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Der Schrei riss MacNeil aus tiefem Schlaf. Noch hallte es heulend Dämonen, Dämonen! durch seinen Kopf, aber schon saß er aufrecht auf der Matte und schwang sein Schwert, bis ihm bewusst wurde, wo er war. Schnaubend ließ er Luft ab. Der Traum fiel von ihm ab. Sein Gesicht war schweißgebadet; er wischte es mit einem Deckenzipfel trocken. Die Hände zitterten. Er holte tief Luft und hielt sie einen Augenblick lang an. Doch es half nicht viel. Er schaute sich um. Constance richtete sich neben ihm auf. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und schluchzte. Das Echo ihres Schreis verhallte soeben. Der Tänzer stand auf den Beinen und starrte suchend ins Dunkel. Auch Flint hatte ihren Säbel gezückt; ihr Blick war wie umwölkt.

MacNeil beruhigte sich. Alles in Ordnung. Es war nur ein Traum. Keine Gefahr. Der letzte Rest an Panik versiegte, und er war wieder ganz er selbst. Er legte Constance eine tröstende Hand auf die Schulter, worauf sie vor Schreck zusammenzuckte. Als sie aber aufblickte und sah, wer sie da berührt hatte, atmete sie erleichtert auf.

Der Albtraum stand ihr noch im Gesicht geschrieben, und es rührte MacNeil seltsam an zu sehen, wie verletzlich sie war. Gern hätte er sie in die Arme genommen und versprochen, sie vor der "Welt in Schutz zu nehmen. Noch während er diesem Gedanken nachhing, entspannte sich ihre Miene. Constance hatte sich wieder unter Kontrolle.

Sie schniefte noch einmal und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.

»Tut mir Leid«, flüsterte sie. »Ich hatte einen schrecklichen Traum. Einen Albtraum.«

»Das dachte ich mir«, antwortete MacNeil. »Geht's wieder?«

»Ja. Entschuldige, dass ich dich geweckt habe.«

»Dafür danke ich dir«, sagte MacNeil. »Ich habe selbst ziemlich schlecht geträumt und hätte wahrscheinlich auch bald zu schreien angefangen.«

»Ihr habt schlecht geträumt?«, fragte der Tänzer stirnrunzelnd.

»Ja«, antwortete MacNeil. »Na und? Das kommt immer wieder mal vor.«

»Mir ist es nicht besser ergangen«, sagte der Tänzer. »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass gleich drei von uns zur selben Zeit einen Albtraum haben?«

»Alle vier«, schaltete sich Flint ein.

MacNeil sah sie verwundert an. »Du bist während der Wache eingeschlafen?«

Flint blickte zerknirscht drein und nickte. »Ich bin für einen Moment weggedöst.«

»Das sieht dir gar nicht ähnlich«, sagte der Tänzer.

»In der Tat«, meinte auch MacNeil.

Constance musterte Flint und wollte etwas sagen, besann sich dann aber eines anderen. Stattdessen fragte sie in die Runde: »Wovon habt ihr geträumt?«

Flint krauste die Stirn. »Davon, wie ich einmal gegen einen Untoten gekämpft habe. Im Traum war ich ihm am Ende unterlegen, obwohl ich ihn in Wirklichkeit besiegt habe.«

»Ich träumte von einem Werwolf, den ich Vorjahren tötete«, berichtete der Tänzer. »Im Traum aber war alles ganz anders.«

Constance richtete ihren Blick auf MacNeil. »Und was ist mit dir, Duncan? Was hast du geträumt?«

»Das ist doch egal«, antwortete er. »Es war nur ein Albtraum.«

»Vielleicht ist es wichtig. Erzähl.«

Nein, Constance. Das kann ich nicht erzählen, weder dir noch sonst irgendwem. Ich kann keinem erzählen, wie ich einmal fast Hals über Kopf davongelaufen wäre.

»Im Traum wähnte ich mich wieder in die lange Nacht zurückversetzt«, sagte er schließlich, »und kämpfte gegen Dämonen.«

Constance krauste die Stirn. »Dämonen…«

»Aber das hat alles nichts zu bedeuten«, fiel ihr MacNeil ins Wort. »Außerdem haben wir schon darüber geredet.

Ihr erinnert euch?«

»Ja«, sagte Constance. Sie dachte eine Weile lang nach und betrachtete MacNeil mit ernster Miene. »Mein Traum war anders. Ihr habt alle von längst vergangenen Dingen geträumt. Was mir im Traum erschien, waren Vorgänge hier im Fort.«

»Hattest du eine Vision?«, fragte Flint.

