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»Herr!« rief der Krieger aus. »Ich wurde gesandt, Euch die Botschaft zu überbringen. Die Sklaven sind durchgestoßen! Das Blut des Drachen fließt!«

Von ihrem Versteck aus konnte Alberich nicht in das Gesicht des Geweihmannes blicken, aber ihm war fast, als könne er den Triumph ihres Feindes am eigenen Leibe spüren.

Der Krieger bot seinem Herrn das Pferd an, doch der Geweihmann lehnte ab. Statt dessen befahl er dem Reiter, den Wagen zu eskortieren. Alberich war jetzt sicher, daß sie entdeckt waren. Der Geweihmann wollte sichergehen, daß sie ihm nicht mehr entkommen konnten.

Er blickte zu Geist hinüber. Sie starrte furchtsam zurück, als wäre sie zum gleichen Schluß gekommen. Keiner von beiden wagte zu flüstern, und so war es unmöglich, eine gemeinsame Flucht zu beschließen. Alberich erwog für einen Moment, einfach die Decke zurückzuschlagen und vom Wagen zu springen; Geist würde es ihm schon gleichtun. Der Gedanke an den Krieger hielt ihn jedoch davon ab, denn obgleich das Moosfräulein aufgrund seiner Chamäleonhaut entkommen würde, wäre ihm Alberich doch ausgeliefert gewesen. Gegen einen Menschen auf einem Pferd hatte er als Zwerg kaum eine Hoffnung auf Sieg.

Er grübelte hin und her - zu lange, wie sich erwies, denn der Wald blieb mit einemmal zurück, und der Wagen rollte hinaus auf die Heide. Wenig später schon kam er vor der Höhle des Drachen zum Stehen. Alberich sah, wie mehrere Krieger auf sie zueilten.

Er schüttelte alle Vorbehalte ab und rief: »Weg hier!«

Geist und er kamen gleichzeitig auf die Beine, doch schon im Sprung vom Wagen zeigte sich, wie flink das Mädchen und wie unbeholfen er selbst war. Ehe die Krieger überhaupt begriffen, was geschah, war Geist bereits an ihnen vorbei, ein erdfarbener Schemen mit strahlend blauen Augen, der mit weiten Sätzen zum Waldrand jagte.

Alberich hingegen kam genau fünf Schritte weit, dann packte ihn von hinten eine Hand. Er fuhr herum und ließ die Goldgeißel nach oben wirbeln. Der Krieger schrie auf, als ihm die Stachelkugeln das Gesicht zerfetzten. Zwei weitere näherten sich von rechts und links. Alberich sah noch, wie der Geweihmann mit verschränkten Armen auf dem Kutschbock stand und auf ihn herabblickte, dann beanspruchte der Kampf seine ganze Aufmerksamkeit. Die Geißel traf die Knie eines weiteren Mannes. Sogleich brach er zusammen. Derweil aber packte schon der nächste Alberich am Arm. Die Männer griffen nicht mit ihren Schwertern an; ihr Anführer mußte Befehl gegeben haben, ihn lebendig zu fangen.

Wieder bissen die Kugeln in Fleisch, und schon glaubte Alberich, sich abermals Luft geschaffen zu haben, als er plötzlich gewahr wurde, daß er umzingelt war. Mindestens zehn Krieger kamen von allen Seiten auf ihn zu, und obgleich ihnen die wirbelnde Geißel Respekt abzollte, so war doch abzusehen, daß Alberich auf verlorenem Posten kämpfte. Er schlug und peitschte, fluchte und brüllte, doch schon kurz darauf brachte ihn die Überzahl der Gegner zu Boden. In Windeseile hatten sie ihm die Goldgeißel entrissen. Einer zog ihm das Horn vom Hals und verschwand damit.

Zu viert hielten sie Alberich am Boden fest. Lange Zeit mühte er sich zeternd, sie abzuschütteln. Erst als ihm klar wurde, daß die ersten bereits über seine Anstrengungen lachten, gab er auf. Statt dessen blickte er zur heranbrechenden Morgendämmerung empor und horchte auf Kampfgeräusche. Es gab keine. Geist mußte ihnen entkommen sein.

Ein schwarzer Umriß schob sich vor das aufblühende Morgenrot des Himmels, als der Anführer der Krieger sich über Alberich beugte. Die Geweihenden zuckten um sein Gesicht wie giftige Schlangen.

Es sind nur Schatten, dachte Alberich panisch. Nur der zitternde Feuerschein von Fackeln, die einige Krieger in Händen trugen.

»Sollen wir das Mädchen verfolgen?« fragte einer der Männer, doch der Geweihte schüttelte den Kopf.

»Laßt sie laufen«, brachte er mit zischelnder Stimme hervor und wandte dabei seinen Blick nicht von Alberich.

