Выбрать главу

»Warum sprechen Sie nicht mit ihr?«

»Weil Toni es nicht will.«

»Schreibt Ihnen Toni immer vor, wie Sie sich verhalten sollen?«

»Toni ist meine Freundin.« Das geht dich gar nichts an.

»Ich möchte auch Ihr Freund sein, Alette. Erzählen Sie mir etwas von sich. Wo sind Sie geboren?«

»Ich bin in Rom geboren.«

»Hat Ihnen Rom gefallen?«

Gilbert Keller sah, wie sich Ashleys Miene erneut veränderte. Dann fing sie an zu weinen.

Warum? Dr. Keller redete besänftigend auf sie ein. »Ist schon gut. Ich werde Sie jetzt aufwecken, Ashley ...«

Sie schlug die Augen auf.

»Ich habe mit Toni und Alette gesprochen. Sie sind Freundinnen. Ich möchte, daß ihr euch alle miteinander anfreundet.«

Ashley war beim Mittagessen, als ein Pfleger in ihr Zimmer ging und ein Gemälde am Boden stehen sah, eine Landschaft. Er betrachtete es einen Moment lang und brachte es dann in Dr. Kellers Büro.

In Dr. Lewisons Büro fand eine Besprechung statt.

»Wie läuft es, Gilbert?«

»Ich habe mit den beiden anderen Persönlichkeiten gesprochen«, sagte Dr. Keller nachdenklich. »Toni ist die Dominante. Sie stammt aus England, will sich aber nicht weiter dazu äußern. Die andere, Alette, ist in Rom geboren, und auch sie will nicht darüber reden. Folglich werde ich mich genau darauf konzentrieren. Denn da rühren die Traumata womöglich her. Toni ist die aggressivere. Alette ist eher sensibel und reserviert. Sie interessiert sich für Malerei, hat aber Angst, selbst zu malen. Ich muß den Grund dafür herausfinden.«

»Ihrer Meinung nach wird Ashley also von Toni beherrscht?« »Ja. Toni ergreift die Initiative. Ashley wußte nichts von ihrer Existenz, auch nicht von Alettes. Aber Toni und Alette kennen einander. Es ist interessant. Toni hat eine hinreißende Stimme, und Alette kann malen.« Er hielt das Bild hoch, das ihm der Pfleger gebracht hatte. »Ich glaube, ihre künstlerische Begabung könnte der Schlüssel sein, mit dem wir zu ihnen durchdringen können.«

Einmal pro Woche bekam Ashley einen Brief von ihrem Vater. Hinterher saß sie immer reglos in ihrem Zimmer und wollte mit niemandem reden.

»Sie stellen ihre einzige Verbindung mit zu Hause dar«, sagte Dr. Keller zu Otto Lewison. »Ich glaube, sie verstärken bei ihr den Wunsch, wieder herauszukommen und ein normales Leben zu führen. Wir sind auf jede noch so geringe Hilfe angewiesen .«

Allmählich gewöhnte sich Ashley an ihre Umgebung. Die Patienten durften sich anscheinend frei bewegen, auch wenn auf den Korridoren und an allen Türen Aufpasser standen und das Tor an der Zufahrt zum Grundstück stets verschlossen war. Im Haus gab es einen Aufenthaltsraum, in dem die Insassen beisammensitzen und fernsehen konnten, eine Turnhalle, in der sie sich fit hielten, und einen Speisesaal. Die Leute hier gehörten allen möglichen Nationalitäten an: Japaner, Chinesen, Franzosen, Amerikaner . Man war darum bemüht, den Anschein zu erwecken, daß es sich um eine ganz gewöhnliche Klinik handelte, doch sobald sich Ashley in ihr Zimmer begab, wurden sämtliche Türen hinter ihr abgeschlossen.

»Das ist keine Klinik«, beschwerte sich Toni bei Alette. »Das ist ein elender Knast.«

»Aber Dr. Keller meint, er könnte Ashley heilen. Dann kommen wir doch hier raus.«

»Sei doch nicht so dämlich, Alette. Blickst du das denn nicht? Ashley kann nur geheilt werden, wenn sie uns los wird, wenn wir verschwinden. Was nichts anderes heißt, als daß wir sterben müssen, damit sie geheilt wird. Na, und das werde ich nicht zulassen.«

»Was hast du vor?«

»Ich werde eine Möglichkeit finden, wie wir von hier wegkommen.«

24

Am nächsten Morgen wurde Ashley von einem Pfleger auf ihr Zimmer zurückgebracht. »Irgendwie kommen Sie mir heute verändert vor«, sagte er.

»Ehrlich, Bill?«

»Ja. Fast wie ein anderer Mensch.«

»Das muß an dir liegen, Bill«, versetzte Toni schmeichelnd.