»Ich weiß nicht. Vielleicht.« Constance erschauderte plötzlich. »Ich sah hier Leute durchdrehen und mordend übereinander herfallen.«

Für eine Weile blieb es still.

»Das könnte eine Erklärung sein«, sagte MacNeil. »Aber wenn das tatsächlich passiert ist, wo sind all die Leichen.«

»Jedenfalls sind sie nicht weggeschafft worden«, antwortete Flint. »Denn dann hätten wir die eine oder andere Spur entdeckt.«

»Ja, ich glaube, dass hier tatsächlich alles so passiert ist, wie ich es geträumt habe«, sagte Constance.

»Bist du sicher?«, fragte MacNeil.

»Natürlich. Ich bin eine Hexe. Hier im Fort steckt eine unsichtbare Macht, die uns mit Albträumen gequält hat.

Sie will uns testen und unsere Schwachstellen aufdecken. Im Unterschied zu euch habe ich einen Teil der Wahrheit erkannt.«

MacNeil wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich vermute, du deutest da zu viel hinein, Constance. Kann sein, dass uns die Träume geschickt worden sind. Aber es sind eben nur Träume, nicht mehr. Alles andere ist Spekulation.

Wir sind durch alle Räume gegangen, haben alle Winkel in diesem Fort durchsucht, aber außer uns ist niemand hier.«

»Nicht umdrehen«, flüsterte der Tänzer plötzlich. »Was du da sagst, trifft nicht mehr zu. Wir werden von der Tür aus beobachtet.«

In der Stille der Nacht trat hinter den Bäumen am Waldrand eine einsame Gestalt hervor und eilte über die Lichtung auf das Fort zu. Der Mond schien taghell, und da war kein Schatten, in dem Vogelscheuchen-Jack Deckung gefunden hätte. Mit gesenktem Kopf und wild rudernden Armen rannte er entschlossen drauflos. Wenn es auf den Wehrgängen der Festung noch Wachposten gegeben hätte, wäre er nicht weit gekommen. Bei diesem Licht war er kaum zu übersehen. Aber er hatte fast eine geschlagene Stunde darauf gewartet, dass sich eine Wolke über den Mond schöbe, was aber nicht eintraf, sodass er sich am Ende genötigt sah, sein Glück zu versuchen und zu laufen. Die Chancen, unentdeckt zu bleiben, standen gut, weil anscheinend nur ganz wenige Männer Wache schoben. Seine Nerven drohten in Erwartung herbeischwirrender Pfeile zu zerreißen, die er früh genug zu sehen hoffte, um ihnen ausweichen zu können.

Endlich waren die Mauern des Forts erreicht. In deren Schatten geduckt, hielt er inne, bis er wieder zu Luft kam.

Dunkel und still breitete sich die Nacht um ihn aus.

Vogelscheuchen-Jack war ein groß gewachsener Mann Mitte zwanzig. Eine dichte, dunkle Mähne, die seit Jahren nicht gebürstet war, fiel ihm bis auf die Schultern herab. Ein um die Stirn geschlungener schmaler Stoffstreifen hinderte die Strähnen daran, ihm ins Gesicht und über die dunklen, stets hellwachen Augen zu fallen. Er trug ein Sammelsurium aus grünen und braunen Lumpen, die man kaum als Kleider bezeichnen konnte und die im Wesentlichen von schierem Dreck zusammengehalten schienen. Sie stanken ziemlich streng, waren aber wegen ihrer Farben im Wald eine geradezu vollendete Tarnung. Wenn er nicht gesehen sein wollte, sah ihn auch niemand.

Als Wegelagerer, der er gewesen war, hatte Jack legendären Ruhm erworben. Er hatte fast neun Jahre lang ganz allein im Wald von dem gelebt, was er dank seiner Geschicklichkeit und Schläue erbeuten konnte.

Es ging ihm so gut, dass die Welt der Menschen für ihn immer weniger anziehend wurde. Trotzdem vergaß er seine menschliche Herkunft nie. Im Gegenteil, die harsche Natur lehrte ihn Mitleid und Erbarmen erst wirklich schätzen.

Nie beraubte er Leute, die selbst bedürftig waren. Er half verarmten Familien, die sich nicht selbst unterhalten konnten, indem er für sie wilderte. Steuereintreiber kamen nicht an ihm vorbei, ohne gründlich geschröpft zu werden. Wer sich aber verirrt hatte oder in Not geraten war, konnte sich seiner Unterstützung sicher sein.