Er nahm meine Hand, und der Rauch, der seine Hand war, mischte sich mit meinem, um eine seltsame Mixtur zweier Körper zu bilden. Es war, als wären wir siamesische Zwillinge und an den Händen zusammengewachsen.
»Halt mich fest, wenn wir durchs Portal gehen. Fühlt sich ziemlich krass an.«
Ohne weitere Warnung zog er mich zwischen die beiden Eichen, und als er sprang, flog ich hinter ihm her. Das Knistern der Energie schüttelte mich durch und brachte mein ganzes Sein durcheinander.
»Dreck! Fühlt man sich so als Draht, wenn man unter Strom gesetzt wird?« Die Worte purzelten aus mir heraus, als wir auf der anderen Seite landeten.
»Schsch«, flüsterte Kaylin. »Wir können hier nicht gesehen werden – höchstens hier und da als flüchtiger Schatten –, aber wenn jemand besonders hellhörig ist oder wie du den Wind versteht, dann könnte er uns vielleicht wahrnehmen.«
Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, mich auf das Materielle zu konzentrieren. Das Astrale überlagerte die Baumreihe, aber als ich meine Aufmerksamkeit auf den Wald richtete, wurde er deutlicher sichtbar, die Umrisse klarer.
Wir kamen auf einer freien Fläche heraus, einer kreisrunden Lichtung. Der Wald leuchtete wie eine Schachtel Streichhölzer, und die Energie raste giftig strahlend durch die Bäume. Alles war in Silber und Indigo-Nuancen getaucht. Die Bäume waren kahl, und zwischen ihren Ästen spannten sich vor dem Himmel feinste silberne Netze.
Rhiannons Vision! Das muss der Ursprung des Indigo-Hofs sein. Oder zumindest ihr Hauptquartier in unserem Gebiet.
Du hast recht. Ulean schwebte hinter uns her, und es erleichterte mich, dass auch sie offenbar unbeschadet durch die Barriere gekommen war. Ich drosselte mein Tempo und überließ Kaylin die Führung.
Das Marburry-Grab war riesig – der ganze Campus des New-Forest-Konservatoriums hätte hineingepasst –, und es sah aus wie eine überwachsene Beule im Boden. Einige Gestalten wanderten in der Umgebung herum, und von hier konnte ich am unteren Rand einen Schimmer sehen, zweifellos eine Öffnung.
Der Hügel wirkte, als habe man ihn auf einer kreisförmigen Plattform gebaut, die ungefähr fünf Meter über dem Boden aufragte. Stufen an einer Seite führten ganz bis zur Kuppe der Erhebung, und mindestens zwei Gestalten befanden sich dort oben im Schnee.
Ich musterte sie. Alle hatten eine besondere Färbung in ihrer Aura, und nun verstand ich langsam, warum es Indigo-Hof hieß. Die Energie waberte und wirbelte in Tiefblau und Purpur, Schwarz und Silber – die Farben der Nacht und der Schatten. Die unglaubliche Schönheit der Energie war magnetisch und verführerisch, und ich sehnte mich danach, der Gruppe näher zu kommen und in ihrer Gegenwart zu schwelgen.
Kaylin stieß einen zischenden Laut aus und riss mich damit aus meiner Träumerei. Ich blickte zu ihm, nickte dankbar und hob meine Hände, um ihm zu bedeuten, dass mit mir alles okay war.
Ein paar Minuten beobachteten wir nur, während ich versuchte, mir den schimmernden Fleck einzuprägen, den ich für einen Eingang hielt. Wenn wir es zurück in die feststoffliche Welt schafften, dann würden wir wissen, wie man in den Hügel hineinkam, ohne erst lange suchen zu müssen.
Und dann geschah es. Die schimmernde Tür teilte sich einen kurzen Augenblick lang, und eine Abordnung des Indigo-Hofs trat heraus. In ihrer Mitte befanden sich zwei Gestalten. Zwei Gestalten, die keine Vampirfeen waren, zwei, deren Auren sie als Magiegeborene auswiesen, eine etwas weniger mächtig als die andere.