»Was meinen Sie damit?«

»Daß mir in deiner Gegenwart immer ganz anders wird.« Sie faßte ihn am Arm und schaute ihm in die Augen. »Ein wunderbares Gefühl.«

»Ach, kommen Sie.«

»Ich mein’s ernst. Du bist ein scharfer Typ. Weißt du das?«

»Nein.«

»Tja, ist aber so. Bist du verheiratet, Bill?«

»Ich war’s mal.«

»Die Frau hat sie nicht alle, wenn sie jemand wie dich ziehen läßt. Seit wann arbeitest du schon hier, Bill?«

»Seit fünf Jahren.«

»Ganz schön lange. Möchte man da nicht manchmal einfach alles hinschmeißen und abhauen?«

»Ab und zu, klar.«

Toni senkte die Stimme. »Weißt du, mir fehlt eigentlich gar nichts. Ich geb’ ja zu, daß ich eine kleine Störung hatte, als ich hierhergekommen bin, aber jetzt bin ich geheilt. Ich will auch weg. Ich wette, du kannst mir dabei helfen. Wir könnten zum Beispiel alle beide abhauen. Wär bestimmt ein Riesenspaß.«

Er musterte sie einen Moment lang. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

»Doch, doch. Schau, das ist ganz einfach. Du mußt mich nur eines Nachts rauslassen, wenn alle andern schon schlafen, und dann nichts wie weg.« Sie schaute ihm in die Augen. »Du wirst es nicht bereuen«, gurrte sie.

Er nickte. »Ich muß darüber nachdenken.«

»Mach das«, versetzte Toni zuversichtlich.

»Wir kommen hier raus«, sagte Toni zu Alette, sobald sie wieder im Zimmer waren.

Am Morgen darauf wurde Ashley in Dr. Kellers Büro geleitet.

»Guten Morgen, Ashley.«

»Guten Morgen, Gilbert.«

»Heute morgen wollen wir es mal mit Natriumamytal versuchen. Hat man Ihnen das schon einmal gegeben?«

»Nein.«

»Nun, Sie werden feststellen, daß man dadurch sehr gelöst wird.«

Ashley nickte. »Na schön. Ich bin bereit.«

Fünf Minuten später redete Dr. Keller mit Toni. »Guten Morgen, Toni.«

»Hi, Doktorchen.«

»Fühlen Sie sich hier wohl, Toni?«

»Komisch, daß Sie mich danach fragen. Ehrlich gesagt, ge-fällt’s mir hier immer besser. Ich fühle mich wie zu Hause.«

»Und warum wollten Sie dann ausbrechen?«

Tonis Stimme wurde eine Idee schroffer. »Was?«

»Bill sagt, Sie hätten ihn darum gebeten, Ihnen zur Flucht zu verhelfen.«

»Der Dreckskerl«, fauchte sie. Sie sprang auf, stürmte zum Schreibtisch, ergriff einen Briefbeschwerer und warf ihn nach Dr. Kellers Kopf.

Er duckte sich.

»Ich bring’ dich um, und ihn auch.«

Dr. Keller packte sie. »Toni -«

Er sah, wie sich Ashleys Gesichtsausdruck veränderte. Toni war weg. Er stellte fest, daß ihm das Herz bis zum Halse schlug.

»Ashley!«

Ashley schlug die Augen auf. Als sie wieder zu sich kam, blickte sie sich verwirrt um und sagte dann: »Ist alles in Ordnung?«

»Toni hat mich angegriffen. Sie war wütend, weil ich erfahren habe, daß sie flüchten wollte.«

»Ich - ich bitte um Entschuldigung. Ich hatte das Gefühl, daß irgendwas Schlimmes passiert.«

»Schon gut. Ich möchte Sie, Toni und Alette miteinander bekannt machen.«

»Nein!«

»Warum nicht?«

»Ich habe Angst davor. Ich - ich will sie nicht kennenlernen. Verstehen Sie das denn nicht? Eigentlich gibt es sie doch gar nicht. Ich bilde mir sie nur ein.«

»Früher oder später werden Sie sich mit ihnen auseinandersetzen müssen, Ashley. Sie müssen sich kennenlernen. Nur so können wir Sie heilen.«

Ashley stand auf. »Ich möchte jetzt in mein Zimmer.«

Ashley schaute dem Pfleger hinterher, der sie zurückgebracht hatte. Sie war zutiefst verzweifelt. Hier komme ich nie mehr raus, dachte sie. Die lügen mich alle an. Die können mich nicht heilen. Sie mochte sich einfach nicht damit abfinden, daß da diese anderen Persönlichkeiten waren, die in ihr hausten . Ihretwegen waren Menschen ermordet und Familien zerstört worden. Wieso ausgerechnet ich, lieber Gott? Sie fing an zu weinen. Was habe ich dir denn getan? Sie setzte sich auf das Bett. So kann das nicht weitergehen. Ich muß einen Schlußstrich ziehen. Und zwar gleich.