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Er war tot. Sie hatte nie eine passende Gelegenheit gefunden, ihm zu sagen, wie sie für ihn fühlte. Und jetzt war es zu spät dafür.

»Was ist mit Hammer passiert?«, fragte der Tänzer.

»Er hat Bekanntschaft mit etwas gemacht, das noch grausamer war als er selbst.« Jack sah sich um und bemerkte erst jetzt all die toten Trolle am Boden liegen. »Es scheint, auch ihr hattet alle Hände voll zu tun.«

»Zu langweilen brauchten wir uns jedenfalls nicht«, sagte Flint.

»Wir haben das Gold gefunden«, berichtete Jack. »Es ist alles da. Ich werde euch später den Weg dorthin aufzeichnen.«

»Und was ist mit all den Verschollenen?«, fragte Constance.

»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Jack. »Und keine angenehme. Ich werde sie euch schon noch erzählen.« Sein Blick fiel auf Wilde, der reglos am Boden lag. »Ist er wenigstens mit Anstand gestorben?«, fragte Jack nach längerem Schweigen.

»Ja«, antwortete Flint. »Er hat sein Leben für mich geopfert.«

Jack nickte. »Ich hab ihn zwar nicht leiden können, aber er konnte gut mit Pfeil und Bogen umgehen. Immerhin ist er im Kampf für eine gute Sache gestorben. Er war einmal ein Held, wisst ihr das eigentlich?«

»Ja«, sagte Flint. Sie sah Jack an. »Bist du sicher, dass Duncan tot ist?«

»Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Jack. »Ihm war klar, dass er sterben muss, als er sich auf das Biest geworfen hat. Daran bestand auch für mich kein Zweifel.«

»Hast du denn seine Leiche gesehen?«

»Nein.«

»Dann besteht noch Aussicht darauf, dass er lebt«, sagte der Tänzer. Er wandte sich Constance zu. »Kannst du sehen, wo er steckt? Und was mit ihm passiert ist?«

»Leider nein«, antwortete die Hexe. »Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Es wird Wochen dauern, bis ich wieder hellsehen kann.«

»Er ist tot«, sagte Jack. »Es tut mir Leid, aber so ist es.«

Flint wollte etwas sagen, besann sich dann aber eines anderen. Und für eine Weile herrschte betretenes Schweigen.

»Na gut«, sagte Flint schließlich. »Gehen wir nach oben. Die Nacht verbringen wir im Speisesaal. Morgen steigen wir dann runter in die Stollen und versuchen, Duncans Leiche zu bergen.«

»Genau«, sagte der Tänzer. »Wir können ihn hier schließlich nicht zurücklassen.«

Duncan MacNeil wachte auf. Der ganze Körper tat weh und der Rücken war auf der gesamten Länge ein einziger stechender Schmerz. Er stöhnte laut auf und versuchte den Kopf zu heben, aber selbst das war ihm jetzt zu viel. Als er die Augen öffnete, sah er nichts als Dunkelheit. Er blieb ruhig liegen, sammelte alle verbliebene Kraft zusammen und fragte sich, wo er wohl sein mochte. Unter dem schmerzenden Rücken spürte er einen harten, unnachgiebigen Sockel, der offenbar so wenig Platz bot, dass beide Beine und ein Arm darüber hinausragten. In der Luft hing ein scheußlicher, fauler Gestank, der ihn zum Würgen reizte. Erneut versuchte er den Kopf zu heben, was ihm diesmal auch gelang. Aber zu sehen war immer noch nichts. Natürlich nicht, dämmerte es ihm; hier unten ist kein Licht…

Er erinnerte sich wieder und sein Herz ließ einen Schlag aus, als ihm erneut in den Sinn kam, dass er sich in das glühende Auge des Biests gestürzt hatte. Auf der Suche nach Halt griff er mit der Hand um sich und stellte zu seinem großen Schrecken fest, dass er auf einer schmalen Kante lag, die nach mehreren Seiten hin jählings abfiel. Weiter tastend, stieß seine Hand auf einen unangenehm weichen, schwammigen Gegenstand. Schnell zog er die Hand zurück und rührte sich nicht, bis Puls und Atmung wieder regelmäßig waren. Um Licht ins Dunkel bringen, kramte er den Kerzenstummel aus der Tasche, den er für den Notfall immer bei sich trug. In seiner prekären Lage Feuerstein und Stahl aus dem Stiefel zu ziehen und damit Funken zu schlagen, erwies sich als ein Albtraum der besonderen Art. Dennoch schaffte er es schließlich, den Kerzendocht zum Brennen zu bringen.

