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»Von einer Amnesie spricht man, wenn sich die Betroffene weder bewußt ist, wer sie ist, noch, was sie tut. Das kann zwanzig Minuten andauern, mitunter aber auch mehrere Wochen lang.«

»Und ist die betroffene Person in diesem Zeitraum Ihrer Meinung nach für ihr Verhalten verantwortlich?«

»Nein.«

»Vielen Dank, Doktor.« David wandte sich an Brennan. »Ihr Zeuge.«

»Dr. Salem«, hob Brennan an. »Sie sind in beratender Funktion für etliche Kliniken tätig und halten auf der ganzen Welt Vorträge?«

»Ja, Sir.«

»Ihre Kollegen, nehme ich an, sind begabte und tüchtige Psychiater?«

»Ja, das würde ich meinen.«

»Und sie sind, was diese multiple Persönlichkeitsstörung angeht, alle der gleichen Ansicht?«

»Nein.«

»Was meinen Sie damit?«

»Einige sind anderer Ansicht.«

»Meinen Sie damit, daß sie nicht an die Existenz dieser Krankheit glauben?«

»Ja.«

»Aber Sie haben recht, und die anderen irren sich?«

»Ich habe betroffene Patienten behandelt, und ich weiß, daß es so etwas gibt. Als -«

»Ich möchte Sie etwas fragen. Wenn es so etwas wie eine multiple Persönlichkeitsstörung gäbe, würde dann eines der Alter egos dem Betroffenen ständig diktieren, was er tun soll?

Würde diese andere Persönlichkeit befehlen: >Morde<, und der Betroffene tut es?«

»Das kommt darauf an. Die Einflußnahme, die andere Persönlichkeiten ausüben, kann durchaus unterschiedlich ausfallen.«

»Dann könnte es also sein, daß der Betroffene noch Herr der Lage ist?«

»Natürlich, manchmal.«

»Meistens?«

»Nein.«

»Doktor, wodurch läßt sich beweisen, daß es eine MPS gibt?«

»Ich habe mit eigenen Augen erlebt, wie sich Patienten unter Hypnose physisch völlig veränderten, und ich weiß -«

»Und darauf beruht Ihre Überzeugung?«

»Ja.«

»Dr. Salem, wenn ich Sie in einem warmen Zimmer hypnotisieren und Ihnen einreden würde, daß Sie am Nordpol sind und sich durch einen Schneesturm kämpfen, würde dann Ihre Körpertemperatur sinken?«

»Nun, ja, aber -«

»Das ist alles.«

David ging in den Zeugenstand. »Dr. Salem, besteht Ihrer Meinung nach auch nur der geringste Zweifel daran, daß die anderen Persönlichkeiten in Ashley Patterson existieren?«

»Nein. Und sie sind eindeutig in der Lage, sich durchzusetzen und sie zu dominieren.«

»Und sie wäre sich dessen nicht bewußt?«

»Sie wäre sich dessen nicht bewußt.«

»Vielen Dank.« »Ich möchte Shane Miller in den Zeugenstand rufen.« David wartete, bis er vereidigt war. »Was sind Sie von Beruf, Mr. Miller?«

»Ich bin Abteilungsleiter bei der Global Computer Graphics Corporation.«

»Wie lange sind Sie dort schon tätig?«

»Etwa sieben Jahre.«

»Und Ashley Patterson war ebenfalls dort angestellt?«

»Ja.«

»Und sie war Ihnen unterstellt?«

»So ist es.«

»Sie haben sie also recht gut gekannt?«

»Das stimmt.«

»Mr. Miller, Sie haben die Aussagen der Sachverständigen gehört, wonach die Symptome einer multiplen Persönlichkeitsstörung auf Paranoia, nervliche Überreizung oder Erschöpfung zurückzuführen seien. Haben Sie bei Miss Patterson jemals derartige Symptome bemerkt?«

»Na ja, ich -«

»Hat Ihnen Miss Patterson nicht mitgeteilt, daß sie das Gefühl habe, jemand stelle ihr nach?«

»Doch, das hat sie.«

»Und daß sie keine Ahnung hätte, wer es sei und warum jemand so etwas tun sollte?«

»Das stimmt.«

»Hat sie nicht einmal gesagt, daß jemand ihren Computer manipuliert und ihr eine Todesdrohung übermittelt hat?«