Deine Tante und eure Freundin. Ulean war direkt hinter mir.
»Heather! Peyton!« Ich riss mich von Kaylin los und setzte mich in Bewegung.
»Nein! Cicely, komm zurück!« Kaylin stob augenblicklich hinter mir her und packte mich am Arm, bevor ich weit gekommen war, aber dann drehte sich Heather in unsere Richtung, und ich schnappte ihren kleinen Aufschrei im Wind auf.
In diesem Moment wandte sich einer des Indigo-Hofs zu uns um, deutete auf uns und brüllte etwas.
Verdammt! Man hatte uns entdeckt.
»Lauf! Lauf, so schnell du kannst. Wir müssen hier weg und raus aus dem Astralraum!« Kaylin wirbelte herum und zerrte mich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf das Portal zu.
»Aber wir müssen sie retten!«
»Die bringen uns um, wenn sie uns kriegen!« Er riss mich zwischen die Eichen, und der Protest, der mir auf der Zunge lag, zerstob in dem Sog. Schon bewegten wir uns auf Rhiannon und Leo zu.
»Wir haben nicht die Zeit, gemütlich aus der Astralwelt zurückzukehren«, sagte Kaylin. »Vielleicht tut’s weh, also mach dich bereit!«
Er warf seine Arme um mich, und in einem betäubend grellen Blitz stürzten wir, während unsere Körper sich verfestigten und der Rauch unserer Schatten sich auflöste. Es war, als flöge man und würde durch einen Anker aus Muskeln und Fleisch aus dem Himmel gerissen.
Ich blinzelte hart, als ich stolperte und vor Leo zu Boden krachte. Hastig half er mir auf. Kaylin, der direkt hinter mir war, deutete auf den Pfad.
»Wir müssen hier weg. Sie haben uns gesehen.«
»O Shit!« Leo griff nach unseren Rucksäcken und warf sie uns zu, während Rhiannon sich schon in Bewegung setzte.
Doch es war zu spät. Hinter uns war ein Geräusch zu hören, und drei Männer sprangen aus dem Portal. Sie hatten bleiche Haut mit einem leicht bläulichen Teint. Vampirfeen. Schattenjäger.
Ich begann zu rennen und wusste doch, dass sie schneller waren als wir. Sie würden uns erwischen, sich über uns hermachen, und dann war es aus mit uns vieren.
»Nein!« Rhiannons Stimme hallte durch die Luft. Sie blieb stehen und drehte sich um.
»Was machst du denn? Lauf doch!« Ich wollte nach ihr greifen, doch sie bedeutete mir, sie in Ruhe zu lassen.
»Sie werden uns nichts tun! Ich lasse nicht zu, dass sie uns verschleppen wie meine Mutter!« Ihre Augen flammten auf, und als sie die Brandbomben hervorzog, barsten um sie herum feurige Blasen, als wollten sich ihre Kräfte mit aller Macht befreien.
Die Männer drosselten ihr Tempo misstrauisch, liefen aber weiterhin auf uns zu. Sie sahen uns nacheinander an, und man konnte sehen, dass sie sich fragten, was zum Teufel wir eigentlich vorhatten.
»Kommt nicht näher! Ich warne euch!« Rhiannons Stimme drohte zu brechen. Doch noch während Tränen über ihr Gesicht strömten, hob sie die Arme. »Ich sagte, kommt nicht näher!«
Die nächsten Sekunden schienen ineinanderzufließen. Sie warf den Feuerfunken in die Luft, streckte die Hände aus und schrie ein einzelnes Wort – welches, verstand ich nicht –, und plötzlich wuchs eine Feuerwand aus ihren Handflächen. Eine wunderschöne, tödliche Explosion aus Feuer in Grün, Gold und Rot wälzte sich auf unsere Verfolger zu.
Die Männer brüllten und ergriffen die Flucht, doch die Flammenstrahlen leckten an ihrer Kleidung und setzten das feine Gespinst ihrer Tuniken in Brand. Die Büsche um das Portal begannen zu rauchen, und der Schnee zischte, als die Funken herabregneten.