Die Geschworenen kehrten nach einer Dreiviertelstunde zurück.
Ashley saß mit versteinerter Miene da, als die Geschworenen wieder ihre Plätze einnahmen. David stellte fest, daß er schwitzte.
Richterin Williams wandte sich an den Sprecher. »Sind die Geschworenen zu einem Urteilsspruch gelangt?«
»Jawohl, Euer Ehren.«
»Würden Sie ihn bitte dem Gerichtsdiener aushändigen.«
Der Gerichtsdiener brachte den Zettel der Richterin. Richterin Williams faltete ihn auf. Im Gerichtssaal herrschte gespannte Stille.
Der Gerichtsdiener brachte den Zettel zum Sprecher der Geschworenen zurück.
»Würden Sie das Urteil bitte vorlesen?«
Langsam und bedächtig las er vor: »In der Strafsache des Staates Kalifornien gegen Ashley Patterson befinden wir, die zu diesem Zweck bestellten Geschworenen, die Angeklagte Ashley Patterson im Sinne des Strafgesetzbuches, Paragraph einhundertsiebenundachtzig, des Mordes an Dennis Tipple für schuldig.«
Die Zuschauer keuchten laut auf. Ashley schloß die Augen.
»In der Strafsache des Staates Kalifornien gegen Ashley Patterson befinden wir, die zu diesem Zweck bestellten Geschworenen, die Angeklagte Ashley Patterson im Sinne des Strafgesetzbuches, Paragraph einhundertsiebenundachtzig, des Mordes an Deputy Samuel Blake für schuldig.
In der Strafsache des Staates Kalifornien gegen Ashley Patterson befinden wir, die zu diesem Zweck bestellten Geschworenen, die Angeklagte Ashley Patterson im Sinne des Strafgesetzbuches, Paragraph einhundertsiebenundachtzig, des Mordes an Richard Melton für schuldig. Wir, die Geschworenen, stellen ferner fest, daß es sich in allen drei Fällen um vorsätzlichen Mord handelte.«
David bekam kaum noch Luft. Er wandte sich an Ashley, doch er fand keine Worte. Er beugte sich zu ihr und schlang die Arme um sie.
»Ich möchte feststellen, wie die Geschworenen abgestimmt haben«, sagte Richterin Williams. Sie standen einer nach dem anderen auf.
»Haben Sie den soeben verlesenen Urteilsspruch mitgetragen?«
Und als es jeder einzelne bestätigt hatte, sagte sie: »Der Urteilsspruch wird niedergeschrieben und ins Protokoll aufgenommen. Ich möchte den Geschworenen für ihre Zeit und die Mühe danken, die sie für diesen Fall aufgewendet haben. Sie sind entlassen. Morgen werden wir uns der Frage der geistigen Zurechnungsfähigkeit und des Strafmaßes annehmen.«
David saß hilflos da und sah zu, wie Ashley abgeführt wurde.
Richterin Williams stand auf und begab sich in ihr Dienstzimmer, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Ihre Haltung verriet David mehr als alle Worte, wie ihre Entscheidung am nächsten Morgen ausfallen würde. Ashley würde zum Tode verurteilt werden.
Sandra rief aus San Francisco an. »Ist bei dir alles in Ordnung, David?«
Er versuchte so unbeschwert wie möglich zu klingen. »Ja, alles bestens. Und wie geht’s dir?«
»Mir geht’s prima. Ich hab’s in den Fernsehnachrichten gesehen. Die Richterin war gegen dich eingenommen. Sie kann dich nicht aus der Anwaltskammer ausschließen lassen. Du wolltest deiner Mandantin doch nur helfen.«
Er wußte nicht, was er darauf antworten sollte.
»Es tut mir so leid, David. Ich wünschte, ich wäre bei dir. Ich könnte runterfahren und -«
»Nein«, versetzte David. »Wir dürfen keinerlei Risiko eingehen. Bist du heute beim Arzt gewesen?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt?« »Es kann jetzt jeden Tag soweit sein.«
Herzlich willkommen, Jeffrey.
Jesse Quiller rief an.
»Ich hab’s verhunzt«, sagte David.
