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»Ich bin nach London gegangen«, sagte Ashley. »Mein Vater hat mich dort auf einem College angemeldet. Wir sind am nächsten Morgen abgereist.«

»Ich hab’ Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, weil ich unbedingt erfahren wollte, wo du abgeblieben bist. Die Polizei hat nämlich gedacht, ich wüßte, wo du steckst. Die haben dich gesucht, weil du seinerzeit mit Jim Cleary gegangen bist.«

»Die Polizei?« sagte Ashley tonlos.

»Ja. Die Kripo, die Polizisten, die wegen dem Mord ermittelt haben.«

Ashley spürte, daß sie kreidebleich wurde. »Was - was für ein Mord?«

Florence starrte sie an. »Mein Gott. Weißt du das etwa nicht?«

»Was denn?« herrschte Ashley sie an. »Wovon redest du überhaupt?«

»Am Tag nach der Abschlußfeier sind Jims Eltern nach Hause gekommen und haben seine Leiche gefunden. Jemand hat ihn erstochen und entmannt.«

Vor Ashley s Augen drehte sich alles. Sie hielt sich an der Tischkante fest. Florence ergriff sie am Arm.

»Tut mir - tut mir leid, Ashley. Ich dachte, du hättest es aus der Zeitung erfahren. Aber natürlich, du warst ja unterwegs nach London.«

Ashley kniff die Augen zusammen. Sie hatte das Bild noch genau vor Augen, wie sie sich aus dem Haus geschlichen hatte, um zu Jim Cleary zu gehen. Aber sie war umgekehrt und wieder nach Hause gegangen, weil sie bis zum nächsten Morgen hatte warten wollen. Wenn ich doch nur zu ihm gegangen wäre, dachte Ashley, dann wäre er vielleicht noch am Leben. Und ich habe ihn all die Jahre gehaßt. Aber wer könnte ihn nur umgebracht haben? Wer -?

Und sie hörte die Stimme ihres Vaters: Ab sofort lassen Sie die Finger von meiner Tochter. Haben Sie verstanden? Wenn ich Sie noch einmal hier sehe, breche ich Ihnen sämtliche Knochen.

Sie stand auf. »Entschuldige mich bitte, Florence. Ich - mir ist nicht ganz wohl.«

Ashley flüchtete förmlich von der Fete.

Die Polizisten. Sie mußten sich doch mit ihrem Vater in Verbindung gesetzt haben. Warum hat er es mir nicht erzählt?

Sie buchte einen Platz in der ersten Maschine, die nach Kalifornien ging. Der Morgen brach bereits an, als sie endlich einschlief. Und dann hatte sie einen Alptraum. Sie sah eine Gestalt im Dunkeln stehen, die Jim anschrie und auf ihn einstach. Dann trat der Mörder ins Licht.

Es war ihr Vater.

5

Ashley fühlte sich monatelang elend. Immer wieder hatte sie Jim Clearys blutigen, verstümmelten Körper vor Augen. Sie überlegte, ob sie Dr. Speakman noch einmal aufsuchen sollte, wußte aber auch, daß sie mit niemandem darüber sprechen konnte. Sie machte sich bittere Vorwürfe, daß sie ihrem Vater eine derart schreckliche Tat auch nur in Gedanken zugetraut hatte. Schließlich verdrängte sie all diese Überlegungen und versuchte sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Aber es ging nicht. Bestürzt musterte sie die Graphik, die sie gerade verpfuscht hatte.

Shane Miller betrachtete sie mit sorgenvoller Miene. »Ist alles in Ordnung, Ashley?«

Sie rang sich ein Lächeln ab. »Mir geht’s gut.«

»Die Sache mit deinem Freund tut mir wirklich leid.« Sie hatte ihm von Jim erzählt.

»Ich - ich komme schon drüber weg.«

»Wollen wir heute abend zusammen essen gehen?«

»Danke, Shane. Aber ich - mir ist nicht danach zumute. Nächste Woche vielleicht.«

»Schön. Wenn ich irgendwas für dich tun kann -«

»Vielen Dank. Momentan kann mir niemand helfen.«

»Der kleinen Zimtzicke macht irgendwas zu schaffen«, sagte Toni zu Alette. »Na, die kann mich mal.«

»Sie tut mir leid. Sie ist sehr betrübt.«

»Pfeif drauf. Wir haben alle unser Bündel zu tragen, nicht wahr, meine Liebe?«

Als Ashley an diesem Nachmittag nach Hause gehen wollte, hielt Dennis Tibble sie auf. »Hallo, Schätzchen. Du könntest mir einen Gefallen tun.«

»Entschuldige, Dennis, aber ich -«

»Komm schon. Sei nicht so sauertöpfisch!« Er nahm Ashley am Arm. »Ich brauche ein bißchen Beratung aus weiblicher Sicht.«

»Dennis, ich bin nicht in der -«

»Ich habe mich in jemanden verliebt und möchte die Betreffende heiraten, aber es gibt da ein Problem. Willst du mir dabei helfen?«

Ashley zögerte. Eigentlich mochte sie Dennis Tibble nicht, aber was konnte es schon schaden, wenn sie ihm zu helfen versuchte? »Hat das nicht bis morgen -«

»Ich muß das auf der Stelle geregelt kriegen. Es ist echt dringend.«

Ashley atmete tief durch. »Na schön.«

»Können wir zu dir gehen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.« Dort würde sie ihn nie und nimmer loswerden.

