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»Ich möchte Ihnen noch ein paar Fragen stellen, Ashley.«

Sie warf den Kopf zurück. »Ich bin nicht Ashley«, erwiderte sie mit britischem Akzent.

Dr. Salem warf David einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder an Ashley. »Und wer sind Sie, wenn Sie nicht Ashley sind?«

»Ich bin Toni. Toni Prescott.«

Und Ashley zieht das völlig ungerührt durch, dachte David. Wie lange will sie denn diese dämliche Posse noch spielen? Das ist doch reine Zeitverschwendung.

»Ashley«, sagte Dr. Salem.

»Toni.«

Sie läßt sich nicht davon abbringen, dachte David.

»Na schön, Toni. Ich möchte, daß -«

»Ich will dir mal sagen, was ich möchte. Ich möchte aus diesem verdammten Loch raus. Könnt ihr uns da rausholen?«

»Kommt ganz darauf an«, erwiderte Dr. Salem. »Was wissen Sie über -?«

»Die Morde, wegen denen die kleine Zimtzicke hier einsitzt? Ich kann Ihnen Sachen erzählen, die -«

Plötzlich veränderte sich Ashleys Miene erneut. Sie schien in sich zusammenzusinken, und ihr Gesicht wurde weicher und machte erneut eine geradezu unglaubliche Wandlung durch, so als ob eine völlig andere Person vor ihnen säße.

»Toni, sag nichts mehr, per piacere«, sagte sie mit sanfter Stimme und leichtem italienischem Akzent.

David betrachtete sie verdutzt.

»Toni?« Dr. Salem trat ein Stück näher.

Wieder ertönte die sanfte Stimme. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Dr. Salem.«

»Wer sind Sie?« fragte Dr. Salem.

»Ich bin Alette. Alette Peters.«

Mein Gott, das ist nicht gespielt, dachte David. Es ist echt. Er wandte sich an Dr. Salem.

Der sagte leise: »Das sind Alter egos.«

David starrte ihn verständnislos an. »Was sind das?«

»Ich erkläre es Ihnen später.«

Dr. Salem wandte sich wieder an Ashley. »Ashley - ich meine, Alette ... Wie - zu wievielt seid ihr?«

»Außer Ashley gibt es nur Toni und mich«, antwortete Alette.

»Sie sprechen mit italienischem Akzent.«

»Ja. Ich bin in Rom geboren. Waren Sie schon mal in Rom?«

»Nein, ich war noch nie in Rom.«

Ich glaube, ich höre nicht recht, dachte David.

»E molto bello.«

»Bestimmt. Kennen Sie Toni?«

»Si, naturalmente.«

»Sie spricht mit britischem Akzent.«

»Toni ist in London geboren.«

»Richtig. Alette, ich möchte Sie zu diesen Morden befragen. Haben Sie eine Ahnung, wer -?«

Und wieder erlebten David und Dr. Salem, wie sich Ashley vor ihren Augen veränderte. Ohne daß sie ein Wort sagte, wußten sie, daß sie es mit Toni zu tun hatten.

»Mit der verplemperst du bloß deine Zeit, mein Lieber.«

Wieder der britische Akzent.

»Alette weiß gar nichts. Mit mir mußt du reden.«

»Na schön, Toni. Ich rede mit Ihnen. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Das kann ich mir denken, aber ich bin jetzt müde.« Sie gähnte. »Diese verklemmte Zicke hat uns die ganze Nacht über wach gehalten. Ich brauche dringend Schlaf.« »Jetzt nicht, Toni, hören Sie mir zu. Sie müssen uns dabei helfen -«

Ihr Gesicht wurde mit einemmal hart. »Wieso sollte ich euch helfen? Was hat denn die Zimtzicke für Alette oder mich getan? Gar nichts. Sie hindert uns nur daran, daß wir unseren Spaß haben. Tja, ich hab’s jedenfalls satt, und Sie habe ich auch satt. Habt ihr gehört?« Sie schrie jetzt aus vollem Halse, mit verzerrtem Gesicht.

»Ich werde sie wieder zurückholen«, sagte Dr. Salem.

