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Sie unterhielten sich fast eine Stunde lang. Hinterher war Ashley viel ruhiger und gelöster. Ich glaube, er schafft es wirklich, dachte sie, als sie wieder in ihrem Zimmer war. Und sie sprach ein kurzes Gebet.

Dr. Keller besprach sich mit Otto Lewison. »Wir haben uns heute morgen miteinander unterhalten«, sagte er. »Ashley sieht ein, daß sie krank ist, das wird uns sicherlich zugute kommen. Und sie ist bereit, sich helfen zu lassen.«

»Das ist schon mal ein Anfang. Halten Sie mich auf dem laufenden.«

»Ganz bestimmt, Otto.«

Dr. Keller freute sich auf die Herausforderung, die ihm bevorstand. Ashley Patterson strahlte etwas Besonderes aus. Er war fest entschlossen, ihr zu helfen.

Sie unterhielten sich jeden Tag miteinander, bis Dr. Keller eine Woche nach Ashleys Einlieferung sagte: »Ich möchte, daß Sie es sich bequem machen und sich entspannen. Ich werde Sie jetzt hypnotisieren.« Er ging auf sie zu.

»Nein! Warten Sie!«

Überrascht schaute er sie an. »Was ist los?«

Zig schreckliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Er wollte ihre anderen Persönlichkeiten herauslocken. Bei der bloßen Vorstellung packte sie das blanke Entsetzen. »Bitte«, sagte sie. »Ich - ich möchte ihnen nicht begegnen.«

»Das werden Sie auch nicht«, beruhigte sie Dr. Keller. »Noch nicht.«

Sie schluckte. »Na schön.«

»Sind Sie bereit?«

Sie nickte. »Ja.«

»Gut. Dann fangen wir an.«

Es dauerte fünfzehn Minuten. Als sie unter Hypnose war, warf Gilbert Keller einen Blick auf das Blatt Papier, das auf seinem Schreibtisch lag. Toni Prescott und Alette Peters. Der Zeitpunkt für das Umschalten war gekommen, das Wechseln von einer dominanten Persönlichkeitsebene zur anderen.

Er blickte auf Ashley, die mit geschlossenen Augen im Sessel saß, dann beugte er sich vor. »Guten Morgen, Toni. Können Sie mich hören?«

Er sah, wie sich Ashleys Miene veränderte, als sie unter den Einfluß einer völlig anderen Persönlichkeit geriet. Ihr Gesicht wirkte mit einemmal lebhafter. Sie stimmte ein Lied an.

»Will ich in mein Stüblein gehen, will mein Müslein essen, steht ein bucklicht Männlein da, hat’s schon selbst gegessen ...«

»Das war sehr hübsch, Toni. Ich bin Gilbert Keller.«

»Ich weiß, wer du bist«, entgegnete Toni.

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie eine wunderbare Gesangsstimme haben?« »Pfeif drauf.«

»Ich meine es ernst. Haben Sie mal Gesangsunterricht genommen? Ich wette, ja.«

»Nein, hab’ ich nicht. Ich hätte schon gewollt, aber meine ...« - Um Himmels willen, hör auf mit dem schrecklichen Lärm! Wer hat dir bloß gesagt, daß du singen kannst? - »Ist ja egal.«

»Toni, ich möchte Ihnen helfen.«

»Nein, willst du nicht, Doktorchen. Du willst mit mir bumsen.«

»Wie kommen Sie denn darauf, Toni?«

»Ihr verdammten Macker wollt doch immer nur das eine. Besten Dank.«

»Toni .? Toni ...?«

Schweigen.

Gilbert Keller musterte Ashleys Gesicht. Sie wirkte heiter und friedlich. Dr. Keller beugte sich vor. »Alette?«

Ashleys Miene veränderte sich nicht.

»Alette ...?«

Keine Reaktion.

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Alette.«

Ashley regte sich, wurde unruhig.

»Kommen Sie, Alette.«

Ashley holte tief Luft, und dann stieß sie plötzlich einen Schwall italienischer Worte aus.

»C’e qualcuno che parla Italiano?«

»Alette -«

»Non so dove mi travo.«

»Alette, hören Sie mir zu. Sie sind hier in Sicherheit. Ich möchte, daß Sie sich entspannen.«

»Mi sento stanca ... Ich bin müde.«

»Sie haben Schreckliches durchgemacht, aber all das haben Sie jetzt hinter sich. Fortan werden Sie in Frieden leben. Wissen Sie, wo Sie sich befinden?«

Seine Stimme war weiß.