»Würdest du kurz mit zu mir kommen?«

Ashley zögerte einen Moment. »Von mir aus.« Dann kann ich wenigstens gehen, wenn ich will. Vielleicht läßt er mich ja endlich in Ruhe, wenn ich ihm in seinen Liebesdingen weiterhelfen kann.

»Jesses!« sagte Toni zu Alette. »Die tugendsame Unschuld vom Lande läßt sich zu diesem Lüstling in die Wohnung locken. Wie kann man nur so blöde sein? Ist die nicht mehr bei Trost?«

»Sie will ihm doch bloß helfen. Was ist denn schon dabei -«

»Ach, hör auf, Alette. Wo kommst du denn her? Der Macker will sie aufs Kreuz legen.«

»Non va. Non si fa cosi.«

»Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.«

Dennis Tibbles Wohnung war der reinste Alptraum in Neon. Die Wände hingen voller Poster. Hauptsächlich Plakate von alten Horrorfilmen, daneben Nacktmodelle und wilde Tiere beim Fressen. Auf den Tischen rundum standen allerlei erotische Schnitzereien.

So sieht die Wohnung eines Wahnsinnigen aus, dachte Ash-ley. Am liebsten wäre sie auf der Stelle wieder gegangen.

»Hey, schön, daß du mitgekommen bist, Schätzchen. Ich weiß das echt zu schätzen. Wenn du -«

»Ich kann nicht lang bleiben, Dennis«, wandte Ashley ein. »Erzähl mir von der Frau, in die du verliebt bist.«

»Die ist echt ‘ne Wucht.« Er hielt ihr die Zigarettenschachtel hin. »Willst du eine?«

»Ich rauche nicht.« Sie sah zu, wie er sich Feuer gab.

»Was zu trinken?«

»Ich trinke nicht.«

Er grinste. »Du rauchst nicht, du trinkst nicht. Damit bleibt ja bloß noch eins übrig, oder?«

»Dennis«, versetzte sie. »Wenn du nicht auf -«

»Hab ja nur Spaß gemacht.« Er ging zur Bar und goß sich ein Glas Wein ein. »Nimm doch ein Gläschen Wein. Schadet bestimmt nichts.« Er reichte ihr ein Glas.

Sie trank einen Schluck. »Also, was ist nun mit der Frau deines Lebens?«

Dennis Tibble ließ sich neben Ashley auf der Couch nieder. »So eine ist mir noch nie untergekommen. Sie sieht genauso scharf aus wie du, und -«

»Hör auf, oder ich gehe auf der Stelle.«

»Hey, das sollte ein Kompliment sein. Jedenfalls ist sie ganz verrückt nach mir, aber ihre Eltern sind ziemlich etepetete, und sie können mich nicht ausstehen.«

Ashley sagte nichts dazu.

»Die Sache sieht also folgendermaßen aus: Wenn ich darauf dränge, heiratet sie mich, aber damit sagt sie sich von ihrer Familie los. Sie hängt sehr an ihren Leuten, und wenn sie sich mit mir einläßt, wollen die garantiert nichts mehr von ihr wissen. Und eines Tages wirft sie es mir vielleicht vor. Verstehst du, worum es mir geht?«

Ashley trank einen Schluck Wein. »Ja. Ich ...«

Anschließend konnte sie sich an nichts mehr erinnern.

Langsam kam sie zu sich, und sie wußte sofort, daß irgend etwas scheußlich schiefgegangen war. Sie kam sich völlig benebelt vor, so als wäre sie unter Drogen gesetzt worden. Nur mit Mühe brachte sie die Augen auf. Ashley blickte sich um und bekam es mit der Angst zu tun. Sie lag splitternackt in einem fremden Bett, in einem billigen Hotelzimmer. Sie richtete sich auf und bekam prompt hämmernde Kopfschmerzen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war und wie sie hierhergekommen war. Auf dem Nachttisch stand eine Karte für den Zimmerservice. Sie streckte den Arm aus und zog sie zu sich. Chicago Loop Hotel stand dort. Fassungslos starrte sie darauf. Wie komme ich nach Chicago? Wie lange bin ich hier schon? Am Freitag bin ich mit Dennis Tibble nach Hause gegangen. Was für ein Tag ist heute? Bangen Herzens griff sie zum Telefon.