»Dieser hier hat alles, was wir brauchen.«

Zügig und wachsam folgten die drei dem Waldpfad. Sie rechneten jederzeit mit weiteren Hinterhalten, und vor allem Löwenzahn schien der Vorstellung nicht abgeneigt, sich erneut zu beweisen. Doch sein Wunsch blieb vorerst unerfüllt. Nichts rührte sich, abgesehen von einer aufstiebenden Schleiereule, die Mütterchen einen gehörigen Schreck einjagte.

Hagen war ein wortkarger Begleiter. Nachdem er sich einmal durchgerungen hatte, die Gesellschaft der beiden zu dulden, schien er lange Zeit bemüht, ihre Anwesenheit durch ehernes Schweigen zu verdrängen. Er trug seinen Helm in der einen, das Schwert in der anderen Hand, und hatte dem treuen Rohland sein Bündel übergeworfen. Mütterchen hatte den Eindruck, das Pony beobachte den Ritter verstohlen, als begreife es nicht recht, wen es da vor sich hatte. Einen einfachen Menschen? Oder mehr als das? Sicher war, daß Hagen eine Aura von Düsternis, von Melancholie verströmte, und jeder, der ihm zu nahe kam, wurde davon erfaßt.

Sie waren bereits eine ganze Weile gewandert - fast gerannt, fand Mütterchen, zumindest fühlten sich ihr Beine so an -, als Hagen ganz unvermittelt sein Schweigen brach.

»Ich bezweifle, daß Ihr wißt, auf was Ihr Euch eingelassen habt«, sagte er so leise, daß Mütterchen erst glaubte, der Wind habe die Baumkronen zum Flüstern gebracht.

Löwenzahn aber hatte es sehr wohl verstanden und polterte los: »Nichts, dem Ihr Euch entgegenstellt, müßte uns Grund zum Fürchten geben!«

Hagen schenkte ihm keine Beachtung und wandte sich statt dessen an Mütterchen. »Der Geweihte ist nicht einfach irgendein Räuberhauptmann, wie Ihr sie von früher kennen mögt.«

Sie nickte bitter. »Habt Ihr es deshalb für nötig gehalten, so viele Unschuldige in den Tod zu schicken?«

Der Ritter blickte ihr kalt in die Augen. »Es war nötig.«

»Was war es überhaupt, das der Geweihte dort oben im Turm tat? Wozu die ganzen Sklaven?«

»Nichts als Maskerade.«

»Maskerade?« Der Grimm im schmalen Gesicht des Ritters schien ihr so verzehrend, so angsteinflößend, daß sie vor ihm zurückschrak. Der Hagen, der sich von ihr hatte überzeugen lassen, mit ihnen gemeinsam zu reisen, schien ein anderer gewesen zu sein, einer, der es sich für einen winzigen Augenblick gestattet hatte, der Welt mit einem Lächeln zu begegnen. Dieser hier aber - finster, verschlossen und ganz unnahbar - war eine bedrohliche Erscheinung.

»Selbst ein Mann wie der Geweihte ist auf bare Münze angewiesen, um seine Männer im Zaum zu halten. Außerdem wollte er den Turm.«

Mütterchen war anzusehen, daß sie noch immer nicht verstand, auf was er hinaus wollte.

»Der Geweihte hat den Grafen aus seinem Gefängnis befreit, damit Ugo ihm den Turm überläßt«, fuhr Hagen fort. »Keine andere Festung liegt so nah bei der Drachenheide. Zugleich aber hat er Sklaven an Ugo verkauft.«

Löwenzahn bemühte sich eifrig, sein Interesse an den Worten des Ritters nicht einzugestehen. Er schaute gewichtig hinter jeden Baum und betonte seine Wachsamkeit, doch in Wahrheit hielt er sich immer nahe genug bei den anderen auf, um ihrem Gespräch zu folgen.

»Wieso hätte Ugo Sklaven von ihm kaufen sollen?« fragte Mütterchen. »Ich nahm an, die armen Menschen stünden unter der Aufsicht des Geweihten.«

»Er hat Ugo weisgemacht, der Felsenkamm, auf dem der Turm steht, sei der Rücken eines schlummernden Drachen. Im Volksmund wurde das lange schon behauptet, doch niemand glaubt wirklich daran. Ugo aber ließ sich mit leichter Hand davon überzeugen. Der Geweihte behauptete, wenn es gelänge, durch Bohrungen zur Feuerader des Drachen vorzustoßen, dann sei Ugo im Besitz einer ewigen Flamme, eines Feuers, das heißer und heller brennt als jedes andere auf der Welt. Um Schächte zu dieser angeblichen Feuerader zu treiben, mußten Menschen herbeigeschafft werden, immer mehr und mehr von ihnen, auch um die Arbeiter in der Tiefe vor der Hitze des schlummernden Drachen zu bewahren. Deshalb das Wasser, deshalb die Eimerkette.«