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Noch zwanzig Schritte mochten sie vom heißumkämpften Torbogen trennen, als die ersten Krieger und Sklaven ihre Waffen fallenließen und die Hände vor die Ohren schlugen.

Da wußte Mütterchen, daß der Zorn des Geweihten über sie kam.

Alberich lauschte wieder der Melodie, die nur in seinem Kopf ertönte, als ihn ein heftiger Ruck aus seinen Träumen riß. Er schlug die Augen auf, spürte schlagartig, daß ihn etwas zu Boden drückte und versuchte verzweifelt, sich freizukämpfen.

»Alberich!« zischte eine Stimme in sein Ohr. Und noch einmaclass="underline" »Alberich, bleib ruhig!«

Er erkannte Geist und hielt augenblicklich inne. Er wußte wieder, wo er war und in welcher Gefahr sie schwebten. Das Waldfräulein hielt ihn immer noch engumschlungen. Er fürchtete schon, sein dummes Gestrampel hätte die Krieger auf sie aufmerksam gemacht.

Irgend etwas war passiert. Der Wagen hatte angehalten, und flackerndes Licht beschien die Erdwälle auf der Ladefläche. Feuerschein loderte. Lärm ertönte. Schwerterklirren.

»Was ist los?« flüsterte er aufgeregt.

Geist brauchte einen Moment für ihre Antwort, denn der Anblick, der sich ihr bot, hielt sie fest in ihrem Bann. »Wir sind da. Es brennt überall.«

»Es brennt?«

»Ja«, wisperte sie zurück. »Und es wird gekämpft. Die Sklaven... sie haben sich gegen die Krieger erhoben.«

Der Schlachtlärm, der an Alberichs Ohren drang, unterstrich ihre Worte. »Sind die Reiter noch bei uns? Sag schon, ich kann nichts sehen!«

»Sie sind vorausgeritten, durchs Tor in die Festung.«

»Und der Kutscher?«

»Sitzt noch vorne auf dem Wagen.«

Alberich wurde noch ungeduldiger. »Worauf wartest du dann noch?«

»Womit?«

»Zieh ihm eins über den Schädel, so lange er abgelenkt ist.«

»Ich bin kein Kämpfer«, gab sie schüchtern zurück.

Alberich versuchte, sich aus ihrer Klammer zu lösen. »Dann laß mich es tun.«

Zögernd zog sie sich von ihm zurück, schob sich ganz leise nach hinten. Vor dem Nachthimmel war ihr erdfarbener Leib kaum zu sehen.

Alberich rappelte sich auf und sah über die Erdhaufen nach vorne. Der Kutscher hockte etwa drei Armlängen vor ihm. Im Hintergrund stand der mächtige Turm, erleuchtet von zahlreichen Feuern, die im Inneren des Festungswalls brannten. Gleich neben dem Tor hatten mehrere Dutzend Pferde die Umzäunung einer Koppel gesprengt und preschten in Panik fort in die Nacht. Oben auf den Zinnen und am Tor wurde erbittert gekämpft. Auch die Sklavenkette zum Fluß hinunter, Hunderte von Menschen, hatte sich aufgelöst. Einige rangen mit ihren berittenen Wächtern, doch der Großteil war in die Wälder und zwischen die Felsen geflohen.

Der Kampflärm vom Torbogen übertönte die Geräusche, als Alberich sich nach vorne schob. Der Kutscher hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt und hatte alle Mühe, seine beiden Pferde ruhig zu halten. Offenbar war er hin- und hergerissen zwischen dem Pflichtgefühl seinem Herrn gegenüber und der Möglichkeit, der Hölle der Schlacht zu entfliehen.

Alberich half ihm gern aus seinem Zwiespalt. Lautlos richtete er sich hinter dem Mann auf, verschränkte die Fäuste und lies sie mit aller Kraft auf den Schädel des Arglosen krachen. Leblos sackte der Kutscher zusammen. Alberich stieß ihn vom Bock.

Hastig wandte er sich zu dem Waldfräulein um. »Siehst du, so macht man das.«

»Ist er tot?« fragte sie zögernd und kletterte über die Erdwälle auf Alberich zu.

