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An diesem Abend besuchte David seine Mutter auf der Intensivstation.

»Sie können nicht lange bleiben«, warnte ihn die Schwester. »Sie ist sehr schwach.«

David stiegen die Tränen in die Augen, sobald er das Zimmer betrat. Seine Mutter war an ein Beatmungsgerät angeschlossen und wurde über Kanülen am Arm intravenös versorgt. Sie wirkte weißer als das Bettzeug, auf dem sie lag. Ihre Augen waren geschlossen.

David ging zu ihr hin. »Ich bin’s, Mama«, sagte er. »Ich lasse dich nicht einfach sterben. Du wirst wieder gesund werden.« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Hörst du mich? Wir müssen dagegen ankämpfen. Gegen uns beide kommt keiner an, nicht, solange wir zusammenhalten. Ich werde dir den besten Arzt auf der Welt besorgen. Halte du nur durch. Ich komme morgen wieder her.«

Wird sie morgen noch am Leben sein?

Am Nachmittag begab sich David in die Tiefgarage des Gebäudes, in dem sich Dr. Pattersons Praxis befand. Ein Parkwächter kam auf ihn zu.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich warte auf meine Frau«, sagte David. »Sie ist bei Dr. Patterson.«

Der Parkwächter lächelte. »Ein toller Typ.«

»Er hat uns von dem schicken Wagen erzählt, den er fährt.« David stockte, so als versuchte er sich zu erinnern. »War’s nicht ein Cadillac?«

Der Parkwächter schüttelte den Kopf. »Nee.« Er deutete auf einen Rolls-Royce, der eine Reihe weiter stand. »Der Rolls da drüben gehört ihm.«

»Stimmt«, versetzte David. »Aber ich glaube, er hat gesagt, daß er auch einen Cadillac hat.«

»Würde mich nicht wundern«, sagte der Wärter. Dann lief er raschen Schrittes zu einem neu ankommenden Wagen und parkte ihn ein.

David ging wie beiläufig zu dem Rolls-Royce. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand beobachtete, öffnete er die hintere Tür, rutschte auf den Rücksitz und ließ sich am Boden nieder. Zusammengekrümmt lag er in dem engen, unbequemen Versteck und hoffte inbrünstig, daß Dr. Patterson bald herauskommen möge.

Um Viertel nach sechs spürte David einen leichten Ruck, als die vordere Tür geöffnet wurde und sich jemand ans Lenkrad setzte. Er hörte, wie der Motor angelassen wurde. Dann fuhr der Wagen an.

»Guten Tag, Dr. Patterson.«

»Guten Abend, Marco.«

Der Wagen fuhr aus der Tiefgarage und bog um eine Kurve. David wartete noch zwei Minuten, holte dann tief Luft und setzte sich auf.

Dr. Patterson sah ihn im Rückspiegel. »Falls das ein Überfall sein soll - ich habe kein Bargeld bei mir.«

»Fahren Sie in eine Seitenstraße und halten Sie an.«

Dr. Patterson nickte. David ließ den Arzt nicht aus den Augen, als er mit dem Wagen in eine Seitenstraße abbog, an den Straßenrand steuerte und anhielt.

»Ich gebe Ihnen alle Wertsachen, die ich bei mir habe«, sagte Dr. Patterson. »Sie können den Wagen haben. Es geht auch ohne Gewalt. Wenn -«

David hatte sich inzwischen nach vorne gesetzt. »Das ist kein Überfall. Ich will den Wagen nicht.«

Dr. Patterson schaute ihn ärgerlich an. »Was zum Teufel wollen Sie denn?«

»Mein Name ist Singer. Meine Mutter liegt im Sterben. Ich möchte, daß Sie sie retten.«

Einen Moment lang wirkte Dr. Patterson erleichtert, dann wurde er ungehalten.

»Vereinbaren Sie einen Termin mit meiner -«

»Ich kann nicht so lange warten, bis ich von Ihnen einen Termin bekomme, verdammt noch mal.« David wurde jetzt laut. »Sie stirbt sonst, und das werde ich nicht zulassen.« Er konnte sich nur mühsam beherrschen. »Bitte. Die anderen Ärzte haben mir gesagt, daß Sie meine einzige Hoffnung sind.«

Dr. Patterson musterte ihn nach wie vor mißtrauisch. »Was fehlt ihr?«

»Sie - leidet an einem Mitralklappenvorfall. Die anderen Ärzte trauen sich nicht, sie zu operieren. Sie sagen, daß Sie der einzige sind, der ihr das Leben retten kann.«

Dr. Patterson schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Mein Terminkalender -«

»Ihr Terminkalender ist mir scheißegal! Hier geht’s um meine Mutter. Sie müssen Sie retten! Sie ist mein ein und alles ...«

Eine ganze Weile herrschte Stille. David saß mit zusammengekniffenen Augen da. Dann hörte er Dr. Pattersons Stimme.

