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»Wie macht sich Ashley?« sagte Dr. Patterson.

Otto Lewison zögerte einen Moment. »Könnte ich Sie ein paar Minuten allein sprechen?«

»Selbstverständlich.«

Dr. Patterson wandte sich an Miss Aniston und Katrina. »Soweit ich gesehen habe, ist da draußen ein herrlicher Garten. Ihr könnt ja da draußen warten, und ich komme mit Ashley nach.«

Victoria Aniston lächelte. »Gut.« Sie blickte zu Otto Lewison. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Doktor.«

»Vielen Dank, Miss Aniston.«

Dr. Patterson wartete, bis die beiden weg waren. Dann wandte er sich an Otto Lewison. »Gibt es Komplikationen?«

»Ich will ganz offen sein, Dr. Patterson. Wir kommen nicht so gut voran, wie wir gehofft hatten. Ashley sagt, sie möchte, daß man ihr hilft, aber sie trägt nichts dazu bei. Genauer gesagt, sie wehrt sich gegen die Behandlung.«

Dr. Patterson musterte ihn verdutzt.

»Das ist nichts Ungewöhnliches. In einem gewissen Stadium haben MPS-Patienten Angst davor, sich mit ihren anderen Persönlichkeiten auseinanderzusetzen. Es erschreckt sie. Allein der Gedanke daran, daß es in ihrem Bewußtsein noch andere Charaktere gibt, die jederzeit das Heft in die Hand nehmen können - nun ja, Sie können sich sicher vorstellen, wie verheerend sich das auswirken kann.«

Dr. Patterson nickte. »Natürlich.«

»In Ashleys Fall bereitet uns noch etwas anderes Kopfzerbrechen. Der Ursprung eines derartigen Leidens läßt sich so gut wie immer auf einen sexuellen Mißbrauch zurückführen, der dem Patienten in jungen Jahren widerfahren ist. In Ashleys Unterlagen ist aber nichts dergleichen vermerkt, so daß wir keine Ahnung haben, wie und weshalb es zu der traumatischen Erfahrung kam.«

Dr. Patterson saß einen Moment lang schweigend da. »Da kann ich Ihnen weiterhelfen«, versetzte er dann gepreßt. Er atmete tief durch. »Ich mache mir deswegen schwere Vorwürfe.«

Otto Lewison betrachtete ihn gespannt.

»Es geschah, als Ashley sechs war. Ich mußte nach England, aber meine Frau konnte nicht mitkommen. Ich habe Ashley mitgenommen. Meine Frau hatte dort einen älteren Cousin namens John. Mir war das seinerzeit nicht klar, aber John war ... psychisch gestört. Eines Tages mußte ich einen Vortrag halten, und John bot mir an, daß er auf sie aufpassen wollte. Als ich an diesem Abend zurückkehrte, war er weg. Ashley war völlig aufgelöst. Es dauerte eine Weile, bis ich sie wieder beruhigen konnte.

Danach wollte sie niemanden an sich heranlassen, wurde ängstlich und verschlossen. Eine Woche später wurde John wegen Unzucht mit Kindern festgenommen.« Dr. Pattersons Miene war schmerzerfüllt. »Ich habe mir das nie verziehen. Danach habe ich Ashley nie mehr mit jemandem allein gelassen.«

Lange Zeit herrschte Schweigen. Schließlich sagt Otto Lewi-son:

»Das tut mir schrecklich leid. Aber ich glaube, Sie haben uns den Ansatzpunkt geliefert, den wir gesucht haben, Dr. Patterson. Jetzt kann Dr. Keller gezielt zu Werke gehen.«

»Für mich war diese Erfahrung so schmerzlich, daß ich bisher nicht einmal darüber sprechen konnte.«

»Das kann ich verstehen.« Otto Lewison schaute auf seine Uhr. »Ashley wird noch eine Weile brauchen. Sie können ja unterdessen mit Miss Aniston draußen im Garten warten. Ich schicke Ashley hinaus, wenn sie soweit ist.«

Dr. Patterson erhob sich. »Besten Dank. Das mache ich.«

Otto Lewison blickte ihm hinterher. Er konnte es kaum abwarten, Dr. Keller davon zu berichten, was er soeben erfahren hatte.

Victoria Aniston und Katrina erwarteten ihn. »Hast du Ashley gesehen?« fragte Victoria Aniston.

»Sie wird in ein paar Minuten herausgeschickt«, erwiderte Dr. Patterson. Er blickte sich auf dem weitläufigen Gelände um. »Es ist zauberhaft hier, nicht wahr?«

Katrina rannte zu ihm. »Noch mal Flieger spielen.«

Er lächelte. »Von mir aus.« Er hob sie hoch, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf.