»Den Teufel hast du. Du hast nur die falsche Richterin erwischt. Womit hast du dir eigentlich ihren Unmut zugezogen?«
»Sie wollte, daß ich auf schuldig plädiere und mit der Staatsanwaltschaft das Strafmaß aushandle«, sagte David. »Sie wollte nicht, daß es zu einem Prozeß kommt. Vielleicht hätte ich auf sie hören sollen.«
Sämtliche Fernsehsender ließen sich über seine blamable Vorstellung aus. Gerade in diesem Augenblick äußerte sich wieder irgendein Strafrechtsexperte zu dem Fall.
»Ich habe noch nie erlebt, daß ein Strafverteidiger die eigene Mandantin anschreit. Ich muß schon sagen, im Gerichtssaal waren alle fassungslos. Es war einer der unerhörtesten -«
David schaltete das Gerät ab. Was habe ich bloß falsch gemacht? fragte er sich. Angeblich geht doch im Leben immer alles gut aus. Aber ich habe alles verhunzt, und deswegen wird Ashley sterben, und ich werde aus der Anwaltskammer ausgeschlossen, und der Kleine kommt zur Welt, und ich bin arbeitslos.
Er saß mitten in der Nacht in seinem Hotelzimmer und starrte in die Dunkelheit. Es waren die schrecklichsten Stunden seines Lebens, immer wieder ging ihm die entscheidende Szene vor Gericht durch den Kopf. »In meinem Gerichtssaal wird niemand hypnotisiert. Die Antwort lautet Nein.«
Wenn sie nur zugelassen hätte, daß Ashley im Zeugenstand hypnotisiert wird. Ich weiß genau, daß die Geschworenen danach überzeugt gewesen wären. Jetzt war alles gelaufen.
Doch eine leise, hartnäckige innere Stimme flüsterte ihm zu: Wer sagt denn, daß die Sache gelaufen ist? Noch ist nicht aller Tage Abend.
Ich kann nichts mehr unternehmen.
Deine Mandantin ist unschuldig. Willst du sie etwa dem Tod überantworten?
Laß mich in Ruhe.
Immerzu gingen ihm die Worte von Richterin Williams durch den Kopf: In meinem Gerichtssaal wird niemand hypnotisiert.
Und dann waren da nur noch drei Worte, die immer wiederkehrten: In meinem Gerichtssaal.
Um fünf Uhr morgens führte David zwei kurze, dringende Telefongespräche. Als er den Hörer auflegte, ging gerade die Sonne auf. Wenn das kein Omen ist, dachte David. Wir werden gewinnen.
Ein Weilchen später stürmte David in einen Antiquitätenladen.
Der Verkäufer kam auf ihn zu. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?« Dann erkannte er David. »Mr. Singer.«
»Ich suche einen zusammenklappbaren chinesischen Paravent. Haben Sie so etwas da?«
»Ja doch. Wir führen momentan zwar keine allzu alten Paravents, aber -«
»Zeigen Sie mir mal, was Sie da haben.«
»Gewiß doch.« Er führte David in einen Nebenraum, in dem mehrere chinesische Paravents standen. Der Verkäufer deutete auf den ersten. »Das hier ist -«
»Der gefällt mir«, sagte David.
»Ja, Sir. Wohin darf ich ihn senden?«
»Ich nehme ihn gleich mit.«
Danach suchte David eine Eisenwarenhandlung auf, in der er ein Schweizer Offiziersmesser kaufte. Eine Viertelstunde später trat er, den Paravent unter den Arm geklemmt, in das Foyer des Gerichtsgebäudes. »Ich habe einen Gesprächstermin mit Ashley Patterson«, sagte er zu dem Wachmann am Eingang. »Richter Goldberg hat mir sein Dienstzimmer überlassen. Er ist heute nicht da.«
»Ja, Sir«, erwiderte der Wachmann. »Es ist alles bereit. Ich lasse die Angeklagte hochbringen. Dr. Salem und sein Begleiter erwarten Sie bereits.«
»Vielen Dank.«
Der Wachmann schaute David nach, als er mit dem chinesischen Paravent zum Fahrstuhl ging. So ein verrückter Hund, dachte er.
Richter Goldbergs Dienstzimmer wirkte geradezu anheimelnd. Am Fenster stand ein wuchtiger Schreibtisch, davor ein Drehstuhl und an der einen Wand eine Sitzgruppe mit einem Sofa und mehreren Sesseln. Dr. Salem und ein anderer Mann, den David nicht kannte, erwarteten ihn bereits, als er eintrat.
»Entschuldigen Sie, daß ich mich etwas verspätet habe«, sagte David.