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            »Sieh es, wie du willst.«

            Ich ließ mich vom Stamm gleiten und klopfte mir die Hände an meiner Jeans ab. »Unsere Wurzeln sind hier. Meine Tante ist hier zu Hause. Sie ist ein Mitglied der Gesellschaft.« Impulsiv fügte ich hinzu: »Was muss ich denn tun, damit du mir hilfst? Soll ich betteln? Weinen? Für sie tue ich es – ich werde vor dir auf die Knie gehen und dich um Verzeihung bitten.«

            Grieves Augen blitzten auf, und wieder packte er meinen Arm. »Fordere mich nicht heraus, Cicely. Das wird dir nicht bekommen.«

            Das Gewicht seiner Hand auf meinem Körper war wie Feuer.

            Wütend und gedemütigt versuchte ich, mich von ihm loszumachen. »Und du, gängle mich nicht! Ich bin zäher, als du denkst, und ich lasse mir nichts gefallen.«

            Grieve war mir gefährlich nahe gekommen. Ja, ich hatte tatsächlich Angst vor ihm, aber ich wusste, dass ich es ihm nicht zeigen durfte. Dieser neue Grieve erschreckte mich, und doch, bei aller Härte und Wildheit, die er ausstrahlte, spürte ich auch immer noch seinen für ihn typischen Starrsinn, der mit der neuen Energie, woher sie auch stammen mochte, untrennbar verschmolzen war. Ich wollte ihn in Rage bringen, wollte ihm den Fehdehandschuh hinwerfen. Der Wolf auf meinem Bauch knurrte, aber ob er warnen wollte oder provozieren, wusste ich nicht, und im Augenblick interessierte es mich auch nicht.

            »Hör mir zu, und zwar genau. Wenn du dich unbedingt kindisch verhalten und bleiben willst, dann kann ich dir nicht helfen. Und vielleicht würde ich sogar …« Er ließ den Satz verklingen.

            »Was würdest du?«

            »Du bist schön und stark«, sagte er mit rauchiger Stimme. »Deine Energie spricht mich immer noch an …« Sein Mund war dicht an meinem Ohr, und seine Zunge schoss heraus, um meinen Hals zu kitzeln. Ich konnte nicht anders. Ich presste mich an ihn.

            Er griff mir ins Haar und hielt mich fest. »Du weißt, was die Männer des Indigo-Hofs mit schönen Frauen machen, nicht wahr?«, flüsterte er. »Du willst nur zu gern herausfinden, wie sehr ich mich verändert habe, ist es nicht so, Cicely? Ich könnte dir zeigen, was es bedeutet, Geliebte eines dunklen Fürsten zu sein.«

            »Ich weigere mich, dein Spiel mitzuspielen«, erwiderte ich ebenfalls flüsternd. »Du machst mir keine Angst.«

            Nur noch ein winziges Stück näher, und er würde mich küssen. Und als Grieve seine Lippen an meinen Hals legte, nahm ich einen seltsamen Geruch wahr. Staub und frostige Nächte unter dem herbstlichen Himmel. Felder, zu Asche niedergebrannt, Moschus. Der metallische Hauch von Blut. Ein modriger, ursprünglicher Geruch, der mir Unbehagen bereitete und mich an Friedhöfe erinnerte.

            »Grieve!« Chatters Stimme durchschnitt die Stille.

            Und offenbar auch Grieves Konzentration. Er zog die Brauen zusammen und stieß mich grob von sich, ohne sich darum zu kümmern, dass ich stolperte und auf einem Haufen aus Schnee und Blättern landete. »Komm nicht wieder in die Klamm. Bleib in der Nähe des Hauses und halte dich nachts aus der Stadt fern. Dann passiert dir vielleicht nichts. Im Moment jedenfalls nicht.«

            »Aber warum ist es denn gefährlich für mich? Was ist da draußen? Warum stößt du mich weg? Und was ist der Indigo-Hof? Erklär’s mir doch.«

            Chatter wich zurück, als Grieve es ihm bedeutete. »Stures Weib«, sagte Grieve. »Ich will dich hier nicht haben.« Aber sein Tonfall besagte etwas anderes. »Du gehörst nicht mehr hierher, Cicely Waters, und wenn du unbedingt bleiben willst, dann gibt es nichts, was wir für dich oder deine Tante tun können. Hör auf meinen Rat und steck deine Nase nicht in die Welt der Feen. Das war nie der geeignete Ort zum Spielen, aber jetzt ist er gefährlicher denn je. Sterbliche sind für sie nur ein Zeitvertreib … und entbehrlich. Die Magiegeborenen sind in Gefahr.«

            Er machte eine Pause, bevor er hinzufügte: »Vor allem die Hexen. Vor allem du!«

            Unvermittelt erhob sich eine Bö und wirbelte Blätter und Schnee um mich herum auf. Ich wandte mich ab, um meine Augen vor dem Wirbel zu schützen, und hörte ein schnappendes Geräusch und eine leise Stimme: »Lebe wohl, Cicely. Es war schön, dich wiederzusehen. Ich bin froh, dass du zurück bist, doch ich wünschte, dass alles anders wäre.«

            Chatters Stimme. So rasch, wie er aufgekommen war, erstarb der Wind wieder, und als ich mich umwandte, waren die beiden fort. Ich sah mich um und suchte nach ihnen, aber ich fand nicht einmal einen Hinweis darauf, dass sie je hier gewesen waren.

            Kurz darauf erschreckte mich ein Geräusch aus einem Baum in der Nähe. Die Eule – ein Uhu mit aufgestellten Federohren, die Augen große, runde und leuchtende Topase im Zwielicht des Nachmittags – stieß eine Reihe von fünf tiefen, satten Rufen aus, die mir einen Schauder über den Rücken jagten. Das Tier blickte mich unverwandt an, und es kam mir so vor, als würde es mich eingehend mustern. Nervös trat ich ein paar Schritte zurück, dann machte ich kehrt und ging rasch auf den Waldrand zu. Einmal noch drehte ich mich um und entdeckte, dass der Uhu mich noch immer beobachtete, als wartete er darauf, dass ich etwas sagte. Hastig brach ich aus dem Wald und rannte hinaus auf die offene Wiese.

            So schnell ich konnte, lief ich über den Rasen zurück zum Haus, wo Rhiannon und Leo bereits auf der Veranda warteten. Sie führten mich rasch hinein.

            »Du bist ja total durchgefroren. Und du siehst aus, als hätte dir etwas eine Heidenangst eingejagt«, sagte Rhiannon, als wir im Wohnzimmer waren. »Was ist passiert? Hast du etwas gefunden?«

            Ich schüttelte den Kopf, da ich meiner Stimme nicht traute. Ich wollte nicht über Grieve sprechen, wollte nicht erzählen, wie sehr er sich verändert und dass er mich abgewiesen hatte.

            »Ich … Geht nicht in den Wald. Bitte versprecht mir, dass ihr nicht ohne mich in den Wald geht.«

            Sie sah mich eine lange Weile stumm an, dann nickte sie. »Der Anwalt hatte keinen kurzfristigen Termin mehr, aber er hat gesagt, er würde nach seiner Arbeit in Anadey’s Diner auf uns warten.«

            »Gut. Ich brauche ein Bad.« Obwohl ich geduscht hatte, bevor wir hinausgegangen waren, um nach Heather zu suchen, fühlte ich mich seltsam schmutzig.

            Ich lief hinauf in mein Zimmer und ließ mir so heißes Wasser in die Wanne laufen, wie ich glaubte ertragen zu können. Ich schüttete Heathers Lavendelbadezusatz hinein, und bald stieg der duftende Dampf auf und beruhigte mich etwas. Die Begegnung mit Grieve hatte bei mir das Gefühl hinterlassen, als ob Spinnen über meinen Körper krochen, und ich kratzte mir nervös den Arm, während ich auf meine Wanne wartete.

            Im schwindenden Licht des Nachmittags entdeckte ich ein seltsames Leuchten, das irgendwo tief im Goldenen Wald seinen Ursprung zu haben schien. Ich schloss die Augen, um zu lauschen, ob der Wind mir etwas erzählen wollte, aber ich sah nur das Bild des Uhus, der in den Bäumen schrie. Und ich hätte schwören können, dass er mir zurief: »Geh, Cicely, lauf weg – tu es, solange du noch kannst.«

            Plötzlich musste ich mich unbedingt vergewissern, dass die Fenster verriegelt waren, und obwohl ich auch noch die Vorhänge zuzog, fühlte ich mich verwundbar und ausgeliefert.

            5. Kapitel

            Als ich gebadet hatte und wieder angezogen war – ich würde bald waschen müssen, wenn ich weiterhin in dem Tempo meine Kleider wechselte, denn ich besaß nicht viele –, setzte ich mich aufs Bett und versuchte, die Situation einigermaßen nüchtern zu betrachten.