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            Peyton grinste. »Meine Großmutter hatte recht. Du bist ein Tatmensch. Ich denke drüber nach. Es klingt nach einer ziemlich guten Idee.«

            Einen Augenblick später hatte Anadey verschiedene Papiere auf dem alten Eichentisch ausgebreitet. »Kommt mal her.« Sie winkte Peyton, Rhiannon und mir. »Setzt euch bitte. Die Utensilien und Werkzeuge meiner Mutter sind oben in einem anderen Zimmer, aber ich würde damit gern noch warten. Es könnte etwas dabei sein, das ich behalten möchte – aus sentimentalen Gründen.«

            »Natürlich«, sagte ich, denn ich wollte ihr wirklich nicht auf die Zehen treten.

            »Dann sind da die Vorräte auf der Veranda, andere in einem weiteren Raum, und die Bücher. In dem Regal da drüben«, sie deutete auf eins, das sich von einer Wand bis zur anderen erstreckte, »ist die gesamte mittlere Abteilung deine. Wie wär’s, wenn du damit anfängst? Wir haben noch ein paar Kartons hier, du kannst also schon einiges einpacken.«

            Rhiannon und ich schlenderten zum Regal, während Peyton hinausging, um die Kartons zu holen. Buch um Buch magischer Literatur standen dort nebeneinander und warteten nur darauf, dass ich zugriff, und es war ein Wunder, dass ich nicht spätestens bei der zweiten Reihe vor Gier zu sabbern begann. Anadey seufzte müde, setzte sich in einen Schaukelstuhl und rieb sich die Füße. Peyton kehrte mit einem halben Dutzend Kartons zurück und ließ sich dann an ihrer Seite nieder. »Komm, Mutter, lass mich dir die Füße massieren. Du hattest einen langen Tag.«

            Wieder seufzte Anadey, diesmal vor Erleichterung. »Also«, sagte sie nach einem Augenblick. »Erzählt mir von Heather.«

            Rhiannon legte das Buch ab, in dem sie gerade gelesen hatte. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich kam von der Arbeit nach Hause, und sie war weg.« Sie trat zu Anadey und hielt ihr die Kette hin. »Das ist alles, was wir gefunden haben. Na ja, das und ein bisschen Blut.«

            »Wir gehen davon aus, dass etwas, was im Wald steckt, sie entführt hat«, fügte ich hinzu.

            Anadey sah uns nacheinander fest an. Als ich an der Reihe war, lächelte sie. »Marta ist wahrscheinlich nicht davon ausgegangen, dass die Ereignisse sich so bald überstürzen würden. Was ist mit deiner Mutter passiert, Cicely? Ich kannte sie, als wir junge Mädchen waren. Doch später hatten wir praktisch nichts mehr miteinander zu tun.«

            Ich schluckte. »Sie konnte mit ihren Kräften nicht umgehen und lief mit mir davon. Vor ein paar Jahren dann starb sie – ein Vampir hat sie getötet.«

            Rhiannons Kopf fuhr hoch. »Das hast du mir ja gar nicht gesagt. Du hast nur erzählt, dass deine Mutter tot ist.«

            »Na ja, es ist ja nicht gerade etwas, worauf man im Allgemeinen stolz ist. Krystal war abhängig. Cracksüchtig. Und das Geld für den Stoff hat sie als Bluthure aufgetrieben. Ihr letzter Freier ist durchgedreht und hat sie ausgesaugt. Als ich sie fand, lag sie in einer Pfütze aus Blut und Urin.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ich kann Vampiren nicht besonders viel abgewinnen. Oder Dealern.«

            Rhiannon warf mir einen Blick zu. »Stört es dich, dass Leo Tagesbote ist?«

            Erneut zuckte ich mit den Achseln. »Ich hatte noch nicht wirklich genug Zeit, darüber nachzudenken, weiß also nicht, was ich von dem Job halte. Aber Leo mag ich.«

            Anadey unterbrach uns. »Es tut mir leid, das von deiner Mutter zu hören. Krystal hatte viel Potenzial. Aber konzentrieren wir uns lieber auf Heather. Erzählt mir alles, was wichtig sein könnte. Vielleicht kann ich helfen.«

            Rhiannon sah mich fragend an, und ich nickte. Wir durften unser Geheimnis nicht länger für uns behalten. Wir waren keine Kinder mehr, sondern erwachsene Frauen.

