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»Sir, Ihre Tochter und ich -«

»Jim -«

»Geh auf dein Zimmer.«

»Sir -«

»Wenn ich Sie noch einmal hier sehe, breche ich Ihnen sämtliche Knochen.«

Ashley hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Am Ende hatten alle durcheinandergebrüllt. Dann war Ashley in Tränen ausgebrochen, und Jim hatte das Weite gesucht.

Das lasse ich mir von meinem Vater nicht antun, dachte Ash-ley voller Entschlossenheit. Er will mein Leben zerstören. Sie saß eine ganze Weile auf ihrem Bett. Jim ist meine Zukunft. Ich möchte mit ihm Zusammensein. Ich habe hier nichts mehr verloren. Sie stand auf und packte eine Reisetasche. Eine halbe Stunde später stahl sich Ashley aus der Hintertür und begab sich auf den Weg zu Jim Cleary, der ein paar Straßen weiter weg wohnte. Ich bleibe heute nacht bei ihm, und morgen früh fahren wir mit dem Zug nach Chicago. Doch je näher sie dem Haus kam, desto unsicherer wurde sie. Nein, dachte sie. Das ist falsch. Ich möchte nichts verderben. Ich treffe mich mit ihm am Bahnhof.

Und sie kehrte um und ging wieder nach Hause.

Ashley blieb die ganze Nacht wach, dachte über ihr künftiges Zusammenleben mit Jim nach und stellte sich vor, wie wunderbar alles werden würde. Um halb sechs nahm sie ihre Reisetasche und ging leise an der verschlossenen Tür zum Schlafzimmer ihres Vaters vorbei. Sie schlich sich aus dem Haus und fuhr mit dem Bus zum Bahnhof. Jim war nicht da, als sie dort eintraf. Sie war früh dran. Der Zug ging erst in einer Stunde. Sie setzte sich auf eine Bank und wartete ungeduldig. Sie stellte sich vor, wie ihr Vater aufwachte und entdeckte, daß sie weg war. Er würde toben vor Wut. Aber ich kann nicht zulassen, daß er mir mein Leben vorschreibt. Eines Tages wird er Jim richtig kennenlernen, und er wird sehen, wie glücklich ich mit ihm bin. Halb sieben ... zwanzig vor sieben ... Viertel vor sieben ... zehn vor sieben ... Von Jim war immer noch nichts zu sehen. Ashley bekam es allmählich mit der Angst zu tun. Was konnte nur dazwischengekommen sein? Sie beschloß ihn anzurufen. Niemand meldete sich, fünf vor sieben . Er kommt bestimmt jeden Moment. Sie hörte von fern den Zug pfeifen und schaute auf ihre Uhr. Eine Minute vor sieben. Der Zug fuhr in den Bahnhof ein. Sie stand auf und blickte sich hektisch um. Irgendwas Schreckliches muß ihm zugestoßen sein. Vielleicht hatte er einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Ein paar Minuten später stand Ashley da und sah zu, wie all ihre Träume zerstoben, als der Zug nach Chicago abfuhr. Sie wartete noch eine halbe Stunde und rief dann erneut bei Jim an. Als sich wieder niemand meldete, ging sie langsam und unglücklich nach Hause.

Mittags saß Ashley mit ihrem Vater in einem Flugzeug nach London.

Ashley ging zwei Jahre lang in London aufs College, und da sie festgestellt hatte, daß sie gern mit Computern arbeiten wollte, bewarb sie sich für das begehrte MEI-Wang-Stipendium für Frauen in technischen Berufen an der Universi-ty of California in Santa Cruz. Sie wurde angenommen, und drei Jahre später wurde sie bei der Global Computer Graphics Corporation eingestellt.

Anfangs hatte Ashley eine Handvoll Briefe an Jim Cleary geschrieben, doch sie hatte sie alle wieder zerrissen. Sein Verhalten, vor allem aber sein Stillschweigen, verrieten ihr nur allzu deutlich, was er für sie empfand.

Die Stimme ihres Vaters riß Ashley in die Gegenwart zurück. »Du bist ja völlig abwesend. Worüber denkst du nach?« Ashley musterte ihren Vater über den Tisch hinweg. »Über gar nichts.«

Dr. Patterson winkte dem Kellner und lächelte ihn liebenswürdig an. »Jetzt dürfen Sie uns die Karte bringen«, sagte er.

Erst auf dem Rückweg ins Büro fiel Ashley ein, daß sie vergessen hatte, ihrem Vater zu dem Titelbild auf dem Time Magazine zu gratulieren.

Als Ashley zu ihrem Schreibtisch kam, erwartete sie Dennis Tibble.

