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Die Kanzlei wählte ihre Kandidaten nach der Methode Zuk-kerbrot und Peitsche aus. Die jungen Anwälte wurden gnadenlos ausgenutzt, mußten endlose Überstunden schieben und bekamen all die Fälle aufgehalst, mit denen sich die alteingesessenen Juristen nicht herumplagen mochten. Es war eine aufreibende Arbeit, für die man rund um die Uhr zur Verfügung stehen mußte. Das war die Peitsche. Denjenigen, die durchhielten, winkte das Zuckerbrot, nämlich die Aussicht auf eine Teilhaberschaft an der Kanzlei. Wenn man Gesellschafter wurde, bekam man ein höheres Gehalt, einen Anteil am üppigen Gewinn, ein geräumiges Büro mit herrlichem Ausblick und einem eigenen Waschraum samt Toilette, Aufträge im Ausland und eine Menge weiterer Vergünstigungen.

David praktizierte seit sechs Jahren bei Kincaid, Turner, Rose & Ripley Wirtschaftsrecht, und es war ein durchaus gemischtes Vergnügen gewesen. Der Zeitaufwand war schrecklich und der Streß gewaltig, doch David hatte durchgehalten und hervorragende Arbeit geleistet, denn er hatte von Anfang an die Ernennung zum Gesellschafter angestrebt. Jetzt war es endlich soweit.

Nach der Wohnungsbesichtigung gingen David und Sandra einkaufen. Sie besorgten sich einen Babykorb, einen Kinderstuhl, einen Kinderwagen, einen Laufstall und Kleidung für das Baby, das sie für sich schon Jeffrey nannten.

»Wir sollten ihm noch ein paar Spielsachen kaufen«, sagte David.

»Das hat noch eine Weile Zeit.« Sandra lachte.

Nach dem Einkaufen spazierten sie eine Weile in der Stadt umher, bummelten vor dem Ghiradelli Square am Wasser entlang und an der Cannery vorbei zur Fisherman’s Warf. Schließlich aßen sie im American Bistro zu Mittag.

Es war Sonnabend, ein Tag, an dem in San Francisco Männer mit eleganten Aktentaschen aus Leder, vornehmen konservativen Krawatten, dunklen Anzügen und diskret mit Monogrammen bestickten Hemden unterwegs waren, ein Tag für ein Mittagessen mit Geschäftspartnern und für Penthousebesichtigungen. Kurzum, ein Tag für Anwälte.

David hatte Sandra vor drei Jahren bei einer kleinen Dinnerparty kennengelernt. David war mit der Tochter eines Mandanten der Kanzlei hingegangen. Sandra arbeitete als Kanzleigehilfin bei der Konkurrenz. Beim Essen war es zwischen ihnen zu einem Streitgespräch wegen einer Gerichtsentscheidung in einem politischen Fall in Washington gekommen. Unter den Blicken der anderen Gäste hatten sie sich immer mehr hineingesteigert. Doch mitten im heißen Disput war David und Sandra klargeworden, daß es ihnen gar nicht um den Richterspruch ging. Sie spielten sich voreinander auf, trugen sozusagen einen juristischen Balztanz aus.

Am nächsten Tag rief David Sandra an. »Ich möchte die Diskussion über diese Entscheidung gern zu Ende bringen«, schlug er vor. »Ich halte das für wichtig.«

»Ich auch«, entgegnete Sandra.

»Könnten wir uns heute abend beim Essen weiter darüber unterhalten?«

Sandra zögerte. »Ja«, sagte sie schließlich. »Heute abend paßt es mir bestens.«

Von diesem Abend an waren sie unzertrennlich, und ein Jahr darauf heirateten sie.

Joseph Kincaid, der Seniorchef der Kanzlei, gab David ausnahmsweise sogar übers Wochenende frei.

David verdiente bei Kincaid, Turner, Rose & Ripley fünfund-vierzigtausend Dollar im Jahr. Sandra behielt ihren Job als Kanzleigehilfin. Doch jetzt, da ein Baby unterwegs war, standen ihnen höhere Ausgaben bevor.

»In ein paar Monaten muß ich meinen Beruf aufgeben«, sagte Sandra. »Ich möchte nicht, daß unser Kleiner von einem Kindermädchen aufgezogen wird. Ich möchte für ihn dasein.« Die Ultraschalluntersuchung hatte gezeigt, daß das Baby ein Junge war.