Er lag auf einem schmalen Knochenvorsprung, umgeben von dunklen Wänden aus verrottendem Fleisch. Über sich sah er die Öffnung eines Tunnels. Ein gleich großes Loch klaffte unterhalb der Stelle, wo er lag. Vorsichtig richtete sich MacNeil auf und schirmte den Kerzenstummel mit zitternder Hand ab. Jetzt wusste er, wo er war: im Kadaver des Biests. Er war durch sein Auge ins Gehirn gestürzt. Die gallertartige Masse im Innern des Augapfels hatte seinen Sturz abgebremst und auf eine weiche Landung im Gewebe darunter vorbereitet. Das Infernaleisen hatte sich offenbar selbständig gemacht und war mit zerstörerischer Wucht weiter durchs Gehirn gedrungen, was den fortgesetzten Tunnelverlauf erklärte. Wie tief der Wolfsfluch vorgestoßen war, ließ sich nicht erkennen. Jedenfalls hatte das Biest den Einstich nicht überlebt. Daran konnte kein Zweifel bestehen. Wohin MacNeil auch blickte, überall sah er deutliche Anzeichen von Verfall und Fäulnis. Und das Infernaleisen war verschwunden, verloren in den Tiefen des verwesenden Riesenkörpers.

Und da kann es von mir aus auch bleiben, dachte Mac-Neil.

Er stellte sich auf die noch wackligen Beine und blickte in den Tunnel über seinem Kopf. Die Öffnung war so groß wie sein Kopf und in erreichbarer Nähe. Nur durch sie würde er, wie es schien, nach draußen gelangen können, ob ihm das gefiel oder nicht. In seinem geschundenen Zustand zu klettern, würde jedenfalls kein Leichtes sein, zumal nicht abzusehen war, wie weit er steigen musste. Plötzlich fing der Knochenvorsprung, auf dem er stand, zu knarren und zu knacken an. Mit Blick nach unten sah er, dass sich auf der beinernen Oberfläche feine Risse bildeten. Der Verfall des Biests beschleunigte sich. Er hatte keine andere Wahl. Er musste die Zeit nutzten, die ihm noch blieb, und nach draußen zu klettern versuchen.

Stürzte er noch tiefer in den Kadaver hinein, käme er wahrscheinlich nie mehr heraus, selbst wenn er auch einen zweiten Sturz überlebte.

MacNeil ließ flüssiges Wachs von der Kerze auf die Schulter tropfen, um den Stummel darauf festzukleben. Von dem Sturz durchs Auge war er ganz und gar mit einer übel stinkenden Schleimschicht überzogen, doch der Kerzenstummel schien verschont geblieben zu sein und brannte einwandfrei. Zum Glück, denn MacNeil konnte sich um die Flamme nicht weiter kümmern und brauchte beide Hände zum Klettern. Er zog sein Messer aus der Scheide und schnitt ein paar Stufen und Haltegriffe in das faulende Fleisch der Tunnelöffnung über sich. Dann klemmte er das Messer zwischen die Zähne, würgte in Reaktion auf den ekligen Geschmack und zog sich in den Schacht hinein. Die Arme ächzten vor Anstrengung, aber bald hatte er sich so weit hoch gehievt, dass er mit den Füßen Tritt fand. Der lange Aufstieg konnte beginnen. In späteren Jahren erinnerte er sich nur noch in seinen schlimmsten Albträumen an das, was ihm hier abverlangt gewesen war.

Der Aufstieg schien eine Ewigkeit zu dauern. Im flackernden Kerzenschein sah er rotes bis violettes Fleisch, das an manchen Stellen bereits schwarz wurde. Ab und zu pulste schütteres Licht durch den Leichnam, und einmal hatte MacNeil den Eindruck, als starrte ihm durch das Fleisch ein seltsam verzerrtes Gesicht entgegen, was aber, wie er annehmen durfte, bloß eine Täuschung war, denn es zeigte sich nicht wieder.

In den Beinen machte sich ein dumpfer Schmerz bemerkbar, der sich allmählich über Hüfte und Brust bis in die Arme ausbreitete. Auch der Rücken schmerzte immer mehr. Aber MacNeil konnte jetzt nicht Halt machen und ausruhen. Er wäre von den Stufen, die er in die weiche Wand schnitt, unweigerlich abgerutscht. Manchmal sprangen Splitter gebrochener Knochen aus dem Gewebe hervor, die er dann mühsam umklettern musste. Diese Knochen waren zwar noch ausreichend fest, faulten aber schon von innen heraus. Der Wolfsfluch hatte gründliche Arbeit geleistet. MacNeil kletterte weiter, kam in dem mürben Schlauch aber nur langsam voran.