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Der Eimer hingegen gelangte nach oben und wurde über die Kante gehoben. Alberich hörte, wie der Geweihte Befehle schrie, konnte sie aber nicht verstehen.

Beinahe gleichzeitig ging ein Pfeilhagel auf das Becken nieder, doch keines der Geschosse kam ihm näher als zwei Schritte. Die Krieger hatten beträchtliche Mühe mit dem Zielen, während sie mit dem Oberkörper über der Kante hingen. Daß sie dabei ihr Leben ihren Kameraden anvertrauen mußten, die sie an den Beinen festhielten, war ihrem Geschick nicht eben zuträglich.

Alberich ging hinter der Brüstung in Deckung, blutbesudelt von den Zehen bis zur Nasenspitze. Ein wahnwitziger Gedanke durchfuhr ihn: War er jetzt unverletzlich? Hatte er bereits die gleiche Panzerhaut, wie Siegfried sie angeblich sein eigen nannte?

Er war versucht, die Dolchspitze gegen sich selbst zu richten und es einfach auszuprobieren, als er bemerkte, daß die Bogenschützen ihre sinnlosen Mühen aufgegeben hatten. Statt dessen wurde ein einzelner Krieger an einem Seil heruntergelassen, bewaffnet mit Schwert und Dolch und einer Axt im Gürtel.

Alberich erhob sich und wurde sich gleichzeitig bewußt, daß er eine furchterregende Erscheinung abgeben mußte. Das Blut war bereits so zäh geworden, daß es sich wie eine dunkelrote Haut um ihn legte. Für den Krieger mußte es aussehen, als habe das Drachenblut selbst Form angenommen, das Zerrbild eines Menschen. Trotzdem schwirrte er näher und näher, begann bereits hin und her zu schaukeln, um den Beckenrand zu fassen zu bekommen.

Alberich war unbewaffnet bis auf den Dolch, und der mochte ihm kaum eine Hilfe sein. Aber er hatte einen besseren Einfall.

Ungeduldig wartete er, bis der Krieger sich auf seiner Höhe befand und dem Becken gefährlich nahe kam. Beim nächsten Schwung mußte er es erreichen.

Da packte Alberich mit beiden Händen den Stein, den er vom Seil geschnitten hatte, stemmte ihn so schnell er konnte in die Höhe und schleuderte ihn dem heranschwingenden Krieger entgegen.

Er hätte gar nicht besser zielen können. Der Stein krachte im selben Moment in die entsetzte Grimasse des Kriegers, als er Alberichs Absicht erkannte, zerschmetterte sein Gesicht und stürzte in die Tiefe. Zuckend pendelte der Krieger hin und her, verlor Schwert und Dolch und war schließlich nicht mehr als lebloser Ballast am Ende des Seiles.

Alberich achtete nicht auf die Drohungen und Verwünschungen von oben.

Statt dessen nahm er endlich in Angriff, was er die ganze Zeit über vorgehabt hatte.

Er zerstörte das Becken.

Geist lag flach im Heidekraut und beobachtete, wie der Geweihte den Bluteimer entgegennahm. Ihre Haut hatte die braungrüne Farbe des Untergrunds angenommen, und sie preßte sich eng in die niedrigen Büsche; so hoffte sie, unbemerkt zu bleiben. Zumal die Krieger kaum damit rechnen würden, daß sie hierher zurückgekehrt war.

Der Geweihte gab seinen Männern Befehl, den Zwerg, egal mit welchen Mitteln, wieder nach oben zu holen. Dann sollten sie ein Faß aufstellen, und es von Alberich Eimer um Eimer auffüllen lassen. Danach wollte der Geweihte selbst, so sagte er, mit Hilfe Alberichs den Zauber durchführen, der dem Blut die Gefährlichkeit nehmen sollte.

Ein vages Mißtrauen ließ Geist an den Worten des Geweihten zweifeln. Vermochte er wirklich, was er behauptete, oder wollte er nur Zeit gewinnen und seine Männer ablenken? Die Krieger jedenfalls schenkten ihm Glauben, und das konnte auch Geist nur recht sein. Die Gefahr, entdeckt zu werden, verringerte sich dadurch beträchtlich.

Sie sah, wie der Geweihte sich vom Klippenrand abwandte und mit dem Bluteimer in Händen auf den Drachenkadaver zuschritt. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie mußte in Erfahrung bringen, was er vorhatte, selbst wenn es nötig war, sich dafür in seine Nähe zu begeben.