»Si. In einer Art Anstalt für Leute, die pazzo sind.« Deswegen bist du ja hier, Doktor. Du bist der Verrückte.

»In einer Anstalt, in der man Sie heilen wird. Alette, wenn Sie die Augen schließen und sich das Haus hier vorstellen, was fällt Ihnen dann ein?«

»Hogarth. Er hat Irrenanstalten gemalt, schreckliche Szenen.« Vermutlich bist du so ungebildet, daß du noch nie etwas von ihm gehört hast.

»Ich möchte nicht, daß Sie dieses Haus als Ort des Schrek-kens empfinden. Erzählen Sie mir etwas von sich, Alette. Wozu haben Sie Lust? Möchten Sie irgend etwas tun, solange Sie hier sind?«

»Ich male gern.«

»Dann werde ich Ihnen Farben besorgen.«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Ich will nicht.« Was soll denn das sein, Kind? Das sieht ja aus wie ein einziger scheußlicher Farbklecks.

Laß mich in Ruhe.

»Alette?« Gilbert Keller sah, wie sich Ashleys Miene erneut veränderte.

Alette war weg. Dr. Keller weckte Ashley auf.

Sie schlug die Augen auf und blinzelte. »Haben Sie schon angefangen?«

»Wir sind fertig.«

»Wie ist es gelaufen?«

»Toni und Alette haben mit mir gesprochen. Für den Anfang ist das schon mal gut, Ashley.«

Sie erhielt einen Brief von David Singer.

Liebe Ashley,

ich wollte mich nur kurz melden und Ihnen mitteilen, daß ich an Sie denke und hoffe, daß Ihre Behandlung Fortschritte macht. Genaugenommen denke ich sogar oft an Sie. Ich habe das Gefühl, als wären wir zusammen im Krieg gewesen. Es war ein harter Kampf, aber wir haben gewonnen. Und ich habe gute Nachrichten für Sie. Man hat mir versichert, daß die Anklagen wegen Mordes, die in Bedford und Quebec gegen Sie anhängig sind, fallengelassen werden. Sagen Sie mir Bescheid, wenn ich irgend etwas für Sie tun kann.

Mit den besten Wünschen David

Am nächsten Morgen sprach Gilbert Keller unter Hypnose mit Toni.

»Was gibt’s denn jetzt schon wieder, Doktorchen?«

»Ich möchte nur ein bißchen mit Ihnen plaudern. Ich würde Ihnen gern helfen.«

»Ich brauche keine Hilfe, verdammt noch mal. Mir geht’s prima.«

»Tja, aber ich brauche Ihre Hilfe, Toni. Ich möchte Sie etwas fragen. Was halten Sie von Ashley?«

»Von der verklemmten Zicke? Bring mich bloß nicht auf die Palme.«

»Mögen Sie sie etwa nicht?«

»Überhaupt nicht.«

»Was mögen Sie denn nicht an ihr?«

Es dauerte einen Moment. »Sie versucht ständig, jedem den Spaß zu verderben. Wenn ich nicht ab und zu eingreifen würde, würden wir uns langweilen. Zu Tode langweilen. Sie geht nicht gern auf Partys, sie verreist nicht, sie unternimmt nichts, was Spaß macht.«

»Aber Sie schon?«

»Na klar. Darum dreht sich doch das ganze Leben, stimmt’s, mein Guter?« »Sie sind in London geboren, nicht wahr, Toni? Möchten Sie mir etwas darüber erzählen?«

»Ich sag dir nur eins. Ich wünschte, ich wäre jetzt dort.«

Stille.

»Toni ...? Toni ...?«

Sie war weg.

»Ich möchte mit Alette sprechen«, sagte Dr. Keller zu Ashley. Er sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. »Alette«, sagte er leise und beugte sich vor.

»Si.«

»Haben Sie mein Gespräch mit Toni gehört?«

»Ja.«

»Kennen Sie und Toni einander?«

»Ja.« Selbstverständlich, du Dummkopf.

»Aber Ashley kennt keine von Ihnen beiden?«

»Nein.«

»Mögen Sie Ashley?«

»Sie ist ganz in Ordnung.« Was sollen diese dämlichen Fragen?