»Ich habe noch nie einen Fall erlebt, bei dem so eindeutig feststand, daß es sich um kaltblütigen Mord handelte, und noch nie eine so schwache Verteidigung. Sich hinter zwei nicht vorhandenen Persönlichkeiten zu verschanzen, die auf reiner Einbildung beruhen, ist der Gipfel -«
David war bereits aufgesprungen. »Einspruch.«
»Stattgegeben. Ich habe Sie gewarnt, Mr. Brennan.«
»Ich bitte um Entschuldigung, Euer Ehren.«
Brennan fuhr fort: »Ich glaube, die Geschworenen würden gern die anderen Persönlichkeiten kennenlernen, von denen ständig die Rede ist. Sie sind doch Ashley Patterson, stimmt’s?«
»Ja .«
»Na schön. Dann möchte ich jetzt mit Toni Prescott sprechen.«
»Ich . das geht nicht .«
Brennan schaute sie überrascht an. »Das geht nicht? Wirklich nicht? Nun denn, was ist mit Alette Peters?«
Ashley schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich . ich habe darauf keinen Einfluß.«
»Miss Patterson, ich versuche Ihnen doch nur zu helfen«, sagte Brennan. »Ich möchte den Geschworenen klarmachen, daß es Ihre anderen Persönlichkeiten waren, die drei unschuldige Männer ermordet und verstümmelt haben. Zeigen Sie uns, daß es so ist!«
»Ich ... ich kann es nicht.« Sie schluchzte laut auf.
»Sie können es nicht, weil es sie nicht gibt. Sie verschanzen sich hinter Phantasiegebilden. Sie und niemand anders sitzt hier im Zeugenstand, und nur Sie sind verantwortlich für diese Straftaten. Diese anderen Persönlichkeiten gibt es nicht, Sie hingegen sehr wohl, und ich will Ihnen mal sagen, was es sonst noch gibt - eindeutige, unwiderlegbare Beweise dafür, daß Sie diese drei Männer kaltblütig ermordet und entmannt haben.« Er wandte sich an Richterin Williams. »Euer Ehren, die Staatsanwaltschaft hat nichts mehr vorzubringen.«
David wandte sich an die Geschworenen. Sie starrten allesamt auf Ashley, und in ihren Mienen spiegelte sich Abscheu.
Richterin Williams wandte sich an ihn. »Mr. Singer?«
David stand auf. »Euer Ehren, ich bitte um die Erlaubnis, die Angeklagte hypnotisieren zu lassen, damit -«
»Mr. Singer«, versetzte Richterin Williams unwirsch, »ich habe Sie darauf hingewiesen, daß ich kein Affentheater dulde. In meinem Gerichtssaal wird niemand hypnotisiert. Die Antwort lautet nein.« »Sie müssen es zulassen«, versetzte David wutentbrannt. »Sie haben keine Ahnung, wie wichtig -«
»Das reicht, Mr. Singer.« Sie klang eiskalt. »Ich werde Sie ein weiteres Mal wegen Mißachtung des Gerichts belangen. Wollen Sie die Zeugin noch einmal befragen oder nicht?«
David kochte innerlich vor Wut. »Ja, Euer Ehren.« Er begab sich zum Zeugenstand. »Ashley, Sie wissen doch, daß Sie unter Eid stehen?«
»Ja.« Sie atmete tief durch und versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen.
»Und Sie haben nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit gesagt?«
»Ja.«
»Wissen Sie, daß Sie geistig, seelisch und auch körperlich von zwei anderen Persönlichkeiten beherrscht werden?«
»Ja.«
»Von Toni und Alette?«
»Ja.«
»Sie haben diese schrecklichen Morde nicht begangen?«
»Nein.«
»Aber eine von den beiden ist es gewesen, ohne daß Sie etwas dafür können.«
Eleanor Tucker warf Brennan einen fragenden Blick zu, doch der lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Der schaufelt sich sein eigenes Grab«, flüsterte er.
»Helen« - David stockte und wurde kreidebleich, als er sich seines Ausrutschers bewußt wurde -, »ich meine, Ashley . ich möchte, daß Toni sich meldet.«
Ashley schaute David an und schüttelte hilflos den Kopf. »Ich - ich kann nicht«, flüsterte sie.
