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»In Wahrheit aber gab es gar keine Hitze.«

»Natürlich nicht. Ebensowenig wie eine Feuerader oder den schlafenden Drachen. Es war alles nur ein gigantisches Gaukelspiel, um Ugo dazu zu bewegen, seine Schatzkammer zu leeren im Austausch für die Sklaven, die die Männer des Geweihten ihm zuführten.«

»Warum hat der Geweihte die Schatzkammer nicht kurzerhand ausgeraubt? Warum so viel Mühe?«

»Um den Vorgängen den Anschein von Recht und Ordnung zu geben. König Dankrat wußte, was hier geschah, aber er konnte nicht einschreiten, solange der Geweihte nicht gegen die Gesetze verstieß. Und genaugenommen hat er das nicht getan. Ugos Befreiung war in gewisser Weise rechtmäßig - schließlich wurde er von der eigenen Familie gefangengehalten -, und seine Entscheidung, den Geweihten für seine Dienste zu bezahlen, blieb ihm freigestellt.«

»Und die Sklaven?«

»Flößer und Händler von außerhalb des Königreichs, die das Burgundenland auf dem Rhein passierten. Der Geweihte hat sich nicht an Bürgern des Reiches vergriffen.«

»Ich mag Räuberin sein«, erboste sich Mütterchen, »dennoch bin ich eine Bürgerin des Königreichs. Und der Geweihte hat sich an mir vergriffen.«

»Er hat Euch nicht versklavt. Außerdem, Ihr sagt es selbst - Ihr seid Räuberin. Eine Geächtete. Wieviel mag dem König wohl an jemandem wie Euch liegen?«

Sauertöpfisch verzichtete sie auf eine Erwiderung.

Da fragte Löwenzahn: »Was führt Euch hierher, Ritter?«

»Ich bin ein Berater des Königs.«

»Der König schickt seine Berater auf Räuberjagd? Allein?« fragte Mütterchen mißtrauisch. »Noch dazu, wo der Geweihte offenbar gegen kein Gesetz verstoßen hat, wie Ihr uns eben weismachen wolltet.«

Hagen schwieg eine Weile, und schon sah es aus, als würde er darauf keine Antwort geben, als er plötzlich sagte: »Ich bin auf eigenen Wunsch hier.«

»Ihr sucht Vergeltung?« Dieser Gedanke schien Löwenzahn versöhnlicher zu stimmen. Vergeltung und Rache waren Worte, die sein Kriegerherz höher schlagen ließen.

»Ihr mögt es so nennen«, gab Hagen unbestimmt zurück.

Löwenzahn grunzte zufrieden, während Mütterchen den Ritter ohne rechtes Vertrauen beobachtete. Es gefiel ihr nicht, daß Hagen es bei derart vagen Andeutungen beließ. Sie fragte sich, ob seine wahren Ziele den ihren nicht entgegenstanden.

Er hinkte, wenn auch nicht allzu offensichtlich, und sie wunderte sich, daß ihm die Verletzung keine Sorge bereitete. Der Geweihte war noch lange nicht besiegt, und das Schlimmste mochte ihnen noch bevorstehen. Mit einem lahmen Bein war selbst Hagen von Tronje dem Ansturm mehrere Drachenkrieger nicht gewachsen.

Wo mag nur Alberich stecken? dachte sie besorgt. Sie konnte nicht glauben, daß er den Kriegern zum Opfer gefallen war. Der Zwerg war zäh und kräftig, und trotz aller Wunderlichkeiten besaß er einen wachen Verstand.

Einen Augenblick lang erwog sie, Hagen von Alberich zu erzählen, verwarf den Gedanken aber wieder. Sie hätte kaum etwas Dümmeres tun können, als einem geheimnisvollen Fremden, der sich als Berater des Königs ausgab, von einem unermeßlichen Goldschatz zu berichten. Noch dazu, wo auch dem König ein solcher Hort kaum ungelegen käme.

Sie wandte sich abermals an den schweigsamen Ritter. »Ihr habt gesagt, der Geweihte habe Ugos Reichtümer benötigt, um damit seine Krieger zu entlohnen. Wofür aber braucht er all diese Männer?«

»Sie bewachen für ihn den Drachen.«

»Dann ist auch er hinter dem Blut her?«

Hagens eines Auge verengte sich zu einem Schlitz. »So wie Ihr?«

»Ich dachte dabei eher an Euch«, gab Mütterchen zurück.