»Ich habe gehört, daß du mit deinem Vater zu Mittag gegessen hast.«

Der kleine Schleimer hat seine Ohren überall. Er will über alles Bescheid wissen, was hier vorgeht. »Ja.«

»Kann ja nicht besonders amüsant gewesen sein.« Er senkte die Stimme. »Wieso gehst du eigentlich nie mit mir zum Mittagessen?«

»Dennis - ich hab’s dir doch schon mal gesagt. Ich habe kein Interesse.«

Er grinste. »Das kommt schon noch. Wart’s mal ab.«

Ashley blickte ihm hinterher, als er wegging. Er hatte etwas Unheimliches an sich, etwas Gruseliges. Wieder fragte sie sich, ob er derjenige sein könnte, der ... Sie schüttelte den Kopf. Nein. Sie durfte nicht daran denken, mußte sich anderen Dingen zuwenden.

Auf der Heimfahrt machte Ashley kurz beim Apple Tree Book House halt. Bevor sie hineinging, warf sie einen Blick in die spiegelnden Schaufensterscheiben. Hinter ihr war niemand, jedenfalls niemand, den sie kannte. Sie betrat die Buchhandlung.

Ein junger Verkäufer kam auf sie zu. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ja. Ich - haben Sie ein Buch über Sittenstrolche?«

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. »Über Sittenstrolche?«

Ashley kam sich ziemlich blöd vor. »Ja«, sagte sie rasch. »Außerdem hätte ich gern ein paar Bücher über - äh - Gartenbau und die Tierwelt Afrikas.«

»Sittenstrolche, Gartenbau und afrikanische Tierwelt?«

»Ganz recht«, erwiderte sie bestimmt.

Wer weiß? Vielleicht habe ich eines Tages einen Garten und unternehme eine Reise nach Afrika.

Als Ashley zu ihrem Wagen zurückging, fing es wieder an zu regnen. Sie war kaum losgefahren, als schwere Tropfen auf die Windschutzscheibe prasselten und sämtliche Konturen verwischten, so daß die Straßen vor ihr aussahen wie hingetupfte Landschaften auf einem pointillistischen Gemälde. Sie schaltete die Scheibenwischer an. Surrend setzten sie sich in Bewegung, so als tuschelten sie miteinander. »Er kriegt dich . kriegt dich . kriegt dich . « Ashley stellte sie schleunigst wieder ab. Nein, dachte sie. Sie sagen: Niemand da, niemand da, niemand da.

Ashley stellte ihren Wagen in der Tiefgarage ab und drückte den Fahrstuhlknopf. Zwei Minuten später fuhr sie hoch zu ihrer Wohnung. Sie ging zu ihrer Tür, steckte den Schlüssel ins Schloß, sperrte auf und blieb wie erstarrt stehen. In ihrer Wohnung brannten sämtliche Lichter.

2

»Will ich in mein Gärtlein gehen, will mein Zwieblein gießen, steht ein bucklicht Männlein da, fängt gleich an zu niesen.«

Toni Prescott wußte genau, warum sie dieses alberne Lied so gern sang. Ihre Mama hatte es gehaßt. Hör auf mit diesem dämlichen Lied. Hast du gehört? Du kannst sowieso nicht singen.

Ja, Mutter. Und Toni sang es wieder und immer wieder leise vor sich hin. Es war lange her, aber die Erinnerung, wie sie ihrer Mutter getrotzt hatte, weckte in ihr auch heute noch ein Gefühl des Triumphs.

Toni Prescott konnte ihre Arbeit bei Global Computer Graphics nicht ausstehen. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, schelmisch, lebhaft und keck, teils Schalk, teils Irrwisch. Sie hatte ein herzförmiges Koboldgesicht, verschmitzte braune Augen und eine hinreißende Figur. Sie war in London geboren und sprach mit einem bezaubernden britischen Akzent. Sie war kräftig und muskulös und trieb für ihr Leben gern Sport, vor allem Wintersport: Ski- und Bobfahren und Eislaufen.

Als sie in London aufs College gegangen war, hatte sich Toni tagsüber eher konservativ gekleidet, aber abends hatte sie sich in Miniröcke und Disco-Fummel geworfen und war durch die Kneipen gezogen. Sie hatte sich nächtelang im Electric Ball-room an der Camden High Street, im Subterania und in der Leopard Lounge herumgetrieben, wo die Szene aus dem West End verkehrte. Sie hatte eine wunderbare Stimme, rauchig und sinnlich, und in dem einen oder anderen Club setzte sie sich ans Klavier, spielte und sang, und die Gäste jubelten ihr zu. Dann fühlte sie sich in ihrem Element.