So flach am Boden wie nur möglich kroch sie durch das Heidekraut auf den versteinerten Leib des Untiers zu. Die Büsche kratzten und schnitten in ihr Fleisch, vereinzelte Brennesseln und Disteln schienen ihren Körper in Flammen zu setzen. Noch zehn Schritte, dann würde sie den klaffenden Schlund des Drachen erreichen. Der Schädel lag kopfüber da, Stirn und Oberkiefer ruhten im Heidekraut. Die zahnlosen Kiefer standen offen wie ein furchterregendes Tor.

Der Geweihte war hinter dem Kadaver verschwunden, das Schuppengebirge des Drachen schützte ihn vor Geists Blicken. Schnell kroch sie am Drachen vorbei und bemühte sich, ihren Blick von den Augen der Bestie fernzuhalten. Die gelben Pupillen machten ihr angst, mehr noch als das riesige Maul, denn es schien, als seien sie von der Versteinerung ausgeschlossen. Es war, als sei immer noch Leben in ihnen, ganz tief in ihrem Inneren. Vielleicht, so versuchte Geist sich zu beruhigen, waren es auch nur die Strahlen der Morgensonne, die sich in der glasigen Oberfläche brachen.

Als sie die andere Seite des Kadavers erreichte, hatte sich der Geweihte in Luft aufgelöst. Aber sie hatte doch genau gesehen, wie er den gewaltigen Schuppenschwanz des Leichnams umrundet hatte! Wo, verflucht, war er jetzt hin?

Sie entdeckte ihn, als er sich nur wenige Schritte von ihr entfernt hinter einer breiten Hautfalte des Untiers erhob. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte sie, er habe ihr aufgelauert; dann aber erkannte sie, daß er sich nur nach etwas gebückt hatte, das verborgen hinter der Falte lag.

Es war ein Horn, deutlich größer als jene der Krieger und mit einem Spinnennetz haarfeiner Runen überzogen.

Wenn sie sich ihm noch weiter näherte, war die Gefahr, von ihm erspäht zu werden, kaum noch abzuschätzen. Einen Augenblick lang erwog sie allen Ernstes, ins Maul des Drachen zu kriechen und den Geweihten über den aufgerissenen Kiefer der Bestie hinweg zu beobachten. Er ist versteinert, sagte sie sich immer wieder; nichts als ein Felsbrocken, der nur noch aussieht wie ein Drache.

Letztlich überwogen Angst und Ekel, und sie beschloß, noch ein wenig weiter um die Kiefer herumzukriechen, bis sich ihr ein besserer Blick auf die verdrehte Flanke des Tieres bot. Aus dem Maul wehte ein furchtbarer Gestank ins Freie und umschloß sie wie eine giftige Wolke.

Der Geweihte ging mit ehrfurchtsvollen Schritten auf ein großes Loch in der Seite des Drachen zu. Seine Bewegungen waren langsam, fast zögernd. Das Schleifen der Geweihenden klang leiser als sonst.

Geist fragte sich, ob er sich fürchtete. Die Zurückhaltung, mit der er seine Schritte setzte, die angedeutete Demut seiner Körperhaltung, all das sprach für eine tiefe Unruhe.

Hatte er Angst vor dem Drachen? Nein, dachte sie, nicht vor dem versteinerten Koloß selbst - vielmehr scheute er den Blick in das Innere der Öffnung. Es war das Bewußtsein um den Weg, den er offenbar gehen wollte, denn nun blieb er vor dem Loch in der Drachenflanke stehen, überlegte noch einen Augenblick, dann setzte er einen Fuß auf den Steinrand der Wunde. In der linken Hand hielt er den Bluteimer, in der anderen das Horn.

Geist fluchte im stillen. Von ihrer Lage aus konnte sie nicht in die Öffnung hineinsehen.

Zögernd, aber in der Gewißheit, daß es nun einmal ihr Schicksal war, schob Geist sich weiter vorwärts. Sie verließ jetzt den Schutz des Kadavers, und sie war sich bewußt, daß der Geweihte sie entdecken würde, wenn er den Blick zufällig in ihre Richtung wandte. Ihre Chamäleonhaut war eine gute Tarnung, aber mehr als einem flüchtigen Blick hielt sie nicht stand. Und immerhin wußte der Geweihte, daß sie noch irgendwo hier draußen war.

Andererseits schien ihn die bevorstehende Aufgabe völlig für sich einzunehmen. Er blickte nicht nach links, nicht nach rechts, nur geradewegs in die dunkle Wunde, die als niedriger Tunnel ins Innere des Drachen führte. Zwei freigeschabte Rippen umrahmten die Öffnung wie bleiche Säulen.

Ein wildes Brüllen ertönte aus der Richtung des Waldrandes. Der Geweihte wirbelte herum. Der Schrecken auf seinen Zügen wollte so gar nicht zu seiner furchterregenden Erscheinung passen, und Geist wurde zum ersten Mal bewußt, wie angespannt er wirklich war.