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            »Wir haben heute nach Heather gesucht, allerdings nur am Waldrand. Und wir wurden angefallen, zweimal sogar – na ja, eigentlich nur ich. Aber Rhiannon und Leo schlugen ein Wesen in die Flucht, das mich zu erwürgen drohte. Als ich das zweite Mal zum Wald ging, hob mich ein Schneewesen aus meinem Körper. Dann traf ich auf Grieve. Aber er hat sich stark verändert.« Ich fasste zusammen, was geschehen war.

            »Die Kreatur, die du beschreibst, ist ein Tillynok, aber die sind gewöhnlich friedlich. Jemand muss ihn aggressiv gemacht haben. Und Schneeelementare … sie sind eigentlich nicht für Schabernack bekannt. Sofern sie nicht mit jemandem verschworen sind, so wie du mit Ulean, kümmern sie sich einfach nicht um Menschen. Eine merkwürdige Magie, die sich da im Wald breitgemacht hat.«

            »Und was ist mit Grieve? Und dem Indigo-Hof, den er erwähnt hat? Und der in Rhiannons Vision aufgetaucht ist?«

            »Keine Ahnung«, sagte Anadey.

            »Cicely! Schau mal.« Rhiannon drehte sich mit einem Buch aus dem Regal zu uns um.

            Als ich meine Hand nach dem Buch ausstreckte, spürte ich ein seltsames Prickeln in meinen Fingern. Die Energie, die das Buch einhüllte, war beängstigend, wild, uralt. Ich wusste nicht, ob ich es wirklich anfassen wollte, aber mir blieb keine Wahl. Ich musste es mir ansehen. Das Buch war schwer, der Einband dunkelblau. Ich schlug den Deckel auf – auf dem nichts stand – und las auf der ersten Seite den Titel.

            Der Aufstieg des Indigo-Hofs.

            »Tja, anscheinend haben wir eine Antwort gefunden.«

            »Obwohl ich befürchte, dass diese Antwort zu mehr Fragen führt«, gab Anadey zu bedenken. »Und wieso habe ich das dumpfe Gefühl, als wollten wir die Büchse der Pandora öffnen?«

            »Weil wir offenbar genau das tun.« Und damit blätterte ich zur ersten Seite um.

            6. Kapitel

            Ich wanderte langsam zum Esstisch, während die anderen mir folgten. Dort legte ich das Buch nieder und schlug die erste vergilbte Seite auf. Die Wörter waren mit der Hand geschrieben, die Buchstaben eng aneinandergereiht, aber deutlich lesbar. Alte Tinte. Alte Seiten. Der Geruch von Bibliotheksstaub und vergessenen Zeiten.

  Noch geheimer und verborgener gar als der Dunkle Hof ist der Indigo-Hof. Während die Dunklen ruchlos und gefährlich sind, muss man die Angehörigen des Indigo-Hofs als die gefallenen Feen betrachten, deren Blutlinie durch die Vampirnation besudelt worden ist. Die Vermischung beider Rassen brachte eine hervor, die stärker ist als die jeweils ursprüngliche, jedoch ganz eigene Schwachstellen hat.         Ich brach ab und blickte auf. »Vampirfeen?« Der Gedanke verursachte mir eine Gänsehaut. Irgendwie kam mir das so … falsch vor. »Davon habe ich noch nie gehört. Hat Leo schon mal etwas darüber erzählt? Ich meine, er arbeitet doch für die Vampire.«

            Rhiannon schüttelte den Kopf.

            »Ich habe auch noch nie davon gehört«, sagte Anadey, die mir über die Schulter sah. »Mutter offenbar schon, sonst hätte sie das Buch ja nicht.«

            »Aber wie soll das passiert sein? Wie sollen sich Vampire mit Feen vermischen? Haben sie sie verwandelt, wie sie es mit Menschen tun?« Peyton sah genauso verwirrt aus.

            Ich blätterte durch das Buch, bis ich zu einem Abschnitt kam, der ihre Frage zu beantworten schien.