»Ja.«

»Und ist es schließlich so schlimm geworden, daß Sie sie zu dem Psychologen geschickt haben, der in Ihrer Firma beschäftigt ist, einem gewissen Dr. Speakman?«

»Ja.«

»Dann wies Ashley Patterson also die gewissen Symptome auf, die ich vorhin angesprochen habe?« »Das stimmt.«

»Vielen Dank, Mr. Miller.« David wandte sich an Mickey Brennan. »Ihr Zeuge.«

»Wie viele Mitarbeiter sind Ihnen unmittelbar unterstellt, Mr. Miller?«

»Dreißig.«

»Und Ashley Patterson ist die einzige, die Sie unter diesen dreißig Mitarbeitern jemals verstört erlebt haben?«

»Na ja, nein .«

»Aha?«

»Irgendwann verliert jeder mal die Fassung.«

»Meinen Sie damit, daß auch andere Mitarbeiter den Betriebspsychologen aufsuchen mußten?«

»Oh, na klar. Die halten ihn ziemlich auf Trab.«

Brennan schien beeindruckt. »Wirklich?«

»Ja. Viele von ihnen haben Probleme. He, das sind alles nur Menschen.«

»Keine weiteren Fragen.«

»Die Verteidigung ist wieder am Zuge.«

David trat neben den Zeugenstand. »Mr. Miller, Sie haben gesagt, daß einige Ihrer Untergebenen Probleme hätten. Um welche Probleme handelt es sich dabei?«

»Na ja, die einen haben sich mit ihrem Freund oder ihrem Mann gestritten .«

»Ja?«

»Oder sie haben sich finanziell übernommen .«

»Ja?«

»Oder ihre Kinder haben sie genervt .«

»Es ging also, mit anderen Worten, um ganz gewöhnliche Alltagsnöte, gegen die keiner von uns gefeit ist?«

»Ja.«

»Aber niemand suchte Dr. Speakman auf, weil er glaubte, jemand stellte ihm nach oder drohte ihm mit dem Tod?« »Nein.«

»Vielen Dank.«

Danach zog sich das Gericht zur Mittagspause zurück.

David war bedrückt, als er in seinen Wagen stieg und durch den Park fuhr. Der Prozeß lief nicht gut. Die Sachverständigen konnten sich nicht entscheiden, ob es eine MPS gab oder nicht. Wenn die sich schon nicht einig sind, dachte David, wie soll ich dann die Geschworenen überzeugen? Ich darf nicht zulassen, daß Ashley ein Leid geschieht. Er näherte sich Harold’s Cafe, einem unweit des Gerichtsgebäudes gelegenen Restaurant. Er parkte seinen Wagen und ging hinein. Die Bedienung lächelte ihn an.

»Guten Tag, Mr. Singer.«

Er war berühmt. Berüchtigt?

»Hier lang, bitte.« Er folgte ihr zu einer Sitznische und nahm Platz. Die Bedienung reichte ihm die Speisekarte, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und entfernte sich mit aufreizendem Hüftschwung. Der Lohn des Ruhms, dachte David spöttisch.

Eigentlich war er gar nicht hungrig, aber er konnte Sandras Stimme förmlich hören: »Du mußt etwas essen, damit du bei Kräften bleibst.«

In der Nische nebenan saßen zwei Männer und zwei Frauen. »Die ist viel schlimmer als Lizzie Borden«, sagte einer der Männer. »Borden hat nur zwei Menschen umgebracht.«

»Und sie hat sie nicht kastriert«, fügte der andere hinzu.

»Was meinst du, was sie kriegt?«

»Soll das ein Witz sein? Sie wird zum Tode verurteilt.«

»Zu schade, daß man die Blutjungfer nicht dreimal zum Tode verurteilen kann.«

Die Stimme des Volkes, dachte David überrascht. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß er an den anderen Tischen mehr oder weniger das gleiche zu hören bekäme. Brennan hatte sie als mordgierige Bestie hingestellt, sie zum Monster abgestempelt.

Er hatte Jesse Quillers Worte im Ohr. Und mit diesem Eindruck werden sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen, wenn du sie nicht aufrufst und ihnen das Gegenteil beweist.

Ich muß das Risiko eingehen, dachte David. Die Geschworenen müssen sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß Ashley die Wahrheit sagt.

Die Bedienung kam an seinen Tisch. »Sind Sie soweit, Mr. Singer?«