»Was weiß ich. Hauptsache, er ist uns nicht im Wege.«

Sie blickte mit großen Augen zu dem reglosen Mann hinunter. »Ich glaube nicht, daß er das sein wird.«

Alberich beugte sich weit vor, um die Zügel zu ergreifen, als ihm dabei das Horn vors Gesicht schwang. Er ließ die Zügel wieder sinken und wandte sich an Geist. »Schnell, nimm dir eine Handvoll Erde und steck dir etwas davon in die Ohren!«

Sie schaute ihn verwundert an, während er daranging, zwei Erdkugeln zu formen. »Wieso denn das?«

Er deutete auf das Horn an seinem Hals. »Die haben eine ganze Menge davon. Wer weiß, was geschieht, wenn sie alle hineinblasen...«

Geist schien sich an den Schmerz zu erinnern, den sie selbst durchlitten hatte, als Alberich ins Horn gestoßen hatte, denn nun ging sie eiligst daran, ihre Ohren mit Erde zu verstopfen. »So?« fragte sie danach, aber Alberich hörte sie schon nicht mehr; er drückte sich die Kügelchen mit den Zeigefingern in die Ohren.

Keinen Augenblick zu früh, denn plötzlich ließen die Kämpfenden am Tor ihre Waffen fallen, wälzten sich am Boden und versuchten verzweifelt, sich die Ohren zuzuhalten. Sogar der Kutscher erwachte von den Lauten, riß den Mund zu einem Schrei auf und wand sich vor Qual im Gras. Die Pferde wieherten aufgeregt und tänzelten auf den Hinterbeinen, so daß Alberich schon fürchtete, sie könnten den Wagen den Hang hinabreißen.

Geist stieß ihn an. Über die sich aufbäumenden Tiere hinweg deutete sie zum Tor. Zwischen den Männern und Frauen am Boden sprangen drei Gestalten ins Freie, drei schwarze Umrisse vor dem flammenden Hintergrund. Um sie herum begannen die gequälten Menschen im Gras zu erschlaffen. Im Feuerschein erkannte Alberich die dunklen Rinnsale, die aus ihren Ohren quollen.

»Sie sterben!« rief er aus, aber der einzige, der die Worte vernahm, war er selbst.

Die drei Silhouetten schauten sich nach der leeren Pferdekoppel um, dann entdeckten sie den Wagen und kamen näher.

Geist sprang nach hinten und zog Alberich mit sich. Mit der anderen Hand zerrte sie an der Decke, die auf der Sitzbank des Kutschbocks lag. Alberich wollte protestieren - noch waren seine Freunde in diesem Inferno -, aber dann zwang er sich einzugestehen, daß das Waldfräulein das Richtige tat.

Hastig schoben sie sich über die Erdwälle auf den hinteren Teil der Ladefläche. Dort blieben sie nebeneinander auf dem Bauch liegen. Geist zog die braune Decke über sich und den Zwerg. In der Dunkelheit mochte das als grobe Tarnung ausreichen.

Über den Erdhügel blinzelten sie unter der Decke hervor nach vorne. Die drei Gestalten kamen näher.

Es waren drei Männer, alle groß und massig. Der Mittlere trug eine fremdartige Rüstung aus Gitterwerk. Als er den Kutschbock erreichte, erkannte Alberich, daß sein Panzer aus Geweihenden gewirkt war. Ein eisiger Schauer überkam ihn bei diesem Anblick. Er konnte die Gefahr spüren, die von dem düsteren Geweihmann ausging.

Die Begleiter des Unheimlichen trugen gewöhnliche Kleidung aus Fell und Metallschuppen. Sie hatten keine Helme auf. Ihr Haar wehte lang und strähnig im Nachtwind, ihre Gesichter waren rußig und glänzten vor Schweiß.

Alle drei trugen Breitschwerter, die vom Blut ihrer Feinde glänzten. Auf ihrem Weg zum Tor mußten sie zahlreiche Sklaven erschlagen haben.

Alberich und Geist duckten sich tiefer hinter den letzten Erdwall, als die Männer auf den Wagen sprangen. Einer der Krieger ergriff die Zügel, der Geweihmann rückte neben ihn. Der dritte hockte sich unweit des Zwerges und des Waldfräuleins auf einen Dreckhügel. Wenn sie sich regten, würde er sie unweigerlich bemerken. Auch Abspringen schied aus.

Die beiden Pferde waren immer noch aufgeregt, doch schien der Klang des Hornes nicht dieselbe Wirkung auf sie zu haben wie auf Menschen. Gleich nach der Ankunft der Männer wurden sie ruhiger. Als der Krieger sie jetzt wenden ließ, gehorchten sie und zogen den Wagen vom Turm fort, zurück auf dem selben Weg, den das Gefährt eben erst gekommen war.

Das letzte, was Alberich vom brennenden Turm sah, waren drei weitere Umrisse, die durch das Feuermaul des Tores stolperten: eine schmale, leicht gebeugte Gestalt, ein breitschultriger Riese und ein abgemagertes Mädchen, das er an der Hand führte.