»Wir werden es schon schaffen«, versicherte ihr David. Sobald er erst einmal Gesellschafter war, würde sich ihr Leben von Grund auf ändern.

Seit einiger Zeit machte David sogar noch mehr Überstunden. Er wollte dafür Sorge tragen, daß man ihn am Tag der Entscheidung auf keinen Fall überging.

Als David sich am Donnerstag anzog, schaltete er die Fernsehnachrichten ein.

»Wir haben eine aufsehenerregende Nachricht für Sie«, meldete der Ansager mit atemloser Stimme. »Ashley Patterson, die Tochter des bekannten Arztes Steven Patterson aus San Francisco, wurde als die mutmaßliche Serienmörderin festgenommen, nach der das FBI und andere Polizeidienststellen seit geraumer Zeit fahnden.«

David stand wie angewurzelt vor dem Fernseher.

»... wie Sheriff Matt Dowling aus dem Bezirk Santa Clara gestern abend mitteilte, wurde Ashley Patterson im Zusammenhang mit einer Reihe von Bluttaten festgenommen, bei denen die Opfer unter anderem kastriert wurden. >Es gibt keinerlei Zweifel, daß wir die verantwortliche Person dingfest gemacht habenc, teilte Sheriff Dowling der Presse mit.«

Dr. Steven Patterson. David ließ seine Gedanken schweifen, erinnerte sich .

Er war einundzwanzig Jahre alt gewesen und hatte gerade mit dem Jurastudium begonnen. Eines Tages war er von der Universität nach Hause gekommen und hatte seine Mutter im Schlafzimmer bewußtlos am Boden aufgefunden. Er hatte den Notruf gewählt, worauf seine Mutter von einem Krankenwagen ins San Francisco Memorial Hospital gebracht worden war. David hatte vor der Notaufnahme gewartet, bis ein Arzt herausgekommen war und mit ihm gesprochen hatte.

»Wird sie - wird sie wieder auf die Beine kommen?«

Der Arzt zögerte. »Einer unserer Kardiologen hat sie untersucht. Sie leidet an Mitralklappenvorfall.«

»Was heißt das?« wollte David wissen.

»Ich fürchte, daß wir nichts für sie tun können. Für eine Transplantation ist sie zu geschwächt, und ein mikrochirurgischer Eingriff ist zu riskant, da wir zu wenig Erfahrung damit haben.«

David kam sich mit einemmal klein und schwach vor. »Wie

- wie lange kann sie -?«

»Ein paar Tage, würde ich sagen, eine Woche vielleicht. Tut mir leid, mein Sohn.«

David war außer sich. »Kann ihr denn niemand helfen?«

»Ich fürchte, nein. Der einzige, der ihr womöglich helfen könnte, ist Steven Patterson, aber der ist sehr -«

»Wer ist Steven Patterson?«

»Dr. Patterson hat Pionierarbeit auf dem Gebiet der Mikrochirurgie am Herzen geleistet. Aber er ist derart gefragt und durch seine Forschungsarbeit so ausgelastet, daß keinerlei Aussicht -«

David war bereits weg.

Von einem Münztelefon im Krankenhaus rief er in Dr. Pattersons Praxis an. »Ich hätte gern einen Termin bei Dr. Patterson. Es geht um meine Mutter. Sie -«

»Tut mir leid. Wir nehmen derzeit keine neuen Patienten auf. Der frühestmögliche Termin wäre in sechs Monaten.«

»Ihr bleiben aber keine sechs Monate mehr«, rief David.

»Tut mir leid. Ich empfehle Ihnen, sich an -«

David knallte den Hörer auf.

Am nächsten Morgen ging er zu Dr. Pattersons Praxis. Das Wartezimmer war überfüllt. David ging zur Empfangsdame. »Ich hätte gern einen Termin bei Dr. Patterson. Meine Mutter ist schwer krank, und -«

Sie blickte auf. »Haben Sie nicht gestern schon angerufen?« »Ja.«

»Dann wissen Sie doch Bescheid. Wir haben keinen Termin frei, und wir vereinbaren derzeit auch keine.«

»Dann warte ich eben«, versetzte David starrsinnig.

»Sie können ruhig warten. Der Doktor ist -«

David nahm Platz. Er sah, wie die anderen Leute im Wartezimmer nach und nach ins Sprechzimmer gerufen wurden, bis er zu guter Letzt allein dasaß.

Um sechs Uhr kam die Empfangsdame zu ihm. »Es ist sinnlos, noch länger zu warten. Dr. Patterson ist nach Hause gegangen.«