  Vor vielen tausend Jahren versuchte ein Spähertrupp der Vampirnation, angeführt von Geoffrey dem Großen, einen Überfall auf den Dunklen Hof. Sie machten Gefangene, eine Gruppe betörender Dunkelfeen. In der Absicht, die Frauen in Vampire zu verwandeln, um die Dunklen zu infiltrieren, wandten sie dieselben Methoden an, die bei Menschen immer erfolgreich gewesen waren.   Sie hatten jedoch nicht erwartet, dass die Frauen, die dem Tod nahe und somit gezwungen waren, Vampirblut zu trinken, schockierend rasch wieder zu Kräften kamen. Das Vampirblut hatte sie grundlegend verändert.   Die Vampire mussten bald feststellen, dass ihre neuen Töchter keine solche Bindung zu ihnen hatten, wie es bei den Menschen der Fall war. Zumal die Dunklen trotz ihrer neu gewonnenen Vampirkräfte weiterhin ihre Magie einsetzen konnten. Doch gleichzeitig glitten sie noch tiefer in das Schattenreich ab.   Bald schon übernahmen die Vampirfeen die Herrschaft über ihre Entführer und zwangen sie, Männer ihrer Rasse heranzuschaffen und sie zu verwandeln. Da Vampirfeen leben und nicht untot sind, können sie sich paaren, und ihre Nachkommen behalten die Eigenschaften der Eltern.   Innerhalb des Dunklen Hofs brach ein Krieg aus. Die Gefallenen Feen, eine Monstrosität in den Augen der reinen Dunkelfeen, wurden zu Ausgestoßenen, Parias. Doch sie zu vertreiben gelang nur durch ihre geringere Anzahl. Denn diese lebendigen Vampire – die Vampirfeen – waren skrupelloser und beängstigender als ihre beiden Erzeugerrassen zusammengenommen.   Die Ausgestoßenen überquerten ein Meer und zogen sich in den Dunklen Wald zurück, um ihr eigenes Volk zu gründen. Über den Indigo-Hof herrscht die Königin Myst, Fürstin der Verwüstung, die erste Fee, die von den Vampiren verwandelt wurde. Sie ist atemberaubend in ihrer Schönheit, und ihr Mittel ist Verführung.   Im Laufe der Jahre hat sich der Indigo-Hof immer mehr aus dem Licht der Öffentlichkeit zurückgezogen, um im Verborgenen in Anzahl und Stärke wachsen zu können. Die Vampirnation hat Rache für die Demütigung und die Niederlage geschworen. Eine Prophezeiung Crawls, des Blutorakels, besagt, dass eines Tages ein Krieg beider Rassen unvermeidlich wird.              »Verfluchter Mist!« Ich klappte das Buch zu und stellte es zurück. »Wir haben es also mit lebendigen Vampirfeen zu tun? Und ihre einzigen Todfeinde sind die … tja, nun, wahrscheinlich muss man sie jetzt ›die wahren Vampire‹ nennen.«

            Der Gedanke überspülte mich wie eiskaltes Wasser, und ich fröstelte. Königin Myst … Grieve hatte erwähnt, dass sie nun im Wald herrschte. Also wohnten wir nun Tür an Tür mit einem Schlangennest, mit Raubtieren, einst erschaffen von …

            »Denkt ihr, dass es sich um denselben Geoffrey handelt, den auch wir kennen? Der unsere Gegend regiert?«

            Anadey schüttelte nachdenklich den Kopf. »Keine Ahnung. Alt genug wäre er.«

            »Und Myst lebt im Wald, der an unser Haus grenzt«, flüsterte Rhiannon und sprach aus, was ich eben gedacht hatte.

            Wieder schauderte ich. In mir schrillte ein Alarm los. »Sie ist jetzt offenbar bereit, aus der Dunkelheit ins Licht zurückzukehren. Das könnte durchaus die Vernichtung eines jeden bedeuten, der ihr zu nahe kommt. Und ich glaube, dass sie … dass sie Grieve verwandelt hat.«

            Ich wanderte zum Fenster und blickte hinaus. Der Schnee kam in dicken Flocken herab. Wenn wir recht hatten, war die Welt auf den Kopf gestellt worden und stand kurz vor dem Abstieg ins Chaos.

            »Also? Was unternehmen wir, um sie aufzuhalten?«

            Anadey stieß einen langen Seufzer aus. »Wir sollten wohl als Erstes herausfinden, was ihre Schwächen sind. Wir können das Buch nach Informationen durchgehen. Rhiannon, wenn Leo für die Vampire arbeitet, glaubst du, er kann sie nach dem Indigo-Hof fragen? Sie scheinen sich ja so sehr zu hassen, dass sie an einen Krieg glauben. Wer weiß, was sie uns sagen können.«

            Rhiannon rümpfte die Nase. »Ich kann fragen, wenn es mir auch ziemlich heikel erscheint. Aber okay, ich werde sehen, was ich herausfinden kann.«