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Sie sind also der Meinung, jemand hat in Ihrer Wäsche herumgewühlt, und wir sollten dem nachgehen?

Jemand stellt mir nach.

Haben Sie denjenigen gesehen?

Nein.

Hat Sie irgend jemand bedroht?

Nein.

Haben Sie eine Ahnung, weshalb Ihnen jemand etwas zuleide tun sollte?

Nein.

Es ist sinnlos, dachte Ashley verzweifelt. Ich kann nicht zur Polizei gehen. Man würde mir genau diese Fragen stellen, und ich stünde da, als wäre ich nicht recht bei Trost.

Sie zog sich an, so rasch sie konnte, wollte mit einemmal so schnell wie möglich aus ihrer Wohnung weg. Ich muß umziehen. Irgendwohin, wo er mich nicht findet.

Doch im gleichen Moment war sie sich bewußt, daß dies ein Ding der Unmöglichkeit war. Er weiß, wo ich wohne, wo ich arbeite. Und was weiß ich über ihn? Gar nichts.

Sie wollte keine Schußwaffe in ihrer Wohnung aufbewahren, weil sie jede Art von Gewalt verabscheute. Aber irgendwie muß ich mich jetzt schützen, dachte Ashley. Sie ging in die Küche, nahm ein Schlachtermesser und legte es in das Nachtkästchen neben ihrem Bett.

Vermutlich habe ich die Wäsche selber durcheinandergebracht. Vermutlich läuft es darauf hinaus. Oder ist das bloß Wunschdenken?

Im Briefkasten unten in der Eingangshalle war Post für sie. Der Absender lautete Bedford Area High-School, Bedford, Pennsylvania.

Ashley las die Einladung zweimal durch.

ZEHNJÄHRIGES KLASSENTREFFEN!

OB REICH, OB ARM, BETTLER ODER DIEB. HAST DU DICH NICHT SCHON OFT GEFRAGT, WIE ES DEINEN KLASSENKAMERADEN IN DEN LETZTEN ZEHN JAHREN ERGANGEN IST? JETZT KANNST DU ES ERFAHREN. AM ZWEITEN JUNIWOCHENENDE WOLLEN WIR EIN GROSSES WIEDERSEHEN FEIERN. ES GIBT JEDE MENGE SPEIS UND TRANK, DAZU EIN TOLLES ORCHESTER, DAMIT ALLE DAS TANZBEIN SCHWINGEN KÖNNEN. LASS DIR DEN SPASS NICHT ENTGEHEN.

SCHICK EINFACH DIE BEILIEGENDE ANMELDUNG ZURÜCK, DAMIT WIR WISSEN, OB DU KOMMST. WIR FREUEN UNS ALLE AUF DICH.

Auf der Fahrt zur Arbeit dachte Ashley über die Einladung nach. Wir freuen uns alle auf dich. Alle bis auf Jim Cleary, dachte sie bitter.

Ich möchte dich heiraten. Mein Onkel hat mir einen Bombenjob in seiner Werbeagentur in Chicago angeboten. Morgen früh um sieben geht ein Zug nach Chicago. Kommst du mit?

Und sie konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie gelitten hatte, als sie am Bahnhof auf Jim wartete. Weil sie ihm geglaubt, ihm vertraut hatte. Er hatte es sich anders überlegt, und er war nicht Manns genug gewesen, um zu ihr zu kommen und es ihr zu sagen. Statt dessen hatte er sie allein am Bahnhof sitzenlassen. Vergiß die Einladung. Ich fahre nicht hin.

In der Mittagspause ging Ashley mit Shane Miller ins TGI Friday’s. Sie saßen an ihrem Tisch und aßen schweigend.

»Du wirkst, als ob dich irgendwas beschäftigt«, sagte Shane.

»Entschuldige.« Ashley zögerte einen Moment. Am liebsten hätte sie ihm von dem Vorfall mit ihrer Wäsche erzählt, aber es hätte gar zu dumm geklungen. Jemand hat in deinen Sachen herumgewühlt? »Ich habe eine Einladung zum zehnjährigen Klassentreffen bekommen«, sagte sie statt dessen.

»Fährst du hin?«

»Bestimmt nicht.« Es klang heftiger, als sie beabsichtigt hatte.

Shane Miller schaute sie verwundert an. »Warum nicht? So was kann ziemlich lustig werden.«

Ob Jim Cleary wohl hinkommt? Ob er wohl verheiratet ist und Kinder hat? Was würde er wohl zu ihr sagen? Tut mir leid, daß ich nicht zum Bahnhof kommen konnte? Entschuldige, daß ich dich angelogen habe, als ich sagte, ich möchte dich heiraten?