»Ich kann nichts versprechen, aber ich werde sie mir ansehen. Wo ist sie?«

David wandte sich zu ihm um. »Sie liegt auf der Intensivstation des San Francisco Memorial Hospital.«

»Morgen früh um acht Uhr sprechen wir uns dort.«

David brachte kaum ein Wort heraus. »Ich weiß gar nicht, wie ich -«

»Ich verspreche gar nichts, bedenken Sie das. Und ich lasse mich auch nicht gern überrumpeln, junger Mann. Probieren Sie’s das nächstemal per Telefon.«

David saß stocksteif da.

Dr. Patterson schaute ihn an. »Was ist los?« »Es gibt da noch was.«

»Aha, und zwar?«

»Ich - ich habe kein Geld. Ich kann mit Mühe und Not mein Jurastudium finanzieren.« Dr. Patterson starrte ihn an.

»Ich schwöre Ihnen, daß ich mir irgendwas einfallen lasse. Sie werden zu Ihrem Geld kommen, und wenn ich mein Leben lang dafür schuften muß. Ich weiß, wie teuer Sie sind, und ich -«

»Das glaube ich nicht, junger Mann.«

»Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll, Dr. Patterson. Ich - ich flehe Sie an.«

Wieder herrschte eine Zeitlang Stille.

»Wie viele Semester Jura haben Sie schon hinter sich?« »Noch gar keins. Ich habe gerade angefangen.«

»Aber Sie gedenken Ihre Schuld zu begleichen?«

»Ich schwöre es.«

»Raus mit Ihnen.«

Als David nach Hause kam, war er darauf gefaßt, daß jeden Moment die Polizei an der Tür klingeln und ihn wegen Freiheitsberaubung und Nötigung festnehmen würde. Doch nichts dergleichen geschah. Aber er fragte sich, ob Dr. Patterson sich in der Klinik sehen lassen würde.

Als David am nächsten Morgen auf die Intensivstation kam, war Dr. Patterson bereits da und untersuchte seine Mutter. David sah ihm beklommen und bangen Mutes zu.

Dann drehte sich Dr. Patterson zu den anderen Ärzten um, die um ihn herumstanden. »Lassen Sie sie in den OP bringen, A1. Sofort!«

»Wird sie -?« preßte David mit belegter Stimme heraus, als man seine Mutter auf eine Rollbahre bettete.

»Wir werden sehen.«

Sechs Stunden später kam Dr. Patterson in das Wartezimmer, in dem David ausgeharrt hatte.

David sprang auf. »Wie -?« Er hatte Angst davor, die Frage auszusprechen.

»Sie wird wieder genesen. Ihre Mutter hat eine robuste Natur.«

David war zutiefst erleichtert. Er sprach ein stilles Stoßgebet. Danke, lieber Gott.

Dr. Patterson musterte ihn. »Ich weiß nicht mal, wie Sie mit Vornamen heißen.«

»David, Sir.«

»Nun ja, mein lieber David-Sir, wissen Sie, weshalb ich mich dafür entschieden habe?«

»Nein .«

»Aus zweierlei Gründen. Erstens, weil der Zustand, in dem sich Ihre Mutter befand, eine Herausforderung darstellte. Und ich mag Herausforderungen. Der zweite Grund waren Sie.«

»Ich - das verstehe ich nicht.«

»Sie haben etwas getan, was ich in jüngeren Jahren vielleicht auch gemacht hätte. Und Sie haben sich etwas einfallen lassen. Nun« - er schlug einen anderen Tonfall an -, »Sie haben gesagt, Sie würden Ihre Schuld begleichen.«

David rutschte das Herz in die Hose. »Ja, Sir. Eines Tages, wenn -«

»Warum nicht gleich?«

David schluckte. »Gleich?«

»Ich mache Ihnen ein Angebot. Können Sie Auto fahren?«

»Ja, Sir .«

»Na schön. Ich habe es satt, diesen großen Wagen ständig selbst zu fahren. Bringen Sie mich ein Jahr lang täglich zur Arbeit und holen Sie mich jeden Abend um sechs oder sieben wieder ab. Danach ist von meiner Seite aus das Honorar beglichen .«