»Höher!«

»Moment. Und los geht’s.« Er warf sie erneut hoch, fing sie auf, und sie kreischte dabei vor Vergnügen.

»Noch mal!«

Dr. Patterson stand mit dem Rücken zum Haus, so daß er nicht sah, wie Ashley und Dr. Keller herauskamen.

»Höher!« kreischte Katrina.

Ashley blieb wie erstarrt in der Tür stehen. Sie sah, wie ihr Vater mit dem kleinen Mädchen spielte, und mit einemmal kam es ihr vor, als ob die Welt in tausend Stücke zerbarst. Danach lief alles wie in Zeitlupe ab.

Da waren Bilder, Bilder von einem kleinen Mädchen, das in die Luft geworfen wurde ... Höher, Papa!

»Moment. Und los geht’s.«

Jemand sagte: »Das wird dir gefallen ...«

Dann legte sich ein Mann neben sie ins Bett. Das kleine Mädchen schrie: »Hör auf. Nein. Bitte nicht.«

Der Mann war in Dunkelheit gehüllt.

Er drückte sie nach unten, und er streichelte sie. »Ist das nicht schön?«

Und plötzlich schwand die Dunkelheit, und Ashley konnte das Gesicht des Mannes erkennen. Es war ihr Vater.

Als Ashley ihn jetzt im Garten mit dem kleinen Mädchen spielen sah, riß sie den Mund auf und schrie und konnte nicht mehr damit aufhören.

Dr. Patterson, Victoria Aniston und Katrina drehten sich erschrocken um.

»Tut mir schrecklich leid«, sagte Dr. Keller rasch. »Heute ist ein schlechter Tag. Könnten Sie ein andermal wiederkommen?« Und er trug Ashley ins Haus.

Man hatte sie in einen der Notfallräume gebracht.

»Ihr Puls ist ungewöhnlich hoch«, sagte Dr. Keller. »Sie befindet sich in einem Dämmerzustand.« Er trat neben sie und sagte: »Ashley, Sie haben nichts zu befürchten. Sie sind hier in Sicherheit. Niemand wird Ihnen etwas zuleide tun. Achten Sie einfach auf meine Stimme und entspannen Sie sich ... entspannen Sie sich ... entspannen Sie sich ...«

Es dauerte eine halbe Stunde. »Ashley, erzählen Sie mir, was vorgefallen ist. Worüber haben Sie sich so aufgeregt?«

»Vater und das kleine Mädchen .«

»Was ist mit ihnen?«

Die Antwort kam von Toni. »Sie verkraftet es nicht. Sie hat Angst, daß er mit der Kleinen das gleiche macht wie mit ihr.«

Dr. Keller starrte sie einen Moment lang an. »Was - was hat er mit ihr gemacht?«

Es geschah in London. Sie war im Bett. Er setzte sich zu ihr und sagte: »Ich werde dich glücklich machen, mein Schatz.« Zunächst kitzelte er sie, und sie mußte lachen. Dann zog er ihr den Schlafanzug aus und spielte an ihr herum, »fühlt sich das nicht gut an?« Ashley fing an zu schreien: »Hör auf. Laß das.« Doch er hörte nicht auf. Er hielt sie fest und machte immer weiter.

»War es das erstemal, daß so etwas vorgekommen ist, Toni?« »Ja.«

»Wie alt war Ashley?«

»Sie war sechs.«

»Und damals wurden Sie geboren.«

»Ja. Ashley war so verstört. Sie konnte es nicht verkraften.« »Was ist danach geschehen?«

»Vater kam jede Nacht und stieg zu ihr ins Bett.« Die Worte sprudelten förmlich aus ihr heraus. »Sie konnte ihn nicht daran hindern. Als sie wieder nach Hause kamen, erzählte Ashley ihrer Mutter, was vorgefallen war, und Mutter nannte sie ein verlogenes Luder.

Ashley hatte Angst, schlafen zu gehen, weil sie wußte, daß Papa in ihr Zimmer kommen würde. Sie mußte ihn immer anfassen und an ihm rumspielen. Und er sagte zu ihr: >Verrate niemandem was davon, sonst hab’ ich dich nicht mehr lieb.< Sie konnte es niemandem erzählen. Mama und Papa haben sich ständig angebrüllt, und Ashley dachte, sie wäre daran schuld. Sie wußte, das sie etwas Unrechtes getan hatte, aber sie wußte nicht was. Mama haßte sie.«

»Wie lange ging das?« fragte Dr. Keller.

»Als ich acht war .« Toni stockte.

»Fahren Sie fort, Toni.«