»Ich fahre nicht hin.«

Aber Ashley mußte immer wieder an die Einladung denken. Es wäre bestimmt schön, ein paar alte Klassenkameraden wiederzusehen, dachte sie. Mit dem einen oder der anderen war sie gut befreundet gewesen. Vor allem mit Florence Schiffer. Was mag wohl aus der geworden sein? Und sie fragte sich, ob sich in einer Stadt wie Bedford jemals etwas ändern würde.

Ashley Patterson war in Bedford aufgewachsen, einer Kleinstadt in Pennsylvania, etwa zwei Autostunden östlich von Pittsburgh mitten in den Allegheny Mountains gelegen. Ihr Vater war Chef des Memorial Hospital of Bedford County gewesen, eines der hundert besten Krankenhäuser im ganzen Land.

Es war wunderbar gewesen, in einer Stadt wie Bedford aufzuwachsen. Es gab zahlreiche Parks, in denen man picknicken konnte, in den Flüssen wimmelte es von Fischen, und das ganze Jahr über war allerlei geboten. Ashley freute sich auf die Ausflüge ins Big Valley, wo es eine Amischen-Kolonie gab. Von Pferden gezogene Einspänner mit unterschiedlich gefärbtem Verdeck, je nachdem, wie streng es der Besitzer mit seinem Glauben nahm, waren dort ein alltäglicher Anblick.

Außerdem fanden Abenteuerabende statt, Theaterveranstaltungen und das große Kürbisfestival. Beim Gedanken an die schöne Zeit, die sie dort verbracht hatte, mußte Ashley lächeln. Vielleicht fahre ich doch hin, dachte sie. Jim Cleary traut sich bestimmt nicht zu kommen.

Ashley berichtete Shane Miller von ihrem Entschluß. »Ich fahre am Freitag nächster Woche hin«, sagte sie. »Am Sonntag abend bin ich wieder zurück.«

»Fein. Sag mir Bescheid, wann du ankommst. Ich hole dich am Flughafen ab.«

»Vielen Dank, Shane.«

Nach dem Mittagessen begab sich Ashley wieder in ihr Kabuff und schaltete den Computer ein. Sie traute ihren Augen kaum, als zahllose Pünktchen über den Monitor flimmerten und sich allmählich zu einem Bild formierten. Verdutzt starrte sie auf den Schirm. Dort entstand langsam ein Ebenbild von ihr. Dann sah Ashley voller Entsetzen, wie am oberen Rand des Monitors eine Hand auftauchte, die ein Schlachtermesser hielt. Sie stieß nach ihrem Ebenbild, als wollte sie ihr das Messer in die Brust rammen.

»Nein!« schrie Ashley.

Sie sprang auf und stellte den Computer ab.

Shane Miller kam zu ihr gestürzt. »Ashley! Was ist los?«

Sie zitterte am ganzen Leib. »Da - auf dem Bildschirm -«

Shane schaltete den Computer ein. Am Monitor tauchte ein Kätzchen auf, das ein Garnknäuel über eine grüne Wiese kullerte.

Shane drehte sich um und schaute Ashley verständnislos an. »Was -?«

»Es ist - es ist wieder weg«, flüsterte sie.

»Was ist wieder weg?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich - ich hatte in letzter Zeit allerhand um die Ohren, Shane. Entschuldige bitte.«

»Warum redest du nicht mal mit Dr. Speakman?«

Ashley war schon einmal bei Dr. Speakman gewesen. Er war der Firmenpsychologe, eigens dafür engagiert, daß er den Computergenies mit gutem Rat beistand, wenn sie vor Streß nicht mehr ein noch aus wußten. Zwar war er kein Mediziner, aber er war intelligent und verständnisvoll, und außerdem konnte es nichts schaden, wenn sie mit jemandem redete.

»Genau, das mache ich«, sagte Ashley.

Dr. Ben Speakman war Mitte Fünfzig, an diesem Born der Jugend also geradezu ein Methusalem. Sein gemütliches Büro lag am anderen Ende des Gebäudes und war eine Oase der

Ruhe.

»Ich hatte letzte Nacht einen schrecklichen Traum«, sagte Ashley. Sie schloß die Augen und ließ ihn noch einmal Revue passieren. »Ich bin gerannt. Ich war in einem riesigen Garten voller wilder Blumen. Sie hatten unheimliche, häßliche Gesichter ... Sie haben auf mich eingeschrien ... Ich konnte kein Wort verstehen. Ich bin nur gerannt, auf irgend etwas zu . Ich weiß nicht, was es war .« Sie hielt inne und schlug die Augen auf.