David schwitzte. »Ja.«

Dr. Salem beugte sich zu Ashley. »Ashley ... Ashley ... Alles ist in bester Ordnung. Schließen Sie jetzt die Augen. Ihre Lider sind schwer, sehr schwer. Sie sind völlig entspannt. Ashley, Sie sind ausgeglichen und entspannt. Wenn ich bis fünf zähle, werden Sie aufwachen und sich völlig entspannt vorkommen. Eins .« Er warf David einen Bick zu und wandte sich dann wieder an Ashley. »Zwei ...«

Ashley regte sich. Sie sahen, wie sich ihre Miene erneut veränderte.

»Drei .«

Ihr Gesicht wurde weicher.

»Vier .«

Sie spürten, daß sie allmählich wieder zu sich kam, und ihnen war etwas unheimlich zumute.

»Fünf.«

Ashley schlug die Augen auf. Sie blickte sich um. »Ich komme mir vor als - habe ich geschlafen?«

David stand da und starrte sie fassungslos an.

»Ja«, sagte Dr. Salem.

Ashley wandte sich an David. »Habe ich irgend etwas gesagt? Ich meine - konnte ich Ihnen weiterhelfen?«

Mein Gott, dachte David. Sie weiß es nicht! Sie weiß es wirklich nicht! »Sie waren ganz hervorragend, Ashley. Jetzt möchte ich Dr. Salem unter vier Augen sprechen.«

»Von mir aus.«

»Wir sprechen uns später.«

Die Männer standen da und blickten Ashley nach, als sie von der Aufseherin weggeführt wurde.

David ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Was - was zum Teufel war da los?«

Dr. Salem holte tief Luft. »In all den Jahren, die ich nun schon praktiziere, habe ich noch nie einen Fall erlebt, der eindeutiger war.«

»Was für einen Fall? Worum geht es?«

»Haben Sie schon mal etwas von multipler Persönlichkeitsstörung gehört?«

»Was ist das?«

»Ein Krankheitsbild, bei dem sich die Psyche eines Menschen in mehrere völlig unterschiedliche Persönlichkeiten aufspaltet. Man bezeichnet es auch als dissoziative Identitätsstörung. In der psychiatrischen Literatur wird bereits seit über zweihundert Jahren darauf verwiesen. Es beginnt für gewöhnlich mit einen Kindheitstrauma. Der oder die Betroffene verdrängt dieses Trauma, indem er sich eine andere Identität zulegt. Mitunter kann es vorkommen, daß jemand ein Dutzend verschiedene Persönlichkeiten besitzt.«

»Und die wissen voneinander?«

»Manchmal ja. Manchmal auch nicht. Toni und Alette kennen einander. Ashley hingegen ist sich offensichtlich nicht bewußt, daß sie da sind. Die betroffene Person kreiert diese anderen Persönlichkeiten, weil sie den Schmerz, der mit dem Trauma verbunden ist, nicht aushalten kann. Es ist eine Art Flucht. Und bei jedem weiteren Schock kann eine neue Persönlichkeit entstehen. Laut der psychiatrischen Literatur, die über dieses Thema vorliegt, können diese Persönlichkeiten völlig verschieden voneinander sein. Manche sind dumm, andere überaus intelligent. Sie können verschiedene Sprachen sprechen. Sie haben unterschiedliche Geschmäcker und Eigenarten.«

»Wie - wie häufig kommt so was vor?«

»In manchen Untersuchungen wird angedeutet, daß etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung an multipler Persönlichkeitsstörung leidet und daß bis zu zwanzig Prozent der Patienten, die in psychiatrischen Kliniken betreut werden, davon betroffen sind.«

»Aber Ashley wirkt so normal und -« sagte David.

»Menschen, die an MPS leiden, sind normal ... bis eine andere Persönlichkeit durchbricht. Der oder die Betroffene kann einen Beruf ausüben, eine Familie haben und ein ganz normales Leben führen, aber jederzeit kann sich eine andere Persönlichkeit durchsetzen. Die kann dann eine Stunde, aber auch tage- und wochenlang vorbestimmend sein, ohne daß sich der oder die Betroffene hinterher daran erinnern kann, was in diesem Zeitraum vorgefallen ist.«

»Demnach hätte Ashley also keine Ahnung, was die andere Persönlichkeit macht?«

»Nicht die geringste.«

David hörte wie gebannt zu, als der Psychiater fortfuhr.

»Bekannt wurde die multiple Persönlichkeitsstörung vor allem durch den Fall Bridey Murphy. Damals wurde zum erstenmal eine breite Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam. Seither gab es zahllose weitere Fälle, aber keiner war so aufsehenerregend oder wurde so gut beschrieben.«