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»Ich wünschte, ich könnte so was auch.« Schwarz.

Es fiel ihr immer schwer, sich loszureißen, wenn die Zeit vorüber war und sie wieder in das große Haus zurückkehren mußte.

»Ich möchte Ihnen jemand vorstellen, Ashley. Das ist Lisa Garrett.« Sie war um die Fünfzig, ziemlich klein und wirkte wie eine Geistererscheinung. »Lisa darf heute nach Hause.«

Die Frau strahlte sie an. »Ist das nicht wunderbar? Und das habe ich nur Dr. Keller zu verdanken.«

Gilbert Keller schaute Ashley an. »Lisa hat ebenfalls an MPS gelitten. Sie hatte dreißig andere Persönlichkeiten.«

»Ganz recht, meine Liebe. Und sie sind alle weg.«

»Sie ist die dritte MPS-Patientin«, sagte Dr. Keller mit Nachdruck, »die uns dieses Jahr verläßt.«

Und Ashley faßte neue Hoffnung.

»Dr. Keller ist sehr verständnisvoll«, sagte Alette. »Er mag uns anscheinend.«

»Du bist vielleicht dämlich«, meinte Toni abfällig. »Kapierst du denn nicht, was der vorhat? Ich hab’s dir doch schon mal gesagt. Der tut nur so, als ob er uns mag, damit wir nach seiner Pfeife tanzen. Und weißt du, was er vorhat? Er will uns alle drei zusammenbringen, Süße, damit er Ashley davon überzeugen kann, daß sie uns nicht braucht. Und weißt du, was dann passiert? Wir beide sterben. Willst du dich darauf etwa einlassen? Ich jedenfalls nicht.«

»Na ja, nein«, sagte Alette zögernd.

»Dann hör mir mal gut zu. Wir tun so, als ob wir mitspielen. Der gute Doktor soll ruhig glauben, daß wir ihm helfen wollen. Wir führen ihn an der Nase rum. Wir haben’s nicht eilig. Aber eines Tages, das versprech’ ich dir, kommen wir hier raus.«

»Ganz wie du meinst, Toni.«

»Gut. Dann wollen wir doch mal zusehen, daß sich das olle Doktorchen richtig klasse vorkommt.«

Sie erhielt einen Brief von David, dem ein Foto von einem etwa zweijährigen Jungen beigelegt war.

Liebe Ashley,

Ich hoffe, daß Sie sich einigermaßen wohl fühlen und Ihr Heilungsprozeß allmählich voranschreitet. Bei uns läuft alles bestens. Ich bin schwer beschäftigt, aber die Arbeit macht Spaß. Ich lege Ihnen ein Foto von Jeffrey bei. Wenn er so weiterwächst, ist er verheiratet, ehe wir uns versehen. Ansonsten gibt es nichts Neues zu berichten. Wir denken nach wie vor an Sie.

Sandra läßt Ihnen beste Grüße und Wünsche bestellen.

Auch von mir alles Gute.

David

Ashley betrachtete das Foto. Ein bezaubernder kleiner Junge, dachte sie. Hoffentlich hat er ein glückliches Leben.

Ashley ging zum Mittagessen in den Speisesaal. Als sie zurückkehrte, lag das Foto in tausend Fetzen zerrissen am Boden.

15. Juni, 13.30 Uhr:

Patientin: Ashley Patterson. Einzeltherapie unter Anwendung von Natriumamytal. Alter ego: Alette Peters.

»Erzählen Sie mir von Rom, Alette.«

»Es ist die schönste Stadt auf der ganzen Welt. Dort gibt’s lauter tolle Museen. Ich bin in allen gewesen.« Was verstehst du denn schon von Museen?

»Und deshalb wollten Sie Malerin werden?«

»Ja.« Was denn sonst? Feuerwehrmann vielleicht?

»Haben Sie Kunst studiert?«

»Nein, ging nicht.« Laß mich doch in Frieden.

»Warum nicht? Weil Ihre Mutter es nicht wollte?«

»O nein. Ich habe bloß festgestellt, daß ich nicht das nötige Talent hatte.« Toni - schaff ihn mir vom Leibe!

»Hatten Sie damals irgendein traumatisches Erlebnis? Können Sie sich erinnern, ob seinerzeit irgend etwas Schreckliches vorgefallen ist?«

»Nein, ich war sehr glücklich.« Toni!

15. August, 9.00 Uhr:

Patientin: Ashley Patterson. Hypnotherapeutische Sitzung mit Alter ego Toni Prescott.

