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            Ich streckte den Arm aus und klopfte dreimal auf den Baumstamm. Schon beim dritten Klopfen erklang vom Pfad zu unserer Linken ein Laut, und Grieve und Chatter schlüpften hinter einem Busch hervor. Sie waren älter als wir – schon erwachsen –, aber sie waren immer höflich und nett und taten nie etwas, das uns ein komisches Gefühl verursacht hätte.

            In meinen Augen waren es keine »Jungs«. Jungs waren laut und aufdringlich und wollten ihren Freundinnen immer auf die Pelle rücken. Grieve und Chatter sprachen nie über Mädchen, und sie waren, na ja, eben anders. Sie waren keine Menschen, das wussten wir, aber auch keine Magiegeborenen, sondern Feen und wirkten auf uns unglaublich betörend und gefährlich fremd. Natürlich wussten wir von all den anderen Nicht-Menschlichen in unserer Gegend, begegneten aber hauptsächlich Wesen unserer Art.

            Grieve bedeutete uns, ihnen zu folgen. Er hielt die Zweige beiseite, damit wir durch den Busch schlüpfen konnten, und führte uns auf die Lichtung zu unserer Linken, wobei er die Klamm mied.

            Nach ein paar Schritten ließen wir uns an einem kleinen Tümpel nieder, wo sich die Baumkronen lichteten und Sonnenlicht auf uns herabschien. Ich kletterte auf einen alten Baumstamm und atmete den Geruch nach Pilzen und Moos ein. Rhiannon setzte sich schüchtern neben mich. Ihr gefiel Chatter besser als Grieve. Er brachte sie zum Lachen.

            »Unsere gemeinsame Zeit neigt sich dem Ende zu«, begann Grieve und kniete sich neben den Stamm. Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen, und er sah aus, als sei er den Tränen nahe.

            »Aber wieso denn?« Hieß das, dass wir nicht mehr herkommen konnten? Das wollte ich nicht! Grieve und Chatter hatten uns beigebracht, wie man sich mit den Elementarwesen anfreundete und sie zum Spielen hervorlockte. Falls man es schaffte. Es gelang nicht immer, aber sie hatten gesagt, je mehr man übte, desto besser wurde man.

            »Cicely, deine Mutter –«, begann Chatter, aber Grieve hielt eine Hand hoch und schüttelte den Kopf.

            »Stopp. Wir haben nicht die Erlaubnis, es ihr zu sagen«, wandte er ein. »Cicely, es ist alles in Ordnung. Nur werden wir uns leider nicht mehr sehen können. Und zwar eine ganze Weile nicht mehr, vielleicht sogar Jahre. Und Lainule – ihr erinnert euch doch an die schöne Frau, die beim letzten Mal mit uns gekommen ist, um mit euch zu reden?«

            Ich nickte, stolz, dass ich es noch wusste. »Die Königin von Schilf und Aue.«

            »Ganz genau, gut gemerkt. Jedenfalls möchte Lainule, dass du eine Freundin hast, die dir dabei hilft, Nachrichten mit dem Wind zu schicken. Sie sagt, dass es sehr wichtig ist, verstehst du? Und du darfst nie vergessen, dass du über den Wind immer Kontakt zu unserem Volk aufnehmen kannst, und jemand wird kommen und dir beistehen, auch wenn du ihn vielleicht nicht siehst.«

            Ich starrte ihn an und spürte, dass meine Unterlippe zu zittern begann. Obwohl ich so jung war, wusste ich, dass er sich von mir verabschiedete, und am liebsten hätte ich geweint. Aber ich unterdrückte meine Tränen, denn wenn Grieve sagte, dass etwas wichtig war, dann war es das auch. Er war ein Prinz, das hatte er mir gesagt, und ich hatte ihn bereits wütend erlebt, wenn auch mehr auf Chatter als auf uns. Trotzdem wusste ich, dass ein wütender Grieve ein unberechenbarer Grieve war.

            Also nickte ich schließlich. »Und jetzt musst du mir beibringen, wie ich mit dem Wind sprechen kann, oder?«

            »Genau. Du kannst bereits hören, wenn er zu dir spricht, aber du musst noch lernen, wie du antworten und Botschaften mit etwas schicken kannst, das wir Windschatten nennen. In deinem Alter braucht man dazu ein Windelementar. Ich weiß, dass du vielleicht erst einmal nicht verstehst, was das alles soll, aber ich werde versuchen, dir beizubringen, wie man mit diesem Wesen kommuniziert. Es wird immer für dich da sein. Aber du musst mir etwas versprechen.«

            »Was denn?« In jenem Moment hätte ich zu allem ja gesagt.