»Doch, Sie können es. Toni hört uns genau zu. Sie amüsiert sich, und warum auch nicht? Sie hat drei Morde begangen und ist trotz allem fein heraus.« Er hob die Stimme. »Sie sind sehr schlau, Toni. Kommen Sie heraus und stellen Sie sich. Niemand kann Ihnen etwas anhaben. Man kann Sie nicht bestrafen, weil Ashley unschuldig ist und man sie bestrafen müßte, um Sie zu treffen.«
Aller Augen waren auf David gerichtet. Ashley saß da wie erstarrt.
David trat neben sie. »Toni, Toni, hören Sie mich? Melden Sie sich endlich, Toni. Auf der Stelle!«
Er wartete einen Moment lang. Nichts tat sich. Er hob die Stimme. »Toni! Alette! Kommen Sie raus. Wir wissen alle, daß Sie da drin sind.«
Im Gerichtssaal war kein Laut zu vernehmen.
David verlor die Selbstbeherrschung. »Kommt raus«, brüllte er. »Zeigt euch endlich . Verdammt noch mal! Los! Auf der Stelle!«
Ashley brach in Tränen aus.
»Treten Sie vor, Mr. Singer«, sagte Richterin Williams wutentbrannt.
Langsam begab sich David zum Richterpodium.
»Haben Sie Ihrer Zeugin nun genug zugesetzt, Mr. Singer? Ich werde der Anwaltskammer von Ihrem Verhalten berichten. Sie sind eine Schande für Ihren ganzen Berufsstand, und ich werde den Antrag stellen, daß man Ihnen die Zulassung entzieht.«
David fiel dazu nichts mehr ein.
»Wollen Sie weitere Zeugen aufrufen?«
David schüttelte den Kopf. »Nein, Euer Ehren.« Es war vorbei. Er hatte verloren. Ashley würde sterben. »Die Beweisaufnahme von Seiten der Verteidigung ist abgeschlossen.«
Joseph Kincaid saß in der hintersten Reihe des Zuschauerraums und verfolgte das Geschehen mit grimmiger Miene. Schließlich wandte er sich an Harvey Udell. »Werden Sie ihn los.« Kincaid stand auf und ging.
Udell hielt David kurz an, als dieser den Gerichtssaal verlassen wollte.
»David .«
»Hallo, Harvey.«
»Schade, daß die Sache so ausgegangen ist.«
»Sie ist nicht -«
»Mr. Kincaid bedauert die Entwicklung sehr, aber er ist der Meinung, daß es besser wäre, wenn Sie nicht in die Kanzlei zurückkehren würden. Viel Glück.«
Sobald David den Gerichtssaal verließ, wurde er von Fernsehkameras und Reportern umringt, die lauthals auf ihn einschrien.
»Haben Sie eine Erklärung abzugeben, Mr. Singer ...?«
»Wir haben gehört, daß Richterin Williams dafür sorgen will, daß man Ihnen die Zulassung entzieht .«
»Richterin Williams hat verfügt, daß Sie wegen Mißachtung des Gerichts in Gewahrsam genommen werden sollen. Glauben Sie, daß ...?«
»Unsere Beobachter gehen davon aus, daß Sie den Prozeß verloren haben. Planen Sie, in die Berufung ...?«
»Die Rechtsexperten unseres Senders sind der Meinung, daß man Ihre Mandantin zum Tode verurteilen wird .«
»Haben Sie schon irgendwelche Zukunftspläne ...?«
David stieg wortlos in seinen Wagen und fuhr weg.
21
Immer wieder spielte er die Szenen mit neuem Verlauf in Gedanken durch.
Ich habe die Morgennachrichten gesehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie betroffen ich bin.
Ja. Es war ein ganz schöner Schlag. Sie müssen mir helfen, David.
Selbstverständlich. Ich bin zu allem bereit.
Ich möchte, daß Sie Ashley vertreten.
Das kann ich nicht. Ich bin kein Strafverteidiger. Aber ich kann Ihnen einen hervorragenden Anwalt empfehlen, Jesse Quiller.
Das ist ausgezeichnet. Besten Dank, David ...
Sie können sich wohl nicht gedulden, junger Mann? Sollten Sie nicht erst um fünf bei mir vorsprechen? Nun, ich habe gute Nachrichten für Sie. Wir ernennen Sie zum Gesellschafter.
Sie wollten mich sprechen?
Ja, Euer Ehren. Ich habe erfahren, daß der Prozeß derzeit im Internet das Gesprächsthema Nummer eins ist, und dort hat man die Angeklagte bereits abgeurteilt. Dadurch könnte der Verteidigung ein schwerer Nachteil entstehen. Daher stelle ich den Antrag, den Prozeß aufgrund eines Verfahrensfehlers einzustellen.