen die Götter. Aber wir sollten es uns ansehen.«
»Ja«, stimmte sie zu. Schon wollte sie losgehen, in einigem Abstand vor ihm, doch dann blieb sie abermals stehen und fragte: »Dein Name ist Alberich, nicht wahr?«
»So ist es. Hast du uns all die Tage belauscht?«
»Schon seit langer Zeit. Seit vielen Jahren.«
»Lebst du wirklich allein im Wald?«
»Du lebst doch auch allein im Berg.«
»Aber du bist ein Kind.«
Sie lachte hell auf. »Ein Kind? O nein, das bin ich längst nicht mehr.«
»Du klingst sehr jung.«
Sie schien es vorzuziehen, darauf nichts zu erwidern.
Alberich fragte: »Wie ist dein Name?«
»Ich habe ihn vergessen.«
»Unsinn. Niemand vergißt seinen Namen, nicht einmal die ältesten unter den Zwergen.«
»Und doch ist es so.«
»Wie soll ich dich dann nennen?«
Sie überlegte einen Moment, dann sagte sie: »So wie du mich immer genannt hast. Ruf mich Geist, und ich bin bei dir.«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn das dein Wunsch ist.«
Sie nickte. »Ich kenne keine anderen Namen. Nur Alberich, Mütterchen, Obbo - und Löwenzahn. Alle anderen, die im Wirtshaus gerufen wurden, habe ich vergessen. Ich vergesse sehr schnell, das macht die Krankheit.«