Der Ritter sah sie mit aufrichtigem Erstaunen an. »Ihr glaubt, es ginge mir um das Blut?«

»Um was sonst?«

Er schnaubte verächtlich. »Ich werde Euch keinen Tropfen Eures kostbaren Drachenblutes streitig machen, Mütterchen Mitternacht.«

Löwenzahn grinste zufrieden. »Dann sind wir uns ja einig.«

Einig? dachte Mütterchen. Nie und nimmer. Aber sie wagte nicht, tiefer in den Ritter zu dringen. Sie wollte seine Begleitung nicht aufs Spiel setzen; selbst verwundet mochte er sich noch als brauchbarer Beschützer erweisen.

»Seht doch!« Löwenzahn blieb wie angewurzelt stehen.

Auch Mütterchen und Hagen verharrten. Das Pony beendete widerwillig seinen Trott und wieherte leise an Mütterchens Ohr.

Vor ihnen huschte etwas in wildem Zickzack auf sie zu, ein dunkler Schemen, der in rasender Eile näher kam.

»Ein Zauber des Geweihten!« rief Mütterchen aufgeregt.

Hagen sprang mit dem Schwert in der Hand vor, breitbeinig versperrte er den Weg. Er schien die Magie seines Feindes nicht zu fürchten.

Zehn Schritte vor ihnen verharrte der Schemen. Seine Form war die eines Menschen. Aber was war mit seiner Haut geschehen?

»Mütterchen! Löwenzahn!« rief eine helle Stimme. Sie gehörte einem jungen Mädchen. »Fürchtet Euch nicht vor mir!«

Hagen blieb ganz ruhig. »Ein Moosfräulein«, sagte er leise, als fürchtete er, es mit seiner Stimme zu verscheuchen.

Mütterchen atmete tief durch. »Ich habe seit Jahrzehnten keines mehr gesehen.«

Der Ritter nickte unmerklich. »Es hieß, sie seien ausgestorben.«

Das Mädchen kam langsam auf sie zu. Es hatte die Farbe des Waldes, ein schlieriges Grün und Braun, das sich laufend zu wandeln schien. Nur die Augen glänzten in beständigem Blau. Der nackte Chamäleonkörper war mager, fast knochig.

»Seht mich bitte nicht so an«, sagte das Moosfräulein scheu.

Mütterchen glaubte erst, es schäme sich seiner Nacktheit. Doch das Mädchen machte keine Anstalten, seine Hände schützend auf Brüste oder Scham zu legen, auch nicht, als es näherkam. Und da begriff sie: Es schämte sich nicht seiner Blößen, sondern dessen, was es war.

Das Mädchen räusperte sich verlegen. »Ich bringe schlimme Nachricht von Eurem Freund Alberich.«

Hagen fuhr herum und starrte Mütterchen in plötzlichem Begreifen an. »Alberich?« fragte er lauernd. »Der Horthüter?«

Die Melodie wurde klarer, erkennbarer. Sie schwebte durch Alberichs Kopf wie ein Seidenschleier, den der Wind durch ein Fenster in die Nacht hinausträgt. Ganz leicht, ganz locker. Es war keine Melodie wie die Sänger sie spielten, kein Klang von dieser Welt. Man hätte keine Worte dazu reimen können, und doch wußte Alberich, wenn man ihm jetzt ein Horn geben würde, dann hätte er ihm dieselben Töne entlocken können. Es war in ihm, in seinem Blut, im Erbe seiner Ahnen. Es war, und daran hatte er jetzt keinen Zweifel mehr, die reinste und herrlichste Albenmagie.

Je näher er dem Kadaver des Drachen kam, desto deutlicher wurde sie, desto größer wurde der Zwang, sie spielen zu müssen.

Alberich ging an der Seite des Geweihten, die Hände gebunden, ansonsten aber frei. Die Wächter, die vorher nicht von seiner Seite gewichen waren, hatte der Geweihte zurücktreten lassen. Ohnehin war die Heide von ihnen bevölkert, und ein Fluchtversuch war zum Scheitern verurteilt. Nur rund um den Drachen, in einem Umkreis von zwanzig Schritten, hielt sich keiner von ihnen auf. Die Versuche, dem Untier mit Spitzhacken beizukommen, waren eingestellt worden.

»Sie fürchten ihn von Tag zu Tag mehr«, erklärte der Geweihte mit tuschelnder Stimme. »Das ist gut so.« Er ließ offen, wie er die letzte Bemerkung meinte.

Alberich trug grimmigen Trotz zur Schau, aber insgeheim wunderte er sich, warum der Geweihte ihn am Leben ließ. Es hatte etwas mit der Magie seines Volkes zu tun, dem gleichen Zauber, den auch das Moosfräulein in sich trug. Wie auch der Drache, als er noch lebte. Und der Geweihte selbst?