»Wollen wir uns über London unterhalten, Toni?«

»Ja. Mir hat’s dort unheimlich gut gefallen. London ist einfach weltoffen. Da ist jede Menge geboten.«

»Hatten Sie in London irgendwelche unangenehmen Erlebnisse?«

»Unangenehm? Nein. Ich hab’ mich in London pudelwohl gefühlt.«

»Und Ihres Wissens nach ist Ihnen dort auch nichts Unangenehmes widerfahren?«

»Selbstverständlich nicht.« Und jetzt sieh zu, was du damit anfängst, du Pfeife.

Mit jeder Sitzung fielen Ashley mehr Erinnerungen ein. Als sie eines Abends zu Bett ging, träumte sie, sie sei wieder bei Global Computer Graphics. Shane Miller beglückwünschte sie zu einem gelungenen Werk. Wir kamen ohne dich nicht zurecht, Ashley. Dich werden wir nie mehr fortlassen. Dann saß sie in einer Zelle, und wieder stand Shane Miller vor ihr. Mir ist dabei gar nicht wohl zumute, aber unter diesen Umständen sieht sich die Firma leider gezwungen, dich zu entlassen. Wir können es uns einfach nicht leisten, in so eine Sache hineingezogen zu werden. Das verstehst du doch, nicht? Es ist nicht persönlich gemeint.

Als Ashley am nächsten Morgen aufwachte, war ihr Kissen naßgeweint.

Alette war nach diesen Sitzungen immer zutiefst niedergeschlagen. Ihr wurde dabei bewußt, wie sehr sie sich nach Rom sehnte und wie glücklich sie gewesen war, als sie Richard Melton kennengelernt hatte. Wir hätten so gut zueinander gepaßt, dachte sie. Aber das ist vorbei. Längst vorbei.

Toni konnte die Therapiestunden nicht ausstehen, weil dabei zu viele schlimme Erinnerungen wieder hochkamen. Sie hatte Ashley und Alette doch nur beschützen wollen. Aber dankte ihr das jemand? Nein. Sie wurde hinter Schloß und Riegel gehalten wie eine ganz gemeine Kriminelle. Aber ich komme hier raus, schwor sich Toni. Irgendwie komm’ ich hier raus.

Die Tage und Wochen vergingen, und ein neues Jahr brach an, ohne daß sich auch nur der geringste Erfolg einstellte. Dr. Keller war mit seinem Latein am Ende.

»Ich habe Ihren letzten Bericht gelesen«, sagte Dr. Lewison zu Gilbert Keller. »Meinen Sie, es handelt sich tatsächlich um eine Gedächtnislücke, oder machen sie uns nur etwas vor?«

»Sie machen uns etwas vor, Otto. Es ist, als wüßten sie, was ich vorhabe, und wollten es verhindern. Ich glaube, Ashley möchte wirklich, daß man ihr hilft, aber die anderen lassen es nicht zu. Unter Hypnose kann man für gewöhnlich zu ihnen durchdringen, aber Toni ist eine sehr starke Persönlichkeit. Sie beherrscht alle anderen, und sie ist gefährlich.«

»Gefährlich?«

»Ja. Stellen Sie sich doch einmal vor, wieviel Haß jemand empfinden muß, der fünf Männer ermordet und kastriert.«

Bis Jahresende stellte sich keine Besserung ein.

Bei anderen Patienten konnte Dr. Keller Erfolge verzeichnen, doch Ashley, die ihm am meisten am Herzen lag, machte keinerlei Fortschritte. Dr. Keller hatte das Gefühl, daß Toni sich einen Spaß daraus machte, mit ihm zu spielen. Sie war fest entschlossen, ihm den Erfolg zu verwehren. Und dann, als niemand damit rechnete, gab es den Durchbruch.

Es begann mit einem Brief von Dr. Patterson.

5. Juni

Liebe Ashley,

ich habe geschäftlich in New York zu tun und würde gern vorbeikommen und Dich besuchen. Ich werde Dr. Lewison anrufen, und wenn er nichts dagegen hat, kannst Du um den 25. des Monats mit meinem Besuch rechnen.

In Liebe Vater

Drei Wochen später traf Dr. Patterson in Begleitung einer attraktiven, dunkelhaarigen Frau Anfang Vierzig und ihrer dreijährigen Tochter Katrina ein.

Sie wurden in Dr. Lewisons Büro geführt. Er erhob sich, als sie eintraten. »Dr. Patterson, freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Besten Dank. Das sind Victoria Aniston und ihre Tochter Katrina.«

»Wie geht es Ihnen, Miss Aniston? Katrina.«

»Ich habe sie mitgebracht, damit sie Ashley kennenlernen.« »Wunderbar. Sie ist im Augenblick bei Dr. Keller, aber sie müßten bald fertig sein.«