            »Versprich mir, dass du dies hier nie vergisst. Das, was wir dir beigebracht haben. Und versprich mir, dass du immer übst, selbst wenn du tausend Meilen entfernt bist.« Er ging vor mir in die Hocke, nahm meine Hände und lächelte. »Und wenn du älter bist, kommst du zurück. Zu mir. Zu uns. Ich möchte wirklich gern wissen, was aus dir geworden ist.« Da war etwas in seiner Stimme, das auf eine Zukunft hindeutete, und es machte mich unendlich traurig und gleichzeitig … ja, froh!

            Ich blickte ihm in die Augen und ließ mich von der Seide seiner Stimme streicheln, hörte ihm zu, diesem komisch aussehenden Mann mit Augen, die so klar und blau waren, dass sie im Kontrast zu seiner olivfarbenen Haut wie Zwillingsmeere aussahen. Grieve war gut zu mir, und ich wusste, dass er mir niemals etwas antun würde.

            Feierlich nickte ich. »Versprochen«, sagte ich. »Und wenn ich mein Wort breche, dann soll mich –«

            »Nein!«, unterbrach er mich barsch. Seine Augen leuchteten auf. »Sprich es nicht aus, Cicely. Zu viele böse Wesen lauschen dem Wind. Sie lauschen Geheimnissen, die man sich in dunklen Gassen erzählt, sie lauschen Versprechen und Schwüren und feierlichen Eiden, die andere zusammenschweißen. Versprich niemals dein Leben – niemandem!«

            »Okay«, sagte ich eingeschüchtert. Ich hatte ihn noch nie so eindringlich und herrisch erlebt. Es war, als hätte er einen Mantel abgelegt, und er wirkte plötzlich noch weniger menschlich auf mich als ohnehin schon. Sein Kinn war scharf geschnitten, die Wangenknochen standen hervor, und seine Lippen waren voll.

            »Und jetzt komm mit mir, damit ich dir dein Elementar vorstellen und dir beibringen kann, wie du mit ihm sprechen kannst.« Und so begann er das Ritual, das mich an Ulean band, und lehrte mich, den Wind anzuschirren und ihn mir gefügig zu machen.

            Anadey hörte schweigend zu, während wir berichteten, wie Chatter Rhiannon beigebracht hatte, Feuer heraufzubeschwören, und Grieve mich mit dem Wind verschwor.

            »Und dann nahm Krystal mich mit und ging, und nichts war mehr, wie es gewesen war. Aber ich hielt mein Versprechen. Ulean half mir, und irgendwann geschahen die Dinge einfach. Sie warnte mich, wenn wir in Gefahr waren. Einmal hatten wir nichts mehr zu essen, und der Wind rupfte mir einen Zettel aus der Hand, und als ich hinter ihm herjagte, stieß ich auf der Straße zufällig auf einen Zwanzig-Dollar-Schein. Und es geschah auch, dass der Wind Leute aufhielt, die mir etwas antun wollten, wie einmal, als ein Kerl mich verprügeln wollte. Eine plötzliche Bö riss einen Mülleimer um und wehte ihn ihm in die Fersen, so dass ich Zeit bekam, die Beine in die Hand zu nehmen.«

            »Du bist schon ein paarmal zurückgekommen, aber immer wieder gegangen. Warum?«

            Ich hatte schon so oft über diese Frage nachgedacht. »Meine Mutter brauchte mich. Ich konnte sie da draußen nicht einfach allein lassen. Sie war so verwundbar und labil … hilflos. Und ich war wohl einfach auch noch nicht bereit, denke ich. Noch nicht bereit, mein Nomadenleben aufzugeben und mich endlich dem zu stellen, was hier auf mich wartete.« Und beim letzten Mal, als ich siebzehn war, war ich auch nicht bereit, mich auf Grieve einzulassen, sosehr ich ihn auch liebte. Aber das sagte ich nicht laut.

            »Und nun hat der Wind dich nach Hause gebracht. Dich und Ulean.« Anadey sah aus, als wollte sie noch viel, viel mehr sagen, doch sie hielt sich zurück.