            Ich holte tief Luft. »Alles begann, als Rhiannon und ich gerade erst sechs waren und zum ersten Mal in den Spinnenwald gerieten …«

            Rhiannon lief hinter mir her und schaute immer wieder über ihre Schulter, um zu sehen, ob uns jemand in den Wald folgte. Der Pfad war in diffuses Licht getaucht, und das war er immer, wie viel Sonne auch durch die Baumkronen drang. Tante Heather hatte uns schon tausendmal gewarnt, dass wir nicht in den Wald gehen sollten, aber meiner Mutter war es gleich – sie war ohnehin nie da, immer auf irgendeiner Party oder anderswo unterwegs. Also hatte ich Rhiannon überredet, mit mir zu kommen. Und nun hatten wir ein tolles Geheimnis.

            Wir waren sechs, und die Bäume schienen in den Himmel zu wachsen. Wenn wir nur hoch genug hinaufkletterten, würden wir vielleicht Asgard finden. Heather nannte es die Heimat der Götter, meine Mutter behauptete, es existiere nicht. Aber wer von beiden auch recht haben mochte, ich hatte keine Angst, und nachdem wir ein paarmal im Wald gewesen waren, fürchtete auch Rhiannon sich nicht mehr. Wir waren Magiegeborene, Hexentöchter, was sollte uns schon passieren?

            Obwohl Mutter gar keine Hexe sein will, dachte ich. Schon oft hatte ich nachts, wenn alle dachten, ich würde schlafen, Streit zwischen Heather und meiner Mutter mit angehört.

            »Krystal, du darfst dein Erbe nicht länger verleugnen. Die Kraft wird dich vernichten. Du kannst sie nicht für immer und ewig unterdrücken. Ganz zu schweigen davon, dass du eine Verantwortung deiner Familie gegenüber hast. Der Dreizehn-Monde-Gesellschaft. Und vor allem hast du eine Verantwortung deiner Tochter gegenüber, die eine Ausbildung bekommen muss.« Heathers Vorwürfe hallten durchs Treppenhaus.

            »Ach, verpisst euch, du und deine Gesellschaft«, erwiderte meine Mutter. »Familientradition oder Zauberkräfte, das ist mir so was von egal. Ich habe schließlich nicht darum gebeten, mit diesen beschissenen Fähigkeiten auf die Welt zu kommen, und manchmal wünsche ich, ich könnte sie mir aus dem Kopf reißen. Weißt du eigentlich, wie das ist, wenn man dauernd Stimmen hört? Stimmen von Leuten, die dich verachten? Die dich für eine Schlampe halten, nur weil man ein bisschen Spaß will? Weißt du, wie das ist?«

            Ein Murmeln von Heather, dann wieder Krystals Stimme. »Tja, nun, das jedenfalls höre ich jeden Tag, sobald ich das Haus verlasse. Und das Einzige, was hilft, um es auszublenden, sind Schnaps und Pillen, und glaub mir, meine Liebe, ich beuge mich lieber einer guten Flasche Roten als dieser jämmerlichen Gesellschaft oder dieser selbstgerechten, prüden alten Vettel!«

            »Marta macht sich einfach nur Sorgen um dich –«

            »Dann sag ihr, sie soll’s lassen.«

            Und dann stampfte Krystal aus dem Haus, warf die Tür hinter sich zu, und meine Tante begann zu weinen. Manchmal allerdings weinte sie auch nicht, sondern brummelte wütend vor sich hin, während sie hinauf in ihr Zimmer ging. Der Windhauch trug die Worte bis zu mir.

            »Beeil dich«, drängte ich Rhiannon, die zurückgeblieben war. »Grieve und Chatter warten schon auf uns.«

            »Woher willst du das wissen?«, fragte sie, steigerte jedoch ihr Tempo. Ich konnte schneller rennen als sie und besser raufen, aber Rhiannon war die Anmutigere von uns beiden, und sie hatte etwas von einer Tänzerin. Vielleicht würde sie, wenn sie mal groß war, eine Ballerina werden, dachte ich.

            »Ich weiß das, weil ich sie hören kann. Jetzt komm schon.«

            Ich begann zu rennen, und sie hielt Schritt. Abrupt und rutschend kamen wir vor den riesigen alten Zedern zum Stehen, und ich biss mir auf die Lippe. Jedes Mal, wenn wir herkamen, flüsterte mir eine Stimme zu, dass es gefährlich für uns war, hier zu sein, dass uns etwas zustoßen könne. Aber das dringende Bedürfnis, unsere merkwürdigen Freunde wiederzusehen, siegte jedes Mal sowohl über Heathers Verbot als auch über meinen